Machine Learning als Disziplin von Künstlicher Intelligenz benötigt große Datenmengen, damit die Algorithmen „aus Erfahrung lernen“ können. Ohne Big Data geht es also nicht. In seiner Stellungnahme „Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung“ legte der Sachverständigenrat Ende November 2017 Empfehlungen vor, die eine den Chancen und Risiken von Big Data angemessene verantwortliche informationelle Freiheitsgestaltung im Umgang mit gesundheitsrelevanten Daten ermöglichen sollen.
Die für Big Data charakteristische, umfassende De- und Rekontextualisierung von Daten, die zu unterschiedlichen Zwecken erfasst, analysiert und neu verknüpft werden, führe zu einer Entgrenzung des gesundheitsrelevanten Bereichs, warnte der Ethikrat darin. „Wenn solche vielfältigen Daten verwertet werden, ermöglicht dies tiefe Einblicke in den aktuellen Gesundheitszustand, die Persönlichkeit sowie den Lebenswandel und erlaubt teilweise sogar Vorhersagen, etwa zur Krankheitsentwicklung“, so die Warnung des Expertengremiums, dem unter anderem Alena Buyx, Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologie an der Technischen Universität München angehörte.
Chancen – aber auch viele Risiken
Die rapide wachsende Datenbasis, die damit verbundene Entwicklung innovativer digitaler Instrumente und die Vernetzung der beteiligten Akteure eröffne damit einerseits Chancen für deutlich verbesserte Diagnostik, Therapie und Prävention, Effizienz- und Effektivitätssteigerungen sowie die Unterstützung gesundheitsförderlichen Verhaltens. Andererseits würden schwankende Datenqualität, Intransparenz von Datenflüssen, Kontrollverluste sowie unsichere Koordinations-, Regulierungs- und Qualifikationsanforderungen aber auch Risiken mit sich bringen. Diese reichen von Entsolidarisierung und Verantwortungsdiffusion über Monopolisierung und Verluste informationeller Selbstbestimmung bis hin zu Datenmissbrauch und Manipulationshandlungen.
In seiner Stellungnahme untersuchte der Deutsche Ethikrat solche Chancen und Risiken für fünf gesundheitsrelevante Anwendungsbereiche von Big Data und analysierte die relevanten rechtlichen Vorgaben und ethischen Aspekte. Er kam zu dem Ergebnis, dass Handlungsformen und Schutzmechanismen des traditionellen Datenschutzrechts den Herausforderungen nur unzureichend begegnen.
An der Datensouveränität orientiert
Um auch unter Big-Data-Bedingungen den Schutz und die Achtung von Werten wie Freiheit, Privatheit, Souveränität, Wohltätigkeit, Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung zu gewährleisten, empfahl der Deutsche Ethikrat ein Gestaltungs- und Regulierungskonzept, das sich an der Datensouveränität orientiert. Die mit dem Begriff der Datensouveränität umschriebene verantwortliche informationelle Freiheitsgestaltung versteht er in Weiterentwicklung der informationellen Selbstbestimmung als interaktive Persönlichkeitsentfaltung unter Wahrung von Privatheit in einer vernetzten Welt. Ein solches Gestaltungs- und Regulierungsmodell habe stärker als bislang die kontextabhängig wandelbare Sensibilität von Daten zu berücksichtigen.
Dabei nimmt der Deutsche Ethikrat den individuellen Datengeber als den entscheidend zu schützenden und zu achtenden Zweck in den Blick. Er sieht eine Vielfalt institutioneller und staatlicher Akteure in der Pflicht, mit einer umfassenden gesamtgesellschaftlichen Anstrengung rechtliche, außerrechtliche und technische Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Menschen ihre Datensouveränität wahrnehmen und entfalten können.
Das vorgeschlagene Konzept enthielt konkrete Handlungsempfehlungen zu den vier Themenbereichen:
- die Potenziale von Big Data zu erschließen,
- individuelle Freiheit und Privatheit zu wahren,
- Gerechtigkeit und Solidarität zu sichern und
- Verantwortung und Vertrauen zu fördern.
Verzicht, wenn Sicherheit nicht stimmt
In einem Sondervotum forderte ein Mitglied des Deutschen Ethikrates den Verzicht auf die Nutzung von Big Data zu Forschungszwecken oder anderen Anwendungen, sofern ein umfassender Datenschutz, die Umsetzung effektiver Anonymisierungs- und Pseudoanonymisierungsstandards und das Recht auf Vergessen nicht gewährleistet werden können.
Zur Stellungnahme des Deutschen Ethikrats: http://hier.pro/ysQG8
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