Das Stethoskop ist – neben dem weißen Kittel – das Markenzeichen von Ärzten. Es wird verwendet, um Geräusche von Herz und Lunge zu diagnostizieren. Beim klassischen „Abhorchen“ werden Schwingungen der Körperoberfläche auf eine Membran im Kopf des Stethoskops übertragen, an das Trommelfell des Untersuchenden weitergeleitet und als Töne wahrgenommen. Akustische Stethoskope sind vergleichsweise preiswert und arbeiten seit vielen Jahrzehnten zuverlässig, aber sie haben einen Nachteil: Die Diagnose von Herzgeräuschen, etwa die Beurteilung der Herzklappenfunktion, erfolgt subjektiv und ist unmittelbar von der Erfahrung des Arztes abhängig.
Wie die Geschwindigkeitsmessung beim Auto
In einem Verbundprojekt haben Erlanger Forscher vom Lehrstuhl für Technische Elektronik (LTE) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) gemeinsam mit der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus und der Palliativmedizinischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen jetzt ein Verfahren entwickelt, das die klassische Phonokardiologie eines Tages ablösen könnte: Mittels eines sogenannten Sechstor-Dauerstrich-Radarsystems messen sie Vibrationen der Haut, die durch den Herzschlag verursacht werden. „Wir bedienen uns im Grunde einer ähnlichen Methode, die auch bei der Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr zum Einsatz kommt“, erklärt Christoph Will, Doktorand am LTE. „Dabei wird eine Radarwelle auf die Oberfläche eines Objektes gerichtet und reflektiert. Bewegt sich das Objekt, ändert sich die Phase der reflektierten Welle. Daraus errechnen wir dann die Stärke und Frequenz der Bewegung, in unserem Fall des Brustkorbes.“ Im Unterschied zum Verkehrsüberwachungsradar ist das biomedizinische Radarsystem in der Lage, Bewegungsänderungen im Bereich weniger Mikrometer zu erfassen – eine wichtige Voraussetzung dafür, selbst kleinste Anomalien zu diagnostizieren, zum Beispiel Insuffizienzen, Stenosen oder nicht korrekt schließende Herzklappen.
So zuverlässig wie etablierte Messverfahren
Die ersten Testversuche verliefen überaus erfolgreich und die Erlanger Wissenschaftler sind optimistisch, dass mobile Radarsysteme in naher Zukunft die klassischen Stethoskope bei der Diagnose der Herzfunktion ersetzen könnten. Ein großer Vorteil des Radars liegt darin, dass die Werte digital erfasst und somit objektiviert werden – der Mensch als Fehlerquelle bei der Diagnose von Anomalien oder Krankheiten kann so zunehmend ausgeschlossen werden. Vorstellbar wäre auch, biomedizinische Radarsysteme eines Tages für automatisierte prophylaktische Untersuchungen einzusetzen.
Vitalfunktionen berührungslos überwachen
In einem weiteren Projekt arbeiten die Forscher daran, die Vitalfunktionen von schwerkranken Patienten mittels stationärer Radarsysteme zu überwachen – rund um die Uhr und ohne störende Verkabelungen. „Zum Beispiel könnten wir Angehörige bei Beginn der Sterbephase deutlich schneller informieren, weil Änderungen des Gesundheitszustandes vom Radar sofort erkannt werden. Auch das Erfassen leidvoller Symptome bei Patienten, die sich nicht äußern können, wird möglich“, erklärt Prof. Christoph Ostgathe, Leiter der Palliativmedizin des Universitätsklinikums Erlangen der FAU und Mitautor der Studie.
www.nature.com/articles/s41598–018–29984–5