Moderne Endoprothesen sollen Patienten mit chronisch degenerativen Gelenkerkrankungen eine schmerzfreie Beweglichkeit ermöglichen und so ihre Lebensqualität deutlich verbessern. Für einen möglichst langfristig stabilen künstlichen Gelenkersatz werden Materialien mit verschiedenen Metallverbindungen verwendet. Entscheidend für den langfristigen Erfolg einer Endoprothese ist jedoch eine stabile Integration in das umliegende Knochengewebe. Frühere Arbeiten zur Implantatstabilität belegten, dass es an den Reibungsflächen zu einem Abrieb von Metallen kommen kann. Diese Rückstände können zu einer Rückbildung des umliegenden Knochens, der so genannten Osteolyse, und somit zu einer frühzeitigen Lockerung der Implantate führen. Allerdings wurde eine mögliche ständige Freisetzung von Metallen aus anderen Teilen der Prothese bisher außer Acht gelassen.
Spezielle Bildgebung zeigt, wo sich das Metall aus dem Implantat sammelt
Die Forschungsgruppe um Dr. Sven Geißler am Julius-Wolff-Institut für Biomechanik und Muskuloskeletale Regeneration der Charité hat sich dieser Frage nun gewidmet. Untersucht wurde die räumliche Verteilung und lokale Toxikokinetik von freigesetzten metallischen Verschleiß- und Korrosionsprodukten im umliegenden Knochengewebe. Dafür wurde ein Synchrotron-basiertes Röntgenfluoreszenz-Bildgebungssystem eingesetzt.
„Mit unserer Arbeit zeigen wir zum ersten Mal, dass sowohl partikuläre als auch gelöste Metalle, die aus Endoprothesen stammen, im umliegenden Knochen und im Knochenmark in überphysiologischen Konzentrationen vorhanden sind“, sagt Dr. Geißler. „Die kollagenhaltige Schicht, die nach der Operation das Implantat verkapselt, isoliert dieses somit nicht in dem Ausmaß vom menschlichen Gewebe wie bisher angenommen.“
Proben aus Revisionsoperationen wurden untersucht
Die Forscher untersuchten winzige Knochenproben von 14 Patienten, bei denen ein Hüft- oder Kniegelenk ersetzt werden musste. Sie nutzten hierfür die Röntgenfluoreszenzanalyse, um die elementare Zusammensetzung der Proben qualitativ und quantitativ zu bestimmen.
Diese Technik gestattet es, die Konzentration, Verteilung, Lokalisierung und Anreicherung von metallischen Abbauprodukten wie Kobalt, Chrom oder Titan im angrenzenden Knochen und im Knochenmark sichtbar zu machen. Die notwendige sehr reine und fokussierte Röntgenstrahlung hoher Intensität wurde durch die Synchrotronstrahlungsquelle des Teilchenbeschleunigers der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) im französischen Grenoble erreicht. Sie erlaubt eine weltweit einmalige Ortsauflösung von bis zu 30 nm. „Im Rahmen unserer Arbeit bringen wir also eine klinisch hochrelevante Fragestellung und einen hochkomplexen experimentellen Aufbau zusammen“, erklärt Dr. Janosch Schoon, Erstautor der Studie.
Nicht nur die Ausgangsmaterialien für Medizinprodukte untersuchen
Nach Angaben der Forscher trägt ihre Untersuchung dazu bei, die Risiko-Nutzen-Bewertung von Medizinprodukten zu verbessern. Sie zeige, dass diese nicht nur Biokompatibilitätstests von Ausgangsmaterialien umfassen sollte. Vielmehr müssten auch deren späteren Verschleiß- und Korrosionsprodukte berücksichtigt werden. „Auf diese Weise tragen die aktuellen Daten entscheidend dazu bei, die Implantatsicherheit auf dem höchstmöglichen Niveau zu halten“, resümiert Dr. Geißler.
Basierend auf den Erkenntnissen sollen in nachfolgenden Untersuchungen die biologischen Konsequenzen der Metallfreisetzung im Knochen und Knochenmark erforscht werden. Zugleich werden neue Ansätze entwickelt, die eine zuverlässige präklinische Testung von Implantatmaterialien in humanen Zellen und im Labor gezüchteten Geweben erlauben.
Zur Originalpublikation in Advaced Science:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/advs.202000412