Inhaltsverzeichnis
1. Intelligente Prothese muss Patientenabsicht richtig deuten
2. Machine Learning macht die Prothese zum Schüler
3. Rasche Fortschritte – wie bei der Spracherkennung
4. Weitere Informationen
Künstliche Intelligenz, Big Data oder IoT – es gibt wohl kaum eine Branche, in der entsprechende Anwendungen nicht weit oben auf der Agenda stehen. Dass die Gesundheitswirtschaft diesbezüglich keine Ausnahme bildet, zeigt im November einmal mehr die Medica in Düsseldorf. „Die digitale Transformation ist das Top-Thema“, erklärt Horst Giesen, Global Portfolio Director Health & Medical Technologies der Messe Düsseldorf GmbH. „Wir beleuchten es mit unseren begleitenden Konferenzen sowie den in die Fachmesse integrierten Foren zielgruppengerecht aus verschiedenen Blickwinkeln.“ Beispiele dafür sind das Medica Health IT Forum sowie das Medica Connected Healthcare Forum – inklusive des Wettbewerbs für medizinische Apps, der Medica App Competition. Im Vorjahr kamen allein zu diesen beiden Foren in der Halle 15 mehr als 8000 Besucher.
Dort werden grundlegende Digitalisierungs- und IT-Trends diskutiert, wie beispielsweise Einsatzoptionen für künstliche Intelligenz, die Analyse großer Datenbestände – auch als Big Data bezeichnet – mittels Algorithmen oder Maßnahmen der Cyber Security. Innovative Produkte und Technologien aus dem Bereich der Wearable Technologies, Telehealth, Robotics und Apps sind ebenfalls hier zu sehen.
Intelligente Prothese muss Patientenabsicht richtig deuten
Digitalisierung im Umfeld der Neurostimulation und Robotik steht im Vordergrund, wenn Prof. Arndt Schilling von der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie der Universitätsmedizin Göttingen über so genannte „gedankengesteuerte Prothesen“ berichtet. Sie seien ein typisches Beispiel für intelligente Prothesen, können die Nervensignale aufnehmen, um daraus Aktionen wie zum Beispiel „Prothesenhand öffnen“ abzuleiten und auszuführen.
Die größte Herausforderung dabei sei es, den Willen des Patienten zuverlässig richtig zu deuten. Schilling betont: „Die Gedanken sind nach wie vor frei und daher sehr schwer in Algorithmen einzufangen. Zudem ist es für den Entwickler, der in der Regel ja nicht selbst Prothesenträger ist, manchmal schwierig, die komplex veränderte Alltagssituation des Patienten zu verstehen.“ Um eine intelligente Steuerung an die Bedürfnisse des Patienten anpassen zu können, sei daher eine enge Zusammenarbeit in einem Team von Patienten, Ärzten und Ingenieuren notwendig.
Machine Learning macht die Prothese zum Schüler
„Machine Learning“ könne bei der Entwicklung solcher Prothesen und Orthesen helfen. So musste der Patient bisher bei der konventionellen Steuerung lange trainieren, bis er die Bewegungen so ausführte, dass die Prothese ihn verstand, erläutert Schilling. „Durch Machine Learning kann der Patient die Bewegung jetzt so ausführen, wie sie ihm am sinnvollsten erscheint, und die Prothese trainiert, den Patienten zu verstehen.“ Über Machine Learning wird also quasi das Lehrer-Schüler-Verhältnis umgedreht. „Das führt beim Patienten zum angenehmen Gefühl, dass jetzt die Prothese ihm dient und nicht umgekehrt“, so Schilling.
Durch Machine Learning in Kombination mit erweiterter Sensorik könne der Prothese zudem ein einfaches Verständnis der Umgebung gegeben werden. „In unserem Projekt Inopro“, erläutert Schilling, „arbeiten wir zum Beispiel an Prothesen, die erkennen können, ob der Patient ein Glas oder einen Stift greifen will.“ Handposition und Griff können dann entsprechend vorbereitet werden und den Patienten dadurch entlasten.
Rasche Fortschritte – wie bei der Spracherkennung
Mittlerweile gebe es bereits erste Prothesen mit einem noch relativ begrenzten Einsatz von Intelligenz, um etwa die Mechanik an die jeweilige Gangphase anzupassen oder die Geschwindigkeit des Greifens zu regulieren. „Erste Start-ups nehmen sich aber bereits dieser Thematik an, und ich erwarte da ähnlich rasche Fortschritte wie bei der Spracherkennung in den letzten Jahren“, meint Schilling.
Die grundsätzliche technische Schwierigkeit würde sich daraus ergeben, dass der angeborene menschliche Bewegungsapparat so ausgereift ist: „Der Versuch, etwas zu entwickeln, das einer Hand oder einem Fuß auch nur entfernt nahekommt ist automatisch Hightech.“ Eine intelligente Prothese müsse nicht nur schlau, sondern auch noch robust, leicht und wasserdicht sein, dürfe dabei aber nur wenig Energie verbrauchen, damit sie nicht ständig aufgeladen werden muss. Die Sensorik müsse zuverlässig auch bei Bewegung funktionieren und unabhängig davon, ob der Träger gerade schwitzt oder friert.
Eine ethische Grenze sieht Schilling aktuell vor allem in der Diskussion, wem Zugang zu derartigen modernen, aber auch teuren Hilfsmitteln ermöglicht oder verweigert werden sollte. „Hat jeder Bürger im Bedarfsfall ein Recht auf Versorgung mit den modernsten Prothesen? Welcher Standard kann von der Solidargemeinschaft übernommen werden? Wieviel wollen wir in die Weiterentwicklung investieren? Wie können wir sicherstellen, dass auch Menschen außerhalb unserer Solidargemeinschaft von den Entwicklungen profitieren können?“ Schilling glaubt, die Antworten auf diese ethisch-gesellschaftspolitischen Fragen würden wesentlich die künftige Entwicklung in diesem Bereich bestimmen.
Weitere Informationen
Das Programm des englischsprachigen Medica Connected Health Care Forum ist online abrufbar. Über die jüngste Generation der Prothesen berichtet Prof. Arndt Schilling am Mittwoch, 14. November, von 11 Uhr bis 12:30 Uhr.
Zum Medica Health IT Forum: