Eine Initiative des Bundesforschungsministeriums fördert die Zusammenarbeit von Industrie und Kliniken beim Entwickeln innovativer Medizintechnik. Dr. Oliver Bujok vom Projektträger des BMBF, dem VDI Technologiezentrum, erläutert die Idee.
Herr. Dr. Bujok, was genau ist eine Industrie-in-Klinik-Plattform?
Mit diesem Begriff bezeichnen wir neuartige Service-Einheiten im klinischen Umfeld, die es Unternehmen und Kliniken ermöglichen, räumlich eng benachbart an Innovationen in der Medizintechnik zu forschen und diese zu entwickeln. Der Gedanke hierzu entspringt dem Nationalen Strategieprozess, den die Bundesregierung 2012 durchgeführt hat. Strukturen für die angedachte neue Form der Zusammenarbeit existieren in Deutschland allenfalls in Ansätzen. Konkrete Modelle werden aber in den kommenden Jahren im Zuge der neuen Fördermaßnahme entstehen. Wir sind daher sehr gespannt auf die innovativen Konzeptideen, die uns Industrie und Kliniken vorlegen können.
Welches Ziel soll so erreicht werden?
Die Plattformen sollen die traditionell erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Entwicklern in innovativen Unternehmen auf eine neue Grundlage stellen – und damit das Rückgrat für Innovationen in der Medizintechnik wieder stärken. Für einen Arzt im Krankenhaus bleibt schließlich kaum noch Freiraum, sich mit Forschungsvorhaben oder der Entwicklung neuer Produkte zu befassen – obwohl die intensive Zusammenarbeit zwischen Medizin und Industrie die Voraussetzung für innovative Produkte ist. Mit den Industrie-in-Klinik-Plattformen soll das erleichtert und auch weiterentwickelt werden, indem das nicht-medizinische Personal in der Klinik in Innovationsprozesse einbezogen wird. Denn gerade anwender- und anwendungsbezogene Aspekte, aber auch logistische und organisatorische Einflüsse entscheiden am Ende über den Erfolg eines neuen Produktes oder einer Software und müssen möglichst früh berücksichtigt werden.
Wer ist aufgefordert, kreative Konzepte zu entwickeln und einzureichen?
Kliniken, Unternehmen und auch Investoren können sich mit ihren Ideen an uns, den Projektträger, wenden. Dabei geht es vor allem darum, die Möglichkeiten zu erweitern, die es bisher in Anwenderzentren oder zu Testzwecken eingerichteten Operationssälen gab – in beiden Fällen konnten dort bei Produkttests zumeist nur Teilbereiche oder -aspekte aus der Versorgung einbezogen werden. Für die aktuelle Fördermaßnahme sind die neuen Strukturen am interessantesten, die möglichst viele Aspekte des Versorgungsalltags bei der Entwicklung einbinden.
Wie lange soll eine solche Industrie-in-Klinik-Plattform Bestand haben?
Idealerweise sollte die Struktur auf Nachhaltigkeit und damit auf Dauer angelegt sein und sich nach Ende der Fördermaßnahme selbst tragen. Das wird am besten dann funktionieren, wenn ein vorgeschlagenes Konzept nicht zu eng auf sehr wenige Partner zugeschnitten ist, sondern im Lauf der Zeit einer ganzen Reihe von Partnern aus der industriellen Forschung und Entwicklung eine Beteiligung ermöglicht.
Das klingt nach dauerhafter Verpflichtung…
Wer sich jetzt um die Teilnahme an der ersten Phase der Fördermaßnahme bewirbt, verpflichtet sich lediglich dazu, sein vorgeschlagenes Konzept in der ersten sechsmonatigen Phase auszuarbeiten und die Umsetzung vorzubereiten, sofern die Projektskizze zur Förderung empfohlen wird und Gelder dafür bewilligt werden. Aber der Reiz liegt natürlich darin, das Konzept von Anfang an so zu gestalten, dass es auch als längerfristiges Geschäftsmodell bestehen kann. Für eine Klinik kann das zum Beispiel heißen, dass sie extra für die geplante Plattform eine Betreibergesellschaft gründet.
Was könnte – beispielhaft – die Aufgabe einer solchen Plattform sein?
Da gibt es sehr unterschiedliche mögliche Ziele. Daher wird sich derjenige, der ein Konzept für eine Industrie-in-Klinik-Plattform erarbeiten will, für ein Segment im Innovationsprozess entscheiden müssen. Soll seine Plattform vor allem Start-Ups ansprechen, die eine Zusammenarbeit mit Medizinern am Anfang der Produktentwicklung suchen und über lange Zeiträume und bei vielen Aspekten begleitet werden? Soll sie vor allem Usability-Tests ermöglichen – also viele Projekte mit vielen Partnern, die jeweils nur wenige Monate den Kontakt brauchen? Oder soll sich das Konzept auf die langfristige Zusammenarbeit mit mehreren etablierten Partnern stützen, um Systemlösungen zu entwickeln oder Innovationen entlang einer Prozesskette zu generieren? All das ist denkbar und in der Bekanntmachung der Fördermaßnahme weiter ausgeführt.
Wie war die Resonanz in den ersten Wochen nach der Bekanntmachung?
Wir haben überdurchschnittlich viele Anfragen bekommen, insbesondere von Kliniken, aber auch aus der Industrie. Viele sehen das Potenzial hinter diesem Ansatz und finden die Möglichkeiten hochspannend. Da die Art der Fördermaßnahme neu ist, gibt es natürlich viele Fragen.
Wem empfehlen Sie die Teilnahme?
Die Maßnahme ist für alle interessant, die ihre Produkte so entwickeln wollen, dass sie perfekt an den Versorgungsalltag angepasst sind – und die echte Innovation nicht aufgrund unzureichender Tauglichkeit im Versorgungsalltag untergehen sehen wollen. Insbesondere sollten sich Entscheider in kleinen und mittleren Unternehmen über eine Teilnahme Gedanken machen. Darüber hinaus ist sie für Kliniken der Regelversorgung interessant sowie für Privatkliniken und Klinikketten, die –vielleicht auch „wieder“ – an Forschung und Entwicklung andocken wollen. Letztlich muss man aber sagen, dass auch diese Fördermaßnahme nur ein Baustein ist, um mit öffentlichen Mitteln neue Impulse für das Innovationssystem Medizintechnik zu geben. Wirklich vorankommen werden wir nur, wenn sich auf lange Sicht alle am Gesundheitswesen Beteiligten mit den Herausforderungen befassen: Die Zukunft wird nicht Einzelinnovationen, sondern verbesserten Prozessen und Systemlösungen gehören.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Über die Fördermaßnahme
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert mit seiner neuen Maßnahme den Aufbau so genannter Industrie-in-Klinik-Plattformen: Medizintechnikunternehmen arbeiten gemeinsam mit Kliniken an Produktentwicklungen vor Ort. Gefördert wird in zwei aufeinander folgenden Phasen. Bewerber reichen zunächst eine Konzeptskizze zu ihrer Plattform ein. Wird diese zur Förderung empfohlen, können die Bewerber in der anschließenden Konzeptphase Konzept, Struktur, Geschäftsmodell und erste Projektideen für ihre Industrie-in-Klinik-Plattform entwickeln. Das BMBF fördert diese Phase mit maximal 75 000 Euro über sechs Monate. Aus bis zu 20 Konzeptskizzen werden anschließend die Industrie-in-Klinik-Plattformen für die Erprobungsphase ausgewählt. Die Plattformen können dann mit einer Förderung von drei Jahren als Einzel- oder Verbundprojekt modellhaft erprobt werden.
Bewerbungsschluss für die Einreichung der Konzeptskizzen ist der 30. November 2014.
Ihr Stichwort
- Förderung von Forschung und Entwicklung
- Kooperation mit Medizinern vor Ort
- Tauglichkeit von Produktideen im Versorgungsalltag testen
- Bewerbungsfrist bis November
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