Noemi heißt das kleine Mädchen, das Ende Februar in Wilen bei Wollerau das Licht der Welt erblickte. Nichts Ungewöhnliches soweit, aber Noemi ist das erste Schweizer Baby, das mithilfe einer neuartigen Sensortechnologie gezeugt wurde, die die Ava AG entwickelt hat.
Die Innovation des 2014 gegründeten Zürcher Start-ups ist ein Fruchtbarkeits-Tracker fürs Handgelenk. Das Armband misst über Nacht verschiedene Parameter wie Temperatur, Atemfrequenz, Puls, Schlaf und Bewegung und errechnet daraus in Echtzeit die fünf fruchtbaren Tage im Zyklus einer Frau. Die erfassten Daten gelangen jeden Morgen via Smartphone-App von den Benutzerinnen zum Server von Ava und werden dort ausgewertet.
Mehrere klinische Studien am Universitätsspital Zürich sowie an weiteren Kliniken haben die Genauigkeit des Systems von 89 % in der Erkennung der fruchtbaren Tage bereits belegt. Aber vor allem die lebendigen kleinen Beweise wie Noemi und andere „Ava“-Babys machen die Verantwortlichen Peter Stein, Pascal König, Philipp Tholen und Marketing-Fachfrau Lea von Bidden glücklich.
Der Tracker ist seit 2016 in den USA zugelassen und in der Schweiz und Europa als Medizinprodukt der Klasse 1 registriert. Peter Stein weiß um die wachsende Bedeutung der erhobenen Daten. Deshalb findet er den Einbezug der Regulierungen spannend und nutzt die damit verbundenen Datenerhebungen und Auswertungen gezielt für Marketing-Zwecke. Über einer Hotline und einen Blog mit wissenschaftlichen Berichten hält das Unternehmen aktiv Kontakt zu den Anwenderinnen des Fruchtbarkeitsarmbands und nutzt eingehendes Feedback für Verbesserungen und Weiterentwicklungen ihres Trackers. Dafür hat das Unternehmen kürzlich den Swiss Medtech Award des Schweizer Branchenverbands Swiss Medtech erhalten, der jährlich vergeben wird.
Digitalisierung ist in vielen Anwendungen zu finden
Digitale Gesundheitslösungen und innovative Medizinprodukte sind aktuell die Steckenpferde der Schweizer Medizinprodukteindustrie. Dies spiegelt sich in vielen Anwendungen wider, wie beispielsweise einem Smartphone-basierten Schnelltest für chronische Darmerkrankungen. Mit dem IBDoc der Bühlmann Laboratories AG aus Schönenbuch bei Basel können Patienten selbst Messungen eines Biomarkers vornehmen und damit auch zuhause den Entzündungsverlauf überwachen und in Abstimmung mit dem Arzt die Therapie ausrichten.
In den kommenden Jahren dürfte die Nachfrage nach Medizintechnik in der Schweiz weiter expandieren. Diesen Schluss lassen Umfragen aus dem Jahr 2016 zu. Demnach könnte die Inlandsnachfrage in den kommenden Jahren jeweils um bis zu 5 % zulegen, wie der Schweizer Industrieverband Swiss Medtech in seiner Branchenstudie (SMTI) von 2016 ermittelt hat. Wachstumstreiber sind wie in vielen Industriestaaten die demografische Entwicklung sowie der steigende Wohlstand, der eine Ausweitung der Leistungen des Gesundheitssystems zur Folge hat. Zudem nimmt auch in der Schweiz die Verbreitung von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu.
Neue Behandlungsmethoden sorgen für zusätzliche Nachfrageimpulse, die von den innovativen Schweizer Unternehmen gerne aufgegriffen werden. So könnte auch die künstliche Herzklappe, die das Start-up Xeltis AG aus Zürich speziell für Kinder entwickelt hat, hier eine Nische finden: Die Innovation soll den Körper dazu anregen, selbst eine neue Herzklappe aufzubauen. Bei der Wiederherstellung des Gewebes wird das Implantat schrittweise absorbiert. Mit diesem natürlichen Therapieansatz soll künftig weltweit Millionen kleiner Patienten geholfen werden. 2021 will das Unternehmen mit Zweitsitz in den Niederlanden das Produkt auf den Schweizer Markt bringen. Bis dahin muss das Produkt auch die hohen Anforderungen der neuen EU-MDR erfüllen.
Für viele, vor allem kleine und mittlere Unternehmen bringen die neuen EU-Regulieren einen Berg voller Herausforderungen mit sich. Peter Studer, MDR-Experte bei Swiss Medtech, sieht die Branche zwar gut vorbereitet, trotzdem rechnet auch er damit, dass viele Unternehmen in der Anfangsphase in ihrer Innovationskraft ausgebremst werden könnten (siehe Interview Seite 22).
Dabei hat die Schweiz trotz einer Einwohnerzahl von lediglich 8 Millionen einen erheblichen Bedarf an hochwertiger Medizintechnik. Der Marktumfang lag 2016 laut SMTI bei rund 8,3 Mrd. Euro. Die Schweizer Unternehmen decken trotz beträchtlicher Fertigungskapazitäten nur einen geringen Teil der Inlandsnachfrage, der größte Teil der Produktion geht in den Export. Der Inlandsverbrauch wird deshalb überwiegend durch Importe bedient.
Hauptabnehmer sind die knapp 300 schweizerischen Klinken, von denen etwas mehr als die Hälfte in öffentlicher Trägerschaft ist. Insbesondere die fünf Universitätskrankenhäuser haben einen guten internationalen Ruf und sind auf neue Medizintechnologien angewiesen. Auch sie sehen der Umstellung auf die neue EU-MDR mit Spannung entgegen.
Weitere Informationen
Zum Verband Swiss Medtech:
Zum Femtech-Start-up Ava:
Zum Hersteller Bühlmann:
Zum Herzklappen-Experten Xeltis:
Blick in den Markt
- Rund 1350 Unternehmen: Hersteller (22 %), Zulieferer (36 %), Händler
(16 %) und Dienstleister (26 %) - Beschäftigte: rund 54 500
- 94 % der Unternehmen beschäftigen weniger als 250 Angestellte
- Umsatz: 14,1 Mrd, CHF
- Exportvolumen: rund 10,6 Mrd. CHF
- Hauptexportmärkte: USA und Deutschland
- Investitionen in F&E: Hersteller zwischen 9 % und 29 % des Umsatzes, Zulieferer zwischen 11 % und 13 %
Quelle: SMTI-Branchenstudie 2016