Für viele Untersuchungen, Screenings für neue Wirkstoffe und für Wirkstofftests benötigen Wissenschaftler primäre Körperzellen. Das sind Zellen, die direkt aus dem betroffenen Gewebe oder Organ stammen. Biopsien liefern allerdings nur geringe Zellmengen, die für breit angelegte Untersuchungen nicht ausreichen. So lassen sich blutgefäßbildende Endothelzellen zwar beispielsweise aus Nabelschnüren gewinnen, aber Endothelzellen von erwachsenen Spendern stehen nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung.
Die Lösung: Primäre Zellen müssen in der Zellkultur immortalisiert, also unsterblich gemacht und so zum dauerhaften Teilen angeregt werden. An sich ist dieses Verfahren nicht neu, das Problem ist jedoch: Die Zellen wachsen zwar unendlich, verlieren jedoch dabei ihre typischen Eigenschaften und spiegeln nicht mehr die ursprünglichen Körperzellen wider.
Dauerhafte Teilung und Erhalt der Eigenschaften
Braunschweiger Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Inscreenex GmbH, einer Ausgründung des HZI, haben nun eine Methode entwickelt, mit der sie primäre Zellen jedes Gewebes und jedes Spenders in der Kultur zur dauerhaften Teilung anregen und gleichzeitig deren typische Eigenschaften erhalten können. „Wir haben eine Genbank aus 33 Genen zusammengestellt, die zum Beispiel wichtig für die Teilung und den Erhalt der gewebespezifischen Eigenschaften der Zellen sind oder den Zelltod unterdrücken“, sagt Dr. Tobias May, Geschäftsführer von Inscreenex. „Mit dieser Bank kann für jeden Zelltyp ein optimales Set an Genen ermittelt werden, das die Zellen sowohl weiterwachsen lässt als auch ihre Funktionen aufrechterhält.“
Menschliche Zellen in der Maus
Insgesamt haben die Wissenschaftler bisher mehr als 20 Zelltypen aus acht verschiedenen Spezies unsterblich machen können, darunter auch menschliche Zellen. „Die immortalisierten Zelllinien haben wir außerdem in Mäuse transplantiert und dort untersucht, ob sie ihre natürliche Funktion übernehmen können“, sagt Prof. Dagmar Wirth, die am HZI die Arbeitsgruppe „Modellsysteme für Infektion und Immunität“ leitet. „Menschliche Endothelzellen, in die wir unsere Genkombination eingebaut haben, haben in Mäusen wieder Blutgefäße ausgebildet, die sogar an das Gefäßsystem der Maus angeschlossen wurden.“ Somit ermöglicht die neue Methode auch, die Wirkung neuer Substanzen auf menschliche Zellen im Mausmodell testen zu können.
Personalisierte Wirkstofftests werden möglich
Da sich Zellen jedes Spenders mit der neuen Methode vermehren und robust kultivieren lassen, eröffnen sich auch neue Möglichkeiten in der personalisierten Medizin: „Menschen haben eine unterschiedliche genetische Ausstattung und können dadurch beispielsweise Medikamente unterschiedlich umsetzen. Auch die Toxizität und die Nebenwirkungen von Medikamenten können sich von Patient zu Patient unterscheiden“, sagt Wirth. „Unsterbliche funktionale Zellen verschiedener Menschengruppen lassen nun genaue Wirkstofftests zu, um Wirkstoffe optimal auf jede Gruppe abzustimmen.“ Und auch die Vermehrung von Zellen aus erkrankten Organen sei möglich, sodass Therapieansätze künftig direkt an den veränderten Patientenzellen getestet werden könnten.
www.nature.com/articles/s41467–018–03408–4