Exoskelette sind High-tech-Produkte, die man verstehen muss, um sie anzuwenden. Oder doch nicht? Ein Forschungsteam der Universitäten aus dem US-amerikanischen Michigan und aus Stuttgart hat nun eine Methode getestet, wie Nutzer ihr Exoskelett selbst einstellen können.
Robotische Exoskelette unterstützen die Bewegungen ihrer Träger und helfen so zum Beispiel Gehbehinderten beim Laufen. Exoskelette, die mit Antrieb ausgestattet sind und sich damit auch bewegen, sind in der Regel nicht sofort einsatzbereit. Vielmehr müssen Experten sie so einstellen, dass die Technik die unterschiedlichen Eigenschaften des menschlichen Körpers, die Biomechanik des Gangs und die Vorlieben der Benutzer berücksichtigt.
Exoskelett einstellen? Das dauert keine zwei Minuten
In einer Kooperation zwischen der University of Michigan und der Universität Stuttgart haben Forschende nun eine Methode demonstriert, mit der Benutzer das Verhalten eines Exoskeletts für das Sprunggelenk in weniger als zwei Minuten selbst einstellen. Dabei lassen sich sogar unbewusste Vorlieben berücksichtigen.
Grundsätzlich gibt es schon Idee, wie das Einstellen auch ohne einen Fachmann laufen könnte: Die automatische Auswertung quantifizierbarer Daten wie der Stoffwechselrate oder der Muskelaktivität hilft, um zum Beispiel den Energieverbrauch zu minimieren. Eine weitere Möglichkeit: Die Nutzer des Exoskeletts vergleichen immer wieder einzelne Einstellungen, um herauszufinden, welche sich am besten anfühlt. Die Einstellung, die den Energieaufwand minimiert, ist aber nicht unbedingt die bequemste. Und wenn Benutzer aus einer großen Auswahl an Einstellungen wählen sollen, braucht das Zeit. Darüber hinaus geht bei dieser Variante die Erkenntnis verloren, wie die Einstellungen miteinander interagieren und das Benutzererlebnis beeinflussen.
Nur ein bequemes Exoskelett ist ein gutes Exoskelett
Mit ihrem neuen Verfahren setzen die Forscher nun auf subjektives Feedback statt auf physiologische Messungen. Dr. Kim Ingraham und Prof. Elliot Rouse von der University of Michigan sowie Prof. David Remy vom Institut für Nichtlineare Mechanik der Universität Stuttgart stellen die Benutzer in den Mittelpunkt, die Einstellungen am Exoskelett selbst verändern konnten. So lassen sich Vorlieben, die ansonsten schwer zu erkennen oder zu messen sind, berücksichtigen. Soll zum Beispiel der Komfort im Mittelpunkt stehen? Oder sind Leistung oder Stabilität am wichtigsten? „Selbst entscheiden zu können, wie sich die Unterstützung durch ein Exoskelett anfühlt, wird die Zufriedenheit der Benutzer und damit die Akzeptanz dieser Geräte in Zukunft erhöhen“, sagt Kim Ingraham. Denn unabhängig davon, wie hilfreich ein Exoskelett sei, gelte: “Wenn es nicht bequem ist, werden die Leute es nicht tragen.“
Um die Machbarkeit des Konzepts zu testen, stattete das Forschungsteam Benutzer mit Sprunggelenk-Exoskeletten und einem Touchscreen aus und ließen sie auf einem Laufband gehen. Auf dem Touchscreen konnten die Teilnehmer der Studie beliebige Punkte auswählen. Ohne es zu wissen, veränderten sie damit das Drehmoment des Exoskeletts sowie dessen Timing. Diese beiden Parameter steuern, wie sich die Unterstützung anfühlt.
Inuitiv fanden die Benutzer zur für sie richtigen Einstellung
„Obwohl wir die Zuordnung zwischen Touchscreen und Parametern in jeder Wiederholung des Experiments änderten, fanden alle Teilnehmer immer wieder zu ihren bevorzugten, individuellen Einstellungen zurück“, sagt David Remy. „Dies zeigt, wie wichtig eine individuelle Anpassung ist und das Benutzer dafür sehr verlässliche Daten liefern.”
Überrascht waren die Forscher auch, wie schnell die Benutzer dabei waren: Auch Menschen, die noch keine Erfahrung mit einem Exoskelett hatten, gelang dies im Schnitt in einer Minute und 45 Sekunden – ohne dass sie wussten, welche Parameter sie einstellten. Zudem änderten sich die Präferenzen im Laufe des Experiments. Wer schon Erfahrung mit dem Exoskelett hatte, ließ sich gern stärker unterstützen als Erstnutzer.
Mehr Forschung zum Anpassen von Exoskeletten
Die Forschenden wollen künftig grundlegend untersuchen, wie sich die Vorlieben der Menschen in die Steuerung von Exoskeletten einbeziehen lassen. Als Nächstes wollen sie herausfinden,
- warum Menschen das bevorzugen, was sie bevorzugen,
- wie sich diese Präferenzen auf ihren Energieverbrauch, ihre Muskelaktivität und ihre Physiologie auswirken, und
- wie man eine präferenzbasierte Steuerung in der realen Welt automatisch umsetzen könne.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. C. David Remy
Universität Stuttgart, Institut für Nichtlineare Mechanik
E-Mail: david.remy@inm.uni-stuttgart.de
Perspektiven fürs Exoskelett in der Medizin und in der Industrie