Herr Studer, auch die Schweizer Medizintechnik-Unternehmen müssen sich auf die Umsetzung der neuen EU-
Regulierungen vorbereiten. Wie schätzen Sie die Lage für den Markt ein?
Die Ausgangssituation ist ähnlich wie die der EU-Mitgliedstaaten, und auch die Auswirkungen sind vergleichbar: Die Unternehmen müssen eine Anpassung an zwischenzeitlich technologisch nicht mehr vergleichbare Produkte, an neue Konformitätsanforderungen und Herstellungsprozedere vornehmen. Auch in der Schweiz haben wir einen Anteil von 95 Prozent an kleinen und mittleren Unternehmen, die von den Regulierungen besonders betroffen sind, da für sie der regulatorische Aufwand überproportional hoch sein wird.
Wie gut sind die Schweizer Unternehmen vorbereitet?
Viele sind bereits heute gut vorbereitet. Der Branchenverband Swiss Medtech bietet zudem Initiativen und Veranstaltungen an, um die Firmen zu unterstützen und zu informieren. Wir stellten schon früh fest, dass einige Unternehmen überlegen, ob es künftig mehr Sinn macht, weiter mit der gesamten Produktpalette am Markt zu bleiben oder sich auf bestimmte Produkte zu konzentrieren. Das wird sich aber erst im Laufe der Zeit zeigen.
Welches sind die größten Herausforderungen für die Unternehmen?
Ein Problem sind die administrativen Anforderungen von MDR und IVDR, die besonders für KMU mit unter 50 Beschäftigten schwer zu bewältigen sind. Sie müssen künftig ihre Produkte abgestimmt auf die neuen Regularien pflegen und auf dem aktuellen Stand halten sowie Produktanmeldungen fristgerecht einreichen, klare Vorgaben im Qualitätsmanagement einhalten und mit der offiziellen Datenbank der EU-Kommission kommunizieren. Die zweite große Herausforderung besteht meiner Ansicht nach in der Darlegung der klinischen Evidenz. Die Anforderungen sind zwar nicht höher als bisher, sie müssen aber nach detaillierten Vorgaben aufgeführt sein.
Haben die neuen EU-Vorgaben Einfluss auf die Start-ups in der Schweiz?
Ich denke, es wird sich hier zumindest vorübergehend eine gewisse Verzögerung bei neuen innovativen Produkten einstellen. Wir hören beispielsweise in Gesprächen, dass viele Unternehmen Mitarbeiter aus dem Bereich Forschung und Entwicklung abziehen und für die Nachführung der technischen Dokumentation einsetzen. Dies wird sicher Auswirkungen auf die Innovationskraft der Unternehmen haben. In Bezug auf die Start-ups hängt das meiner Meinung nach sehr stark davon ab, wie die Finanzierung geregelt ist. So wird es für einen Investor künftig nicht unbedingt attraktiv sein, wenn sich durch die detaillierten Anforderungen an die klinische Evidenz der Marktzugang des neuen Produktes deutlich verzögert. Deshalb werden sich manche Start-ups mit der Geldmittelbeschaffung vermutlich schwer tun.
Hat es denn Auswirkungen auf die Kliniken im Land, wenn Innovationen verzögert auf den Markt kommen?
Es ist weniger die Innovationsbremse, die den Spitälern Sorge macht. Im Moment sehe ich eher das Problem, dass es durch die Umstellungen kurzfristig zu Versorgungsengpässen bei Produkten kommen könnte, die bereits in Verkehr sind. Viele dieser Produkte benötigen künftig nach MDR/IVDR bezeichnete Notified Bodies – und diese sind in ganz Europa derzeit, salopp gesagt, Mangelware.
Und wie soll das Problem mit den Notified Bodies behoben werden?
Von Seiten der Industrie wird bei den zuständigen europäischen Gremien bereits moniert, dass es bislang noch keinen Notified Body gibt, der die Bescheinigungsautorisierung nach MDR und IVDR hat. Es ist zwar erst Halbzeit, aber diese Schwachstelle muss auf jeden Fall rechtzeitig behoben werden, damit Unternehmen ihre Produkte fristgerecht in Verkehr bringen können.
Sie leiten bei Swiss Medtech die MDR-/IVD-Swiss-Implementation Taskforce. Wer engagiert sich hier?
Das sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen, denn die Zielsetzung ist ganz klar der Support für die KMU, frei nach dem Motto: die Großen helfen den Kleinen. Unternehmen wie beispielsweise J+J und Stryker moderieren bei Workshops, geben Praxistipps und helfen bei der Lösungsfindung – dies natürlich nur auf regulatorischer Ebene, denn es gilt wettbewerbsrechtliche Beschränkungen zu beachten.
Wie ist die Stimmung unter den Teilnehmern?
Am Anfang war die Stimmung eher zurückhaltend, aber mittlerweile hat sich das sehr gut eingespielt. Die Anfangsfurcht ist einer gewissen Neugier gewichen und hat sich zu einem fruchtbaren Dialog entwickelt. Inzwischen denken die Unternehmen sogar darüber nach, zu bestimmten Themen Gruppen zu gründen und mit einem gemeinsamen Berater Lösungsansätze zu erarbeiten, von denen alle profitieren können – natürlich ebenfalls unter Beachtung der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen.
Was bietet die Plattform den Firmen?
Seit Oktober letzten Jahres hatten wir über 15 Workshops. Ab Herbst wollen wir nun regelmäßige Readiness Days durchführen, bei denen wir detaillierter auf die Fragestellungen der einzelnen Unternehmen eingehen können. Im Anschluss daran sind Foren geplant, in denen diese Themen dann mit Beratern lösungsorientiert diskutiert werden können.
MDR-/IVDR-Swiss-Implementation-Taskforce
Über die MDR-/IVDR-Swiss-Implementation-Taskforce (SIT) werden alle Aktivitäten des Industrieverbands Swiss Medtech und seiner Mitglieder rund um die Einführung der MDR und IVDR koordiniert. Dementsprechend können sich Schweizer Medizintechnik-Unternehmen für die neuen Regulierungen und die in dem Zusammenhang anzuwendenden schweizerischen Gesetzesvorgaben fit machen, sich aktiv an diversen Informa-tions- und Austauschplattformen beteiligen und sich so gegenseitig auch unterstützen. Das Angebot umfasst Diskussionsforen, Informationsservices sowie Konferenzen. Diese Veranstaltungen stehen allen Medtech-Unternehmen offen.
Am 7. September 2018 findet das nächste Swiss MDR/IVDR-Forum „Herausforderungen der MDR/IVDR gemeinschaftlich lösen“ an der Universität Bern statt. Für den 4. April 2019 ist der dritte nationale Kongress zum Thema geplant.