Zehn Jahre Medical Mountains: Frau Glienke, welchen Stellenwert hat das Netzwerk heute?
Das Netzwerk ist heute wichtiger denn je, denn die zunehmende Komplexität in allen möglichen Breichen wie Technologien oder Regularien erfordert mehr Zusammenarbeit – ohne die geht es eigentlich gar nicht mehr. Das haben auch die Unternehmen erkannt und nutzen uns gerne als gemeinsame Plattform. In den vergangenen zehn Jahren ist dabei eine gute Vertrauensgrundlage entstanden. Inzwischen sind wir ein wichtiger Ansprechpartner für die Unternehmen, die mit ihren Themen auf uns zukommen. Das ist natürlich eine schöne Entwicklung.
Anfang Juli wollten Sie das Jubiläum mit vielen Gästen feiern. Das Coronavirus machte Ihnen einen Strich durch die Rechnung – Sie entschieden sich für ein neues Konzept: den hybriden Jubiläums-Talk. War es die richtige Entscheidung?
Ja, auf jeden Fall. Wir wollten das Event weder verschieben noch komplett absagen, sondern haben uns dann für ein hybrides Konzept entschieden. Für uns war das eine tolle neue Erfahrung, die viel Spaß gemacht. Und sowohl von unseren Gästen vor Ort, als auch von den Gästen, die online dabei waren, haben wir viel positive Resonanz bekommen.
Nicht nur Ihr Jubiläum war von der Corona-Pandemie beeinflusst. Ihr eigener Veranstaltungsbereich ist ebenso betroffen wie die aktuellen Messen…
Die Messen haben es schwer, denn sie leben von Begegnungen und persönlichem Austausch. Dies in einem Online-Format abzubilden ist eigentlich fast nicht machbar. Dagegen kann ich Online gut Informationen vermitteln. Wir haben bei unserem Jubiläums-Talk auch mit verschiedenen Tools um Fragen und Feedback gebeten. Das geht, aber der persönliche Austausch, beispielsweise in den Pausen, fehlt einfach. Für uns sind unsere Veranstaltungen die maßgebliche Einnahmequelle, deshalb überlegen natürlich genau, wo digitale und hybride Formate Sinn machen.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie aus Ihren Mitgliedsunternehmen zur aktuellen Situation? Wie stark sind die Unternehmen wirtschaftlich betroffen?
Die Medizintechnik ist im Vergleich zu anderen Branchen glimpflich davon gekommen. Manche Unternehmen, wie die Hersteller von Beatmungs- und Notfallequipment, haben zwar von der Situation profitiert, aber im Schnitt hat sie sich auch auf die Medizintechnik-Branche negativ ausgewirkt. Beispielsweise wurden Operationen abgesagt oder verschoben, was wiederum bedeutet hat, dass weniger chirurgische Instrumente benötigt wurden. Viele Hersteller haben auch noch Kurzarbeit.
Werfen wir einen Blick auf die EU-MDR: Der Geltungstermin wurde wegen Corona um ein Jahr verschoben wurden – reicht die Zeit den Medtech-Herstellern?
Das Hauptproblem liegt vermutlich gar nicht so sehr bei den Unternehmen. Die meisten sind auf die neuen Voraussetzungen vorbereitet. Aber die Rahmenbedingungen sind noch nicht gegeben, sprich: Wir haben noch nicht genügend Benannte Stellen. Von vormals 50 sind es aktuell 16 in Europa, die mehr Arbeit leisten müssen. Wir kennen viele Unternehmen, die noch keine Benannte Stelle haben. Oder wenn sie eine haben, noch immer auf Rückmeldung warten. Zudem ist die EU in Verzug mit der Eudamed-Datenbank, die noch nicht startklar ist, sowie der Bildung von Experten-Gremien für die zusätzliche Prüfung von Risiko-Produkten. Dass dies alles vor Mai 2021 passieren soll, halte ich für sehr unwahrscheinlich.
Was bedeutet das für die Hersteller?
Mit dem neuen Geltungstermin für die EU-MDR wurde eigentlich nur das Problem verschoben: Wer jetzt keine Benannte Stelle findet, hat das Nachsehen und kann im Prinzip ab Mai 2021 seine Produkte nicht mehr verkaufen. Eine weitere Verschiebung würden auch nicht helfen, denn viele Unternehmen sind ja bereits auditiert. Sinnvoll wäre eine Übergangslösung. In der USA gibt es beispielsweise Bestandsprodukte, die bereits jahrzehntelang unverändert im Markt sind. Diese müssen für die FDA nicht neu geprüft werden. Solch eine Lösung sollte es auch für die MDR geben. Im Gespräch mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann haben wir einen gemeinsamen „runden Tisch“ mit Behörden, Benannten Stellen und Regierungspräsidien vorgeschlagen, bei dem solche Probleme und auch Lösungen besprochen werden können, damit das Ganze praxistauglich wird.
Welche Themen – abgesehen von der MDR und Corona – beschäftigen Ihre Mitglieder?
Das Thema Fachkräfte ist ein ganz Wichtiges hier in der Region. Gerade hier im ländlichen Raum sind wir bei der Gewinnung von Fachkräften im Wettbewerb mit sämtlichen Metropolregionen. Das gilt nicht nur für Ingenieure, sondern auch für die Suche nach Fachkräften für die Produktion.
Beim Jubiläums-Talk wurden Digitalisierung und Automatisierung als Zukunftsthemen genannt. Wie weit sind die Medtech-Hersteller in ihrer Region?
Manche sind bereits gut aufgestellt, aber das ist sicherlich die Minderheit. Vielfach starten die Unternehmen das Thema Digitalisierung und Automatisierung in der Fertigung oder in den Prozessabläufen, um Vorteile zu generieren. Bei der Digitalisierung von Produkten sind viele Hersteller meist noch nicht so weit, aber auch hier gibt es schon Lösungen auf dem Markt. Dazu gehören beispielsweise die Rückverfolgbarkeit von Instrumenten mit RFID oder die Lagerhaltung von Medizinprodukten. Wir bieten dazu ein umfassendes Weiterbildungsangebot mit Workshops und Informationsveranstaltungen an.
Welche Rolle wird künftig die Internationalisierung spielen – für die Branche, aber auch für Medical Mountains?
Die Internationalisierung spielt für die Medizintechnik eine große Rolle. Größter Absatzmarkt sind nach wie vor die USA, aber auch die asiatischen Länder werden immer wichtiger. Selbst kleine Hersteller sind hier bereits sehr aktiv. Deshalb ist es auch für uns wichtig, als Medical Mountains international sichtbar zu sein, die Unternehmen zu begleiten und unser Netzwerk auszubauen. Aktuell sind wir in der Planung für eine gemeinsame internationale Vermarktung mit der Industrie. Unser Ziel ist es, der Branche und der Region weltweit zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen.
Kontakt zum Cluster-Verbund:
MedicalMountains GmbH
Katharinenstr. 2
78532 Tuttlingen
www.medicalmountains.de