Herr Brandt, welche Möglichkeiten bietet der nordafrikanische Markt für Medizinproduktehersteller?
Die Gesundheitsmärkte Nordafrikas sind weiter entwickelt als die meisten Märkte im restlichen Afrika und weisen in vielerlei Hinsicht europäische Strukturen auf. In Tunesien und Algerien gibt es beispielsweise bereits eine flächendeckende Krankenversicherung, in Marokko ist die Einführung bis 2025 geplant. Gleichzeitig steigt in allen Ländern die Lebenserwartung erheblich, was die Krankheitslast verschiebt: weg von übertragbaren hin zu nicht-übertragbaren Krankheiten wie Krebsleiden, Herzkrankheiten oder Schlaganfällen. Damit steigt der Bedarf an Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.
Und das restliche Afrika liegt direkt vor der Haustür…
Ja, kulturell und geographisch bieten sich ideale Einstiegsmöglichkeiten für die weitere Erschließung des afrikanischen Kontinents. Viele lokale Unternehmen haben exzellente Verbindungen in die Länder südlich der Sahara und sehen sich als Bindeglied zwischen Europa und Afrika. Darüber hinaus bieten sich Möglichkeiten zum Nearshoring: Die nordafrikanischen Länder bieten eine gut ausgebildete Bevölkerung, ein moderates Lohnniveau und schnelle Transportwege nach Europa. Zu guter Letzt sind die Märkte Nordafrikas selbst interessante und vor allem wachsende Absatzmärkte für deutsche Medizintechnikhersteller. Dabei bietet jedes Land seine eigenen Chancen.
Herr Friedrich, was raten Sie Medtech-Herstellern, die im Rahmen des WNA-
Beratungsprojektes zu Ihnen kommen?
Trotz der geografischen Nähe ist es notwendig, in der Geschäftsbeziehung auf kulturelle Unterschiede Rücksicht zu nehmen. In diesem Zusammenhang sollten die Produkte selbst immer an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. Ein Produkt, das sich in Frankreich oder den Niederlanden gut verkauft, kann bei der Markteinführung in Marokko unter Umständen scheitern, wenn es nicht an die Erfordernisse der lokalen Nachfrage angepasst wird.
Was können die Gründe dafür sein?
Sowohl das lokale Klima als auch das teils fehlende Fachpersonal bei der Anwendung und Wartung können eine Rolle spielen. Es gilt daher: Lieber ein robustes, einfach zu handhabendes Produkt als ein High-End-Gerät, welches bei großer Hitze oder Stromausfall nicht mehr funktionsfähig ist und dann vor Ort ohne externe Hilfe nicht zu reparieren ist. Gegebenenfalls sollte man sich aus diesem Grund nur auf einen Teil des eigenen Produkt-Portfolios fokussieren. Zu guter Letzt: Gerade für KMU ist es ratsam, sich zu Beginn beraten zu lassen und nicht in Eigenregie unbedarft in den Markt einzutreten. Auch der Austausch mit Unternehmen, die bereits den Markteinstieg gemeistert haben, kann sehr fruchtbar sein.
Worauf müssen Hersteller beim Marktzugang besonders achten?
Brandt: Am Anfang steht meist die Suche nach einem passenden Distributionspartner, der beim Thema Registrierung, Einfuhr und Vertrieb die zentrale Rolle einnimmt. Hier sind persönliche Beziehungen sehr wichtig, daher sollten persönliche Besuche immer zu Beginn einer Geschäftsbeziehung stehen und regelmäßig gepflegt werden. Die Identifikation solcher Partner erweist sich oft schon aufgrund der dürftigen Informationslage als schwierig. Viele große Unternehmen sind, wenn überhaupt, online nur auf Facebook vertreten, Websites sind veraltet oder bilden nur einen geringen Teil des tatsächlichen Portfolios ab. Daraus lässt sich aber nicht zwingend auf die Qualität des Unternehmens schließen. Außerdem sollten die Hersteller vor dem Markteintritt die politische und wirtschaftliche Lage in der jeweiligen Region möglichst nach objektiven Maßstäben beurteilen und sich beispielsweise nicht von einzelnen medialen Berichten verunsichern lassen.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Hürden beim Markteintritt?
Friedrich: Zunächst einmal stehen viele Unternehmen vor der Herausforderung, die tatsächlichen Marktpotenziale, insbesondere mit Blick auf ihr Produkt oder ihre Dienstleistung, korrekt einzuschätzen. Zudem stehen viele vor der Frage, welche Märkte priorisiert werden sollen und nach welchen Maßstäben dies geschehen soll. Im weiteren Verlauf stellt sich zumeist auch die Frage, wie ein geeigneter Partner identifiziert werden kann. Ohne Unterstützung ist dies meist schwer. Auch die Sprache kann, zumindest in Algerien und Marokko, ein Hindernis sein. Ohne Französischkenntnisse ist die Kommunikation schwierig. Wie in fast allen afrikanischen Märkten ist auch das Thema Finanzierungsmöglichkeiten vorab zu bedenken und zu klären, denn Bedarf bedeutet nicht automatisch Nachfrage. In jedem Land gibt es Besonderheiten zu beachten, zum Beispiel ist in Tunesien Vorkasse ohne vorherige Versandbestätigung gesetzlich verboten.
Wie sieht der Registrierungs-/Zulassungsprozess für Medizinprodukte aus?
Brandt: In jedem Land bestehen unterschiedliche Verfahren zur Registrierung und Inverkehrbringung von Medizinprodukten. Eine grobe Übersicht bietet eine eigens für die Initiative „Gesundheitswirtschaft in Nordafrika“ erstellte Marktanalyse von GTAI und den Auslandshandelskammern. Grundsätzlich sind viele Informationen zum Thema Einfuhr und Registrierung, wenn überhaupt, online nur auf Französisch verfügbar und die jeweils geltenden Vorschriften können sich regelmäßig ändern. In jedem Fall ist es hilfreich, bereits eine CE-Zertifizierung vorweisen zu können, dies kann den Registrierungs-Prozess erheblich beschleunigen.
Kann sich ein deutscher Hersteller auch selbst um die Zulassung kümmern?
Friedrich: Wenn das Unternehmen bereits mit einer Niederlassung vor Ort ist und Erfahrung mit der Produktregistrierung hat, dann ja. Dies trifft aber auf die meisten KMU nicht zu. Es ist dann ratsam und oft auch vorgeschrieben, den Prozess mit einem lokalen Distributionspartner zu durchlaufen, der Erfahrung mit der Registrierung der jeweiligen Produktgruppe hat.
Wie unterstützen Sie Unternehmen beim Markteinstieg?
Brandt: Wir nutzen verschiedene Akquise-Kanäle, um die Unternehmen auf das WNA-Beratungsprojekt aufmerksam zu machen. Interessierte Unternehmen kommen dann mit einer Anfrage auf uns zu. Im Anschluss wird in einem Erstberatungsgespräch der Beratungsgegenstand definiert. Sobald dieser fixiert ist, starten wir gemeinsam mit unseren Partnern aus den jeweiligen Ländern die Beratung. Hierbei kann es sich um individuelle Marktanalysen, aber auch die klassische Geschäftspartneridentifikation handeln. Oft wird nach einem vorangestellten Analyseteil, den meist KPMG oder die Auslandshandelskammern übernehmen, im Anschluss mit der Erstellung einer so genannten Longlist begonnen. Diese wird von den Partnern von Traide Health vor Ort oder den Auslandshandelskammern erstellt und enthält Informationen zu lokalen Unternehmen, die den vorab definierten Anforderungen der deutschen Unternehmen entsprechen. Nach erfolgter Anbahnung empfehlen wir, soweit die Situation durch Covid-19 es zulässt, ein persönliches Gespräch mit den in Frage kommenden Partnern vor Ort, um eine fundierte Entscheidung über die weitere Zusammenarbeit treffen zu können.
Projekt Gesundheitswirtschaft Nordafrika
Das Wirtschaftsnetzwerk Afrika (WNA) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) bietet Unternehmen, die in Afrika wirtschaftlich aktiv werden wollen, ein umfassendes Informations-, Beratungs- und Unterstützungsangebot. Im Rahmen der Initiative „Gesundheitswirtschaft in Nordafrika“ haben deutsche KMU der Gesundheitswirtschaft seit dem Frühjahr 2021 die Möglichkeit, bis zu 40 Stunden kostenlose Beratung zu erhalten und sich beim Markteintritt in Nordafrika professionelle Unterstützung zu holen. Dabei ist es den Unternehmen überlassen, wofür die Beratungsstunden verwendet werden.
Das aktuelle WNA-Beratungsprojekt läuft jedoch nur noch bis Ende Oktober, daher ist nun die letzte Chance, sich für die kostenlose Beratung zu bewerben.
Zum Projekt: www.traide-health.com/wna-beratungsprojekt