Wie lässt sich das Hören mit Cochlea-Implantaten weiter verbessern? Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Wissenschaftlern der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) hat einen neuen Weg ausgelotet. Die Idee: Licht statt – wie bisher – Strom als Stimulans zum Hören. Den Forschern ist es gelungen, das Hörsystem im Tiermodell durch optogenetische Stimulation mit Licht zu aktivieren.
Wenn Hörgeräte nicht mehr helfen, können Cochlea Implantate die Nervenzellen der Hörschnecke direkt elektrisch stimulieren. Cochlea Implantate ermöglichen so den meisten der weltweit inzwischen mehr als 200 000 Nutzern ein Sprachverstehen. Doch Tonhöhen und Lautstärke beim Hören zu unterscheiden, gelingt mit bisherigen Cochlea Implantaten nur sehr begrenzt. Warum es dazu kommt, ist bekannt: Der Effekt ergibt sich aus der massiven Ausbreitung des elektrischen Stroms von jedem Elektroden-Kontakt. Dadurch werden stets sehr viele Hörnervenzellen gleichzeitig stimuliert.
Würde Licht anstelle von Strom zur Stimulation verwendet, kann dieses grundsätzliche Problem wahrscheinlich gelöst werden. Diese Erwartung wird durch die ersten Erkenntnisse bestätigt, die das Forscherteam mit Licht als Stimulans zum Hören in Untersuchungen an Nagetieren gewonnen hat. Für ihre Untersuchungen setzten die Forscher erstmals ein in Deutschland entwickeltes Verfahren, die sogenannte Optogenetik, erfolgreich für die Stimulation des Hörnervens ein. Bei diesem Verfahren werden lichtempfindliche Signalproteine als „Lichtschalter“ genetisch in Zellen eingebaut. „Weil Licht besser fokussierbar ist, könnten dann entlang der Hörschnecke viele unabhängige Stimulationskanäle genutzt werden. Diese Innovation verspricht eine fundamentale Verbesserung bei der Unterscheidung von Tonhöhe und Lautstärke“, sagt Senior-Autor der Publikation und Leiter des Projekts, Prof. Dr. Tobias Moser von der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen.
Um die Nervenzellen der Hörschnecke mit Licht aktivieren zu können, wurden zunächst die lichtgesteuerte Ionenpore Kanalrhodopsin in die Nervenzellen der Hörschnecke von Mäusen und Ratten eingebaut. Dabei kommen auch virale Genfähren zum Einsatz, die in der Gentherapie beim Menschen eingesetzt werden. Zusätzlich müssen Mikro-Leuchtdioden oder Laser-gekoppelte Mikro-Glasfasern mikrochirurgisch in die Hörschnecke implantiert werden.
„Die optogenetische Aktivierung ist uns gelungen. Im Versuch registrieren wir sie als Nervenimpulse einzelner Hörnervenzellen oder als Summenpotenziale der Hörbahn“, sagt Anna Gehrt, eine der Erst-Autoren der Publikation und forschende Ärztin der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der UMG: „Mittels optogenetisch-evozierter Potenziale können wir eine Aktivierung der Hörbahn auch in Mausmodellen der menschlichen Schwerhörigkeit nachweisen“. Schließlich gelang den Forschern auch eine erste Abschätzung der Frequenzselektivität von optogenetischer Stimulation im Vergleich mit elektrischer Anregung. Das Ergebnis entspricht den Vorhersagen aus mathematischen Modellen: Bei der Stimulation mit Licht zeigte sich eine feinere Frequenzauflösung, das heißt, der aktivierte Bereich der Hörschnecke war bei Reizung mit Licht kleiner als bei der Stimulation mit elektrischem Strom.
„Das Hörsystem kann also durch optogenetische Stimulation aktiviert werden. Aber bis zu einer Anwendung in der klinischen Rehabilitation der Schwerhörigkeit bleibt viel zu tun“, sagt Prof. Moser. Daran arbeiten bereits die Kooperationspartner vom Freiburger Fraunhofer Institut für Angewandte Physik und der Universität Freiburg. Sie entwickeln im BMBF-Projekt „Lichthören“ optische Multikanal-Implantate mit mehr als hundert Mikroleuchtdioden. Prof. Moser sieht noch weitere Hürden, die zu bewältigen sind: Schnellere „Lichtschalter“ müssen entwickelt werden, um den Ansprüchen der Signalverarbeitung im Hörsystem gerecht zu werden. Schließlich braucht die Forschung für die Entwicklung einer optogenetischen Hörprothese effiziente und sichere Genfähren. Und auch die Frage, ob es durch das Stimulationslicht möglicherweise zu Schäden kommt, muss zuvor geklärt sein.
Cochlea Implantate ermöglichen schwersthörigen Menschen ein begrenztes Hörvermögen. Die Nachteile der elektrischen Reizung sind eine geringe Auflösung von Tonhöhen und Lautstärken. Eine räumlich präzisere optogenetische Reizung verspricht eine feinere Auflösung beider Schalleigenschaften und damit ein verbessertes Sprachverstehen und mehr Musikgenuss.
Weitere Informationen Zu den Arbeitsgruppen von Prof. Dr. T. Moser und Dr. N. Strenzke an der UMG: www.innerearlab.uni-goettingen.de Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde InnenOhrLabor: www.universitaetsmedizin-goettingen.de Originalveröffentlichung: Victor H Hernandez, Anna Gehrt*, Kirsten Reuter*, Zhizi Jing*, Marcus Jeschke, Alejandro Mendoza Schulz, Gerhard Hoch, Matthias Bartels, Gerhard Vogt, Carolyn W Garnham, Hiromu Yawo, Yugo Fukazawa, George J Augustine, Ernst Bamberg, Sebastian Kügler, Tim Salditt, Livia de Hoz, Nicola Strenzke, Tobias Moser (2014) Optogenetic stimulation of the auditory pathway. Journal of Clinical Investigation
Hören mit Licht
Die Forschungen wurden unter der Leitung von Prof. Dr. Tobias Moser, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der UMG, in einem Projekt innerhalb des Göttinger Fokus für Neurotechnologie (Sprecher: Prof. Dr. Florentin Wörgötter, 3. Physikalisches Institut – Biophysik, Universität Göttingen) durchgeführt. Gefördert haben das Projekt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und das Exzellenzcluster und DFG-Forschungszentrum für Mikroskopie im Nanometerbereich und Molekularphysiologie des Gehirns (CNMPB) der UMG.
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