Alarmmanagement | Medizingeräte geben Alarm – am besten gleich an den zuständigen Pfleger irgendwo auf der Intensivstation. Mobiltelefone und geeignete Server ermöglichen das, sie müssen aber besondere Anforderungen erfüllen. Weil Krankenhausbetreiber solch ein Alarmmanagement wünschen, betrifft das Thema auch die KMU unter den Medizingeräteherstellern.
Dr. Birgit Oppermann
Das Pulsoxymeter gibt Alarm, der Pfleger macht sich auf den Weg zum Patienten. Dabei wird ihn keine Meldung eines anderen Gerätes am Bett dieses Patienten behelligen. Selbst wenn die EKG-Elektroden verrutschen – das verteilte Alarmsystem weiß schon, dass Hilfe unterwegs ist. Also: einmal Piepen weniger, ein Stressmoment weniger für den Pfleger. Nur wenn er ungewöhnlich lange braucht, bis er per Knopfdruck seine Ankunft am Bett bestätigt, würde ein neues Signal abgesetzt.
Solche sinnvoll weitergeleiteten Alarme sind in vielen Anwendungsbereichen von der Industrie über die Hotellerie bis zu Versorgungsbetrieben heute Standard und werden unter dem Oberbegriff „Alarmmanagement“ zusammengefasst. Im Zusammenhang mit Medizinprodukten ist diese Art von gezielter Informationsweitergabe noch etwas Neues. Medizingeräte arbeiteten bisher aus Sicherheitsgründen weitgehend abgekapselt von der umgebenden Krankenhaus-IT-Welt. „Die angespannte personelle Situation in den Krankenhäusern und der Stress, dem die Mitarbeiter dort ausgesetzt sind, haben aber einen Prozess in Gang gesetzt“, sagt Jens-Peter Lichtenberg, Medizin-Produkte Sicherheitsbeauftragter bei der Taunussteiner Tetronik GmbH. „Im Markt kam die Forderung auf, das Dogma der abgekapselt arbeitenden Medizingeräte aufzugeben und IT-technische Unterstützung – bis hin zur Intensivstation – zu bekommen und die Alarme gezielt zu verwalten.“ Das Unternehmen, für das Lichtenberg arbeitet, automatisiert seit rund 50 Jahren „Kommunikationsprozesse im Krisenumfeld“ – für verschiedene Branchen und neuerdings eben auch mit einer Lösung, die es ermöglicht, Medizingeräte und ihre Alarme einzubinden.
Der Server muss genauso sicher sein wie die Medizingeräte
Dafür muss die Technik den regulatorischen Vorgaben entsprechen. „Seitens der Gesetzgeber wie auch seitens der Normung hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan“, erläutert der Fachmann. Ein Server, der die Signale von Medizingeräten verarbeitet, muss demnach genau so sicher sein wie die Geräte selbst. Was nichts anderes bedeutet, als dass auch der Server als Medizinprodukt zugelassen sein muss.
Entsprechende Lösungen bietet Tetronik seit April 2016 an. Sie bauen auf einem System auf, das sich bereits in anderen Anwendungsfeldern bewährt hat und als „digitaler Alarm- und Kommunikations-Server“ bezeichnet wird – kurz Daks. Die Variante, die als Medizinprodukt zugelassen ist und mit Medizinprodukten vernetzt werden darf, trägt entsprechend den Namen Daksmed.
„Für die Betreiber von Krankenhäusern ist ein solches Alarmmanagement von Vorteil, weil sich die Kräfte des Pflegepersonals im Intensiv-Bereich und im Intermediate-Care-Bereich besser bündeln lassen“, fasst Lichtenberg zusammen. Im Vorfeld wird festgelegt, welche Alarme wann an wen zu gehen haben, was dann zu passieren hat und wer dafür benachrichtigt werden muss. Egal, wo er gerade ist. Ebenfalls festgelegt ist, dass zum Beispiel technische Alarme direkt an die zuständigen Personen gehen und nicht erst vom Pflegepersonal weitergereicht werden müssen. Damit all das passieren kann, wird eine komplexe Datenbank erstellt. Bisher liegt die technische Obergrenze bei 40 Betten mit jeweils bis zu vier Geräten, die von einem System verwaltet werden können – was in der Praxis allerdings noch nicht erreicht wurde. Typisch ist laut Lichtenberg, dass mehrere Serversysteme genutzt werden, um zum Beispiel eine Intensivstation mit 90 oder 100 Betten an der Uniklinik zu bedienen. „Das ist auch sinnvoll, da die Station nach Fachgebieten unterteilt ist und diese zum Teil unterschiedliche Abfolgen in der Datenbank hinterlegen möchten.“
Das entspreche auch der Idee des Silent Hospital, derzufolge Patienten möglichst in einem ruhigen Umfeld zu behandeln sind, statt sie in einem Saal mit zehn oder zwanzig Betten in einer Intensivstation zusammenzufassen – wo eigentlich permanent irgendetwas piept, Alarme gegeben werden und das Personal sich eilig an die jeweiligen Betten begibt. Oder per lautem Zuruf über den Flur geregelt wird, wer sich als nächstes um was kümmert. „Wenn ich jedem Patienten ein Einzelzimmer und damit auch die familiäre Begleitung ermöglichen will, muss ich aber sicherstellen, dass bei geschlossener Tür keine Notlage übersehen wird.“
Was Medizingeräte zusammen mit dem Server leisten müssen
Damit das gesamte System am Ende sicher ist, muss aber nicht nur der Server, sondern auch das Medizingerät gewisse Voraussetzungen erfüllen. „Es muss mehr können, als nur sein Signal weiterzugeben: Es muss im strengen Sinne bidirektional kommunizieren, also auch damit umgehen können, dass ein versehentlich herausgezogenes Kabel oder ein Stromausfall die Weitergabe eines Alarms an den Server verhindert. Und das ist heute immer noch eine Herausforderung“, sagt Lichtenberg.
Seit Ende 2016 gibt es eine Schnittstelle zwischen Daksmed und Monitoring-Systemen von Dräger. „Unsere Vitaldatenmonitore vom Typ Infinity waren von vornherein schon so angelegt, dass wir sie miteinander und mit dem Schwesternstützpunkt vernetzen konnten“, sagt Detlev Froebel, der bei Dräger in Lübeck als IT-Applikationsberater tätig ist. „Aber wir wollten mehr: wir wollten eine Vernetzung mit mehr Geräten, wir wollten die Zielpersonen auch dann erreichen, wenn diese nicht am Schwesternstützpunkt sind, und wir wollten keine proprietäre Lösung – denn wenn die Digitalisierung fortschreitet, brauchen wir offene Schnittstellen.“
Die Suche nach einem geeigneten Anbieter, der standardkonforme Lösungen anbietet, führte die Lübecker schließlich zu Tetronik. Die Schnittstellen zu definieren, die Zusammenarbeit zwischen Gerät und Server auf die Beine zu stellen und alle Schritte zu dokumentieren, war laut Lichtenberg kein kleines Projekt und hat sich über einen Zeitraum von über drei Jahren erstreckt. „Bei jedem Folgeprojekt wird der Aufwand natürlich geringer.“
Laut Froebel musste an den Medizingeräten wenig verändert werden, da sie schon mit einem Gateway verbunden werden konnten. „Wir haben Tetronik aber Gelegenheit gegeben, tief ins Gerät hineinzuschauen: So wird erkennbar, welches Gerät meldet, ob es am Bett ins Netz eingebunden oder beim Transport des Patienten über WLAN angemeldet ist.“
Im alltäglichen Einsatz ist die Kombination aus Monitoren und Daksmed bisher noch nicht. Tests bei Pilotkunden haben laut Dräger-Produktmanager Daniel Fuckert gezeigt, dass heutige Anforderungen der Betreiber damit abgedeckt sind – und auch für kommende sei man mit Daksmed gerüstet.
Medizinische Entscheidungen werden nicht automatisiert
Aus Sicht von Tetronik steht als nächstes an, auch Geräte wie Infusionspumpen und Dialysegeräte anschließbar zu machen – „bis hin zur Königsdisziplin, der Beatmung“. Eines aber sehen die Taunussteiner auch für die Zukunft in der Verantwortung der Ärzte: die medizinische Relevanz der Alarme zu bewerten und die Folgeschritte zu definieren. Technisch möglich wäre das vielleicht, sagt Dräger-Mitarbeiter Detlev Froebel. „Aber medizinische Entscheidungen zu automatisieren, entspricht nicht dem Ideal der Medizin.“
Weitere Geräte ins Alarmmanagement einzubinden hingegen schon. Um die Kommunikation zwischen dem Server und Medizingeräten verschiedener Hersteller möglichst einfach herstellen zu können, haben die Taunussteiner bei der Zulassung einen Kniff angewendet: Der Server selbst ist als Medizinprodukt zugelassen. Jede individuelle Schnittstelle zu einem Gerät wird ebenfalls ein eigenes Medizinprodukt und auch als solches zugelassen – die Serverzulassung muss dann aber nicht mehr für jedes neu anzuschließende Produkt durchlaufen werden, was den Prozess beschleunigt.
Ohne offene Schnittstellen wird es nicht gehen
Bisher existieren mehrere Systeme verschiedener Anbieter, die eine Kommunikation zwischen Server und Medizingeräten in der beschriebenen Weise ermöglichen. Einige große Anbieter von Medizinprodukten haben für ihre Geräte bereits entschieden, welches davon sie verwenden wollen. „Auf lange Sicht aber werden wir definierte offene Schnittstellen brauchen, die den Betreibern mehr Freiheit geben, sich sowohl beim verteilten Alarmserver als auch bei einzelnen Geräten zwischen den Anbietern zu entscheiden – und damit unabhängig zu sein von den bisher bestehenden Partnerschaften zwischen IT-Unternehmen und Medtech-Unternehmen“, sagt Lichtenberg. Die IHE ist seinen Angaben zu Folge bereits daran, Vorgaben für solche universell verwendbaren Schnittstellen zu definieren. „Offene Schnittstellen sind aus Sicht der Betreiber für die Vernetzung unverzichtbar“, sagt auch Detlev Froebel. Dräger befürworte das, und das Unternehmen beteilige sich an verschiedenen Projekten, die die Basis dafür schaffen sollen.
Auch wenn sich bisher vor allem größere Unternehmen mit dem Thema Alarmmanagement befasst haben, ist es laut Lichtenberg für kleine und mittlere Unternehmen ein Muss, darüber nachzudenken. „Es sind ja die Betreiber, die diese Funktionalitäten fordern. Daher geht das jeden etwas an, ob er nun Monitore, Spritzenpumpen, Beatmungsgeräte oder Dialysegeräte herstellt.“ ■
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