Wenn gegen einen Tumor weder Chemotherapie oder Operation noch Bestrahlung von außen helfen, kommen in der modernen Medizin sogenannte Radiopharmaka zum Einsatz. Diese radioaktiven Arzneimittel spüren Krebszellen nicht nur auf, sie ermöglichen auch ein zielgerichtetes Bestrahlen von innen, um den Tumor zu bekämpfen. Bevor solche Stoffe jedoch im Menschen angewendet werden dürfen, sind während ihrer Entwicklung aktuell noch umfangreiche Tierversuche notwendig. Ein gemeinsames Projekt des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff- und Strahltechnik IWS in Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) erforscht derzeit eine alternative Methode dazu. Die Grundlage dafür bilden künstliche Organstrukturen und Tumore im Chip-Format.
Das Fraunhofer IWS bietet dabei seine Expertise im Bereich der Mini-Labore. Mit diesen mikrophysiologischen Systemen im Format einer Tablettenschachtel lassen sich Organfunktionen oder auch Krankheitsprozesse mit Hilfe von Zellkulturen künstlich darstellen. Ventile und Kanäle simulieren das Gefäßsystem, eine kleine Pumpe den Herzschlag. Gefertigt werden die mikrophysiologischen Systeme aus übereinander geschichteten Kunststofffolien. In diese werden mittels Laser Blutbahnen und Kammern geschnitten. In speziellen Modulen legen die Anwender später Zellkulturen an, die bis zu einem Monat in den Mikrosystemen überleben können. In dem Miniatur-Labor zirkuliert derweil das Blut in Form von Nährmedium, das die Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt.
So wirkt das Radiopharmakon direkt am Tumor
Am HZDR beschäftigen sich Dr. Wiebke Sihver aus der Abteilung Radionuklid-Theragnostik und ihre Kollegen mit der Entwicklung und Anwendung radiomarkierter Substanzen für die Krebsdiagnostik und insbesondere auch -therapie. Diese Radioliganden sind mit einem radioaktiven Nuklid (Radionuklid) ausgestattet und binden an ein Zielmolekül, im Fall von Krebs an bestimmte Zielstrukturen des Tumors. Damit wirkt das Radiopharmakon direkt am Tumor. Umgebendes gesundes Gewebe wird geschont.
Ziel der gemeinsamen Forschungsarbeit ist es nun, 3D-Tumormodelle auf einem Chip zu platzieren, der in der Folge die Testung von Radiopharmaka vereinfacht und günstiger macht. Erste Herausforderung war es deshalb, aus einer zweidimensionalen Zellkultur ein dreidimensionales Zellaggregat herzustellen – ein Sphäroid, das Tumorgewebe imitieren kann. „Damit können wir die Charaktereigenschaften des Mikro-Tumors in unserem System integrieren“, erklärt Entwicklungsingenieur Stephan Behrens vom Fraunhofer IWS. Perspektivisch soll diese Darstellung auf dem Chip immer detailreicher werden, beispielsweise durch den Einsatz patientenspezifischer Zellen oder zur Bestimmung neu entdeckter, charakteristischer Proteine an verschiedenen Tumorzelltypen, die sich radiopharmakologisch detektieren lassen.
Erste positive Ergebnisse mit Organiod
Die ersten Tests von Wiebke Sihver und ihrem Team mit den Multiorgan-Chips zeigten bereits positive Ergebnisse. Geplant ist, auf den Chips auch ein Nierenmodell und ein Leberorganoid darzustellen. Verlaufen die Versuche im Projekt weiterhin positiv, sollen sich später auch unbekannte Radioliganden in den Systemen prüfen lassen. „Das spart eine große Anzahl an Tierversuchen“, sagt Sihver.
Florian Schmieder sieht durch die Neuentwicklung künftig viele Vorteile für die Patienten. „Wir könnten patientenspezifische Zellen auf einen Chip bringen und so simulieren, wie sich eine Krebserkrankung entwickelt.“ Individuelle Therapien wären auf diesem Weg maßgeschneidert möglich. „Der Krebs bildet außerdem tumorspezifische Antigene, die in Tiermodellen so nicht darstellbar sind.“ Auf den Chips soll auch das funktionieren.
Kontakt:
HZDR
Dr. Wiebke Sihver
Abteilung Radionuklid-Theragnostika
w.sihver@hzdr.de
www.hzdr.de
www.hzdr.de/db/Cms?pOid=67964&pNid=99
https://doi.org/10.1515/cdbme-2022–1136
Fraunhofer IWS
Florian Schmieder
Gruppenleiter Mikro- und Biosystemtechnik
florian.schmieder@iws.fraunhofer.de
www.iws.fraunhofer.de