Dass Roboter an der Seite von Menschen arbeiten, ist in der Medizin keine Sensation mehr. Doch gibt es für die Zukunft noch Potenzial, insbesondere bei vernetzten Systemen. Kuka-Fachmann Michael Otto erläutert, was sich da entwickelt.
Herr Otto, über Assistenzroboter, Reha-Systeme, Exoskelette oder Mikroroboter in der Medizin wird viel gesprochen. Welche Rolle spielen Großroboter hier?
Die Stärke der Großroboter ist das präzise Positionieren, und diese Aufgabe übernehmen sie in der Medizin schon in einer Reihe von Fällen. Patienten werden für die Behandlung an die richtige Stelle gebracht, und Geräte für die Strahlentherapie oder die Bildgebung erreichen am Ende eines Roboterarmes die für Therapie oder Diagnose günstigste Platzierung. Ein Massenmarkt ist das sicher nicht, aber Kuka beispielsweise hat derzeit etwa 1500 solcher Systeme im Feld. Und wir gehen davon aus, dass es zusätzliche Anwendungsmöglichkeiten in Hybrid-OPs und noch weiter in die Zukunft gedachten Szenarien geben wird.
Welche neuen Anwendungen sind bisher im Gespräch?
Ein Gedanke ist zum Beispiel, roboterisierte Funktionen auch in den OP-Tisch zu integrieren. Und als Fernziel bietet eine Gesamtlösung sehr interessante Perspektiven, in der nicht nur Mensch und Roboter, sondern auch mehrere Roboter miteinander kooperieren: ein Großroboter für die Positionierung eines Bildgebungsgerätes, ein roboterisierter Tisch für die Platzierung des Patienten und ein Assistenzsystem auf Basis eines Leichtbauroboters, das dem Mediziner bei der Operation assistiert. Diskutiert wird so etwas – auch wenn es physisch noch kein solches System gibt. Man sollte aber betonen, dass es auch in diesen Szenarien nicht darum geht, den Mediziner zu ersetzen, sondern ihn mit moderner Technik zu unterstützen.
Sind die Roboter heute schon für solche Anwendungen bereit?
Es wird dafür sicher noch einiger Entwicklungen bedürfen – insbesondere im Hinblick auf die Schnittstellen. Aber wir haben schon seit 2008 einen unserer Großroboter im Bildgebungssystem Artis Zeego in Operationssälen im Einsatz. In diesem von Siemens auf den Markt gebrachten C-Bogen-System positioniert der Roboter das Gerät für die Bildgebung und ersetzt damit eine Sonderkinematik. Um die Anwendung umzusetzen, haben wir uns mit vielen Anforderungen auseinandergesetzt, die für dieses Umfeld typisch sind. So gesehen bringen die Roboter heute schon viele Voraussetzungen mit, die auch die Basis für zukünftige Szenarien sein werden.
Welche besonderen Eigenschaften muss der Roboter haben, um ihn im OP-Umfeld einsetzen zu können?
Wir haben uns zu Beginn vor allem mit Sicherheitsmaßnahmen für die Mensch-Roboter-Kollaboration befasst und Arbeitsräume definiert, die sicherstellen, dass weder Menschen noch Geräte in der Reichweite des Roboters gefährdet werden. Die Risikoanalysen dafür waren sehr umfassend, und wir haben massive Veränderungen an der Steuerung vorgenommen. Schließlich stellt der Einsatz im OP, wo der Roboter für jeden Eingriff individuell mit einem Joystick angesteuert werden muss, ganz andere Anforderungen als der klassische Industrieeinsatz: Da wird einmal programmiert, und dann soll der Roboter möglichst 24 Stunden am Tag die gleichen Bewegungen ausführen. Inzwischen wissen wir, wie eine individuelle Steuerung möglich ist und können mit diesen Erfahrungen auch die steigenden Anforderungen an die Mensch-Roboter-Kollaboration im industriellen Bereich sehr gut erfüllen.
Wie haben Ärzte und Pflegepersonal auf die erste Generation der Großroboter in ihrem direkten Umfeld reagiert?
Eine Technik zum Positionieren des Gerätes gab es auch ohne Roboter schon – und ob diese an der Decke oder am Boden angebracht ist, machte nicht den Riesenunterschied. Von einer gewissen Skepsis ganz am Anfang abgesehen, hatten es die Großroboter daher vielleicht sogar einfacher als mancher Leichtbauroboter für den OP, der im Verdacht steht, zu viel der ärztlichen Aufgaben zu übernehmen.
Welche Weiterentwicklungen sind für Großroboter in der Medizin in Arbeit?
Die aktuellen Themen sind immer noch Sicherheitsmaßnahmen, die auf Software basieren und verbessert werden. Ein weiteres Thema ist die Gebrauchstauglichkeit: Wie alle anderen Geräte müssen Roboteranwendungen daraufhin optimiert werden, dass das medizinische Personal sie möglichst einfach bedienen kann. Die heute verfügbaren Verbesserungsmöglichkeiten wollen wir nutzen. Für die Zukunft wird uns die Frage nach Schnittstellen stärker beschäftigen, über die wir die Geräte mit anderen Systemen vernetzen können.
Braucht die Medizin andere Robotertypen, als sie bisher verfügbar sind?
Diese Frage wird jeder Anbieter anders beantworten. Das Potenzial der Leichtbauroboter für Assistenzfunktionen in der Medizin wird schon getestet. Für manche Anwendungen entwickeln spezialisierte Hersteller Sonderkinematiken, die für ein bestimmtes Anwendungsfeld in der Medizin optimiert sind und dann in kleinen Stückzahlen gefertigt werden. Das ist ein möglicher Ansatz, den wir bei Kuka aber nicht verfolgen. Wir setzen unsere Plattform, die anwendungsspezifische Anpassungen ermöglicht, in verschiedenen Branchen ein. Damit können wir nicht alle Anforderungen erfüllen, die man vielleicht an einen Roboter in der Medizin stellen möchte – aber für viele Fälle kommen wir zu Lösungen, die ein interessantes Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten.
Welche internationalen Entwicklungen gibt es in diesem Bereich?
Auf lange Sicht ist damit zu rechnen, dass sich Abnehmermärkte in vielen Regionen entwickeln. Derzeit aber befinden wir uns in einer Phase intensiver Entwicklung, und die findet vor allem in den USA – im Silicon Valley und in einigen Zentren an der Ostküste – sowie in Mitteleuropa statt. Sehr viele Aktivitäten gibt es rund um die schon erwähnten Leichtbauroboter für die Chirurgie: Etwa 50 bis 60 solcher Systeme sind in der medizinischen Forschung in Betrieb und werden an Uni-Kliniken entwickelt und getestet.
Welche Rolle werden Roboter in fünf bis zehn Jahren in der Medizin spielen?
Neben Leichtbau- und Kleinrobotern und der Vernetzung sehen wir das größte Potenzial für Medizin-Robotik in der Physiotherapie und Reha, und in diesen Bereichen wollen wir auch Fuß fassen.
Dr. Birgit Oppermann
Über den Roboterhersteller:
http://kuka-robotics.com/
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