Eine wichtige Frage in der Biologie ist, wie sich Gewebe während der Entwicklung eines Organismus richtig formen und wachsen. Bei vielen Geweben bildet sich die Form sehr früh in der Entwicklung aus. Daher muss diese beibehalten werden, wenn das Gewebe wächst, ähnlich einem Ballon, dessen Form unverändert bleibt, wenn er aufgeblasen wird. Viele menschliche Gewebe, wie die Nase oder das Auge erlangen früh in der Entwicklung ihre Form. Da solche Form eines Gewebes oder Organs oft entscheidend für dessen Funktion ist, ist es wichtig zu verstehen, wie zum Beispiel die winzige Nase eines Babys ihre Form bis zum Erwachsenenalter bewahren kann. Bis jetzt ist noch wenig über das Wechselspiel von Zellen und Gewebe bekannt, welches diesem koordinierten Wachstum zugrunde liegt. Bisherige Untersuchen betrachteten das Wachstum und die Form von Geweben vor allem zweidimensional. Eine dreidimensionale Betrachtung des Gewebewachstums ist allerdings notwendig, um Form und Größe vollständig zu erfassen.
Das Auge vom Zebrafisch im Visier
Dies nahm nun das Team um Forschungsgruppenleiterin Dr. Caren Norden am Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden in Zusammenarbeit mit Guillaume Salbreux, ehemals Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Physik komplexer Systeme in Dresden und jetzt am britischen Francis-Crick-Institut in London, vor. Dazu nutzten die Forscher die außergewöhnlich guten Bildgebungsverfahren, die es für den sich entwickelnden Zebrafisch bereits gibt. Ein für diese Studie besonders geeignetes Gewebe ist das entstehende Auge, ein wichtiger Teil des zentralen Nervensystems, das schon früh in der Entwicklung eine Art Schale mit glatter Oberfläche bildet. Später entsteht hieraus, unter Beibehaltung der Form, ein Nervenzellgewebe, das die Lichtimpulse vom Auge an das Gehirn weiterleitet. Für die Netzhaut ist es daher besonders wichtig, dass die Form während der Entwicklung beibehalten wird, damit das Licht gleichmäßig durch die Netzhaut dringen kann.
Netzhautzellen verlängern sich alle zusammen
Die Erstautorin der Studie, Dr. Marija Matejčić, erklärt: „Wir konnten zeigen, dass Zellen, die die Netzhaut bilden, sich in die Länge strecken müssen, um die Form des Gewebes beizubehalten, während es wächst. Die Netzhautzellen verlängern sich alle zusammen, nachdem sie gleichzeitig eine innere Komponente im Gewebe verteilt haben. Auf diese Weise bleiben die Zellen und das Gewebe in Bestform!“ Dabei spielt das Protein Aktin eine entscheidende Rolle: Eine Umverteilung von Aktin zum richtigen Zeitpunkt sorgt dafür, dass sich Zellen verlängern können.
Konzept auch für Organoide interessant
„Diese Studie ist ein wichtiges Beispiel dafür, wie das richtige Wachstum eines Gewebes durch die Veränderung der Zellen und deren Form erreicht wird“, sagt Dr. Caren Norden, die die Studie leitete. Das Konzept könnte auch bei anderen Organismen oder den immer beliebter werdenden Organoiden, vereinfachten künstliche Miniatur-Organen, angewendet werden.
https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2006018