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Gesundheitsmarkt: Argentinien kommt wieder in schwung

Gesundheitsmarkt
Argentinien kommt wieder in Schwung

Argentiniens neue Regierung ist dabei, die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas wieder auf Kurs zu bringen. Das weckt Hoffnungen, auch bei manchen Herstellern von Medizintechnik: Verbesserte Rahmenbedingungen lassen sie nach einer Konsolidierungsphase auf eine Belebung des Marktes hoffen.

Bettina Gonser
Freie Journalistin in Stuttgart

Bis 6000 Meter hohe Andengipfel und endlose Pampa, verkrustete Salzwüsten und tosende Wasserfälle, tropische Hitze und klirrende Kälte: Argentinien ist ein Land der Gegensätze. Das gilt auch fürs Gesundheitswesen. Während ein kleiner, privat versicherter Teil der Bevölkerung medizinische Versorgung auf internationalem Top-Niveau erhält, ist jeder dritte Argentinier auf das kostenlose staatliche Gesundheitssystem angewiesen. Und dort herrschten zuletzt unter der Regierung Kirchner teils erbärmliche Zustände.
„Die Infrastruktur ist ein Desaster“, kommentierte Argentiniens Top-Enthüllungsjournalist Jorge Lanata die Lage im Ballungsraum Gran Buenos Aires. Das war im November 2014, und in seiner Kultsendung „Periodismo para todos“ (Journalismus für alle) im regierungskritischen Canal 13 legte Lanata unter dem Titel „Das kranke Argentinien“ tief den Finger in die Wunde des staatlichen Gesundheitswesens.
Lanata zeigte Bilder von katastrophalen hygienischen Zuständen bei der Dialyse, kaputten medizinischen Apparaten oder fehlendem Verbrauchsmaterial. Gut ausgebildete Ärzte kehrten zum Tauschhandel zurück, weil dem einen Spritzen fehlten, dem anderen Infusionslösungen.
Obwohl die Einfuhr von Medizintechnik unter der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner zwischen 2013 und 2015 um fast 40 % anstieg, klafften Anspruch und Realität bei der Gesundheitsversorgung oft weit auseinander. Mit verantwortlich dafür waren eine Wirtschaftspolitik, die Importe und Devisen rationierte, und klamme öffentliche Kassen.
Dies blieb nicht ohne Folgen. So konstatierte die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) im Juni 2015 in einem Branchenbericht zu Argentinien, dass es zu einem Mangel an importierten Hilfsgütern wie etwa chirurgischen Nägeln, Fäden, Kathetern oder Stents gekommen sei. In öffentlichen Krankenhäusern müssten sogar Operationen verschoben werden.
Jetzt weht ein frischer Wind aus der Casa Rosada, dem Präsidentenpalast. Mit seinem Wahlsieg im Dezember beendete der liberal-konservative Mauricio Macri die Ära des „Kirchnerismo“ und ist dabei, das Land wieder auf Kurs zu bringen. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas steht vor einem Comeback an den Finanzmärkten.
Das weckt Hoffnungen, auch in der Medizintechnikindustrie. „Die neue Regierung unter Mauricio Macri setzt eine Reihe unternehmensfreundlicher Reformen um“, sagt Sebastián Blanco, Country Manager Dräger Argentina S.A. Dies geschehe auch mit dem Ziel, internationale Kredite zur Finanzierung der Ausweitung der Primärversorgung und der Betreuung von Müttern während und nach der Schwangerschaft zu erhalten. In diesem Falle sei eine Erneuerung der installierten Basis und damit eine erhöhte Nachfrage im öffentlichen Sektor zu erwarten. „Und nach der Krise der vergangenen Jahre ist der Bedarf einer Stärkung des Gesundheitssystems klar gegeben“, betont Blanco.
Dräger gründete 2006 eine Tochtergesellschaft in Argentinien, mit Sitz in San Isidro, einem Vorort von Buenos Aires. Zu den Kunden, die das Lübecker Unternehmen mit Produkten für den OP, die Intensivmedizin, Neonatologie und Notfallmedizin beliefert, zählen private wie öffentliche Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen. „Wir gehen davon aus, dass es keinen Anästhesisten gibt, der nicht schon einmal eine Narkose mit einem unserer Geräte durchgeführt hat“, sagt Blanco.
Einfuhren sind beachtlich
Marktkenner schätzen, dass etwa zwei Drittel des argentinischen Bedarfs an Medizintechnik eingeführt werden. 2015 liefen die Geschäfte wider Erwarten gut. Im Anfang März erschienenen Branchenbericht von Germany Trade & Invest (Gtai) wird von einem Anstieg des Exportgeschäfts nach Argentinien um 29 % auf rund 750 Mio. US-Dollar ausgegangen.
Ein Grund dafür war die Überbewertung des Argentinischen Peso: Um die Gewinne vor der galoppierenden Inflation – rund 27 % im Jahr 2015 – zu schützen, kauften private Gesundheitsunternehmen Medizintechnik auf Vorrat ein. Nicht alle Exportländer konnten vom Importboom profitieren. So ging der Dollar-Wert der deutschen Lieferungen um 6,6 % zurück, Deutschland blieb aber drittstärkstes Lieferland nach den USA und China.
Jetzt hat Präsident Macri das Ruder herumgerissen. Der Peso wurde um mehr als 30 % abgewertet, der Außenhandel wird erleichtert, es gibt wieder freien Zugang zu Devisen. Gleichzeitig fährt das Regierungsbündnis „Cambiemos“ (Verändern wir) einen strengen Sparkurs. Kurzfristig versetzt das dem preissensiblen Markt einen Dämpfer. Aber mittel- und langfristig wird mit einer Belebung gerechnet.
„Die neue Wirtschaft schafft verbesserte Rahmenbedingungen“, sagt Katja Korzen, Account Managerin bei Ottobock Latin America. Auch wenn das Wachstum 2016 schwach ausfallen könnte, handele es sich grundsätzlich um einen weiterhin wachsenden Markt. Wichtig sei es jetzt, den Peso zu stabilisieren und die Inflationsrate zu senken.
Ottobock betreibt seit 1999 ein Vertriebsbüro mit rund 30 Mitarbeitern in Buenos Aires. Zu den Kunden zählen neben Einrichtungen wie dem Rentnersozialwerk PAMI auch private Orthopädiewerkstätten. Gefragt sind Basic-Produkte aus den Bereichen Prothetik und Mobility wie Rollstühle – kostengünstig und mit eher einfachen Funktionen. „Premiumprodukte werden hauptsächlich von den Privatzahlern gekauft“, erklärt Katja Korzen. Es handele sich jedoch um einen dynamischen Markt. Beim Prothesenspezialisten in Duderstadt hofft man darauf, künftig auch verstärkt höherwertige Passteile als Standard etablieren zu können.
„Argentinien wird in Südamerika ein kleiner Markt bleiben“, prognostiziert Sebastián Blanco. Das Land habe innerhalb Südamerikas eine starke Position bei der Entwicklung und Produktion von Technologie-Produkten. Dies führe zu einer starken Konkurrenz zwischen ausländischen und einheimischen Unternehmen. Doch wenngleich der argentinische Markt äußerst preissensibel sei, setzten die Gesundheitsfachkräfte auf Innovation und Qualität. Der Regierungswechsel lasse auf gute und verlässliche Zeiten hoffen, sagt Blanco: Das schaffe Vertrauen für neue Investoren, sich im Land zu engagieren. „Argentinien kommt wieder in Fahrt.“ ■
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