Wann ist ein Medizinprodukt rein (genug), wie muss die Fertigung beschaffen sein, und wie lässt sich die Reinheit im Produktionsalltag nachweisen? Diese Fragen soll der Industrieverbund Mediclean beantworten, den Dr. Markus Rochowicz von Stuttgarter Fraunhofer IPA ins Leben rufen will.
Herr Dr. Rochowicz, welche Rolle spielt Reinheit in der industriellen Produktion?
Mitunter eine sehr große. Kleinste Schmutzpartikel können in verschiedenen Branchen zu erheblichen Problemen führen. Als erstes fällt einem da natürlich die Halbleiterindustrie ein, wo Strukturen von 12 bis 20 Nanometer im Prozess verarbeitet werden müssen. Hier verursachen schon Partikel mit 50 bis 100 Nanometer Durchmesser oder sogar einzelne Moleküle Probleme. Vor diesem Hintergrund hat sich die gesamte Branche dem Diktat der Reinheit unterworfen und Medien, Prozesse und das Produktionsumfeld mit Reinräumen darauf abgestimmt – bis hin zur aufwendigen Schutzkleidung für die Mitarbeiter. Aber dieser Aufwand ist natürlich nicht überall erforderlich. Vielmehr gilt es, für jede Branche sinnvolle und reproduzierbare Maßnahmen zu definieren.
Wie geht zum Beispiel die Automobilindustrie mit dem Thema Reinheit um?
Dort sind die Anforderungen andere als in der Halbleiterindustrie: Statt die gesamte Produktion auf Reinheit auszurichten, geht es um individuelle Lösungen, damit kein Partikel das Ventil verklemmt, damit die Gleitlager im Turbolader sicher funktionieren oder die empfindlicheren Bleiersatzwerkstoffe keinen Schaden erleiden. Um diese Vielfalt in den Griff zu bekommen, ist in dieser Branche seit 14 Jahren einen Industrieverbund aktiv. Angestoßen und organisiert wurde er vom Fraunhofer IPA. Bislang sind daraus mehrere Regelwerke entstanden. Darin wurde zunächst beschrieben, wie man die erforderliche Reinheit messen kann. Und wenn man anfängt zu messen und Ergebnisse bekommt, lässt sich auch beschreiben, welche Maßnahmen in der Produktion man anwenden muss, um zur gewünschten Reinheit zu kommen.
Lassen sich diese Erkenntnisse auf Medizinprodukte übertragen?
Eine Eins-zu-Eins-Umsetzung dieser Maßnahmen ist sicher nicht möglich, da die Medizintechnik andere Reinheitsanforderungen hat. Aber die Arbeitsweise eines solchen Industrieverbundes bringt sicherlich auch für diese Branche Vorteile. Daher initiieren wir derzeit einen entsprechenden Zusammenschluss von Unternehmen. Bei einem ersten Workshop zur Reinheitsvalidierung in der Medizintechnik im Sommer 2014 waren Hersteller und Dienstleister mit mehr als 30 Teilnehmern vertreten und haben die Rahmenbedingungen diskutiert.
Welche Themen stehen im Vordergrund?
Das Interesse an der Reinheitsvalidierung ist, wie vermutet, auch in der Medizintechnik-Branche sehr groß. Allerdings unterscheiden sich die konkreten Anforderungen sowohl von denen der Halbleiterindustrie als auch von denen der Automobilindustrie. In der Medizin geht es ja nicht einfach darum, das Versagen eines Bauteils zu verhindern, sondern darum, den Patienten nicht zu schädigen. Bisher lag der Fokus auf dem Verhindern von Infektionen und dem Nachweis von Keimen. Dem Patienten nicht zu schaden, wie es in den aktuellen regulatorischen Vorgaben heißt, kann aber weit mehr umfassen: es dürfen keine pyrogenen Stoffe vorhanden sein, Größe und Struktur eventuell vorhandener Partikel dürfen nicht zum Verstopfen von Gefäßen führen oder das Gewebe reizen – und auch filmische Verunreinigungen müssen betrachtet werden. Daher ist die Frage nach Grenzwerten oder auch Akzeptanzkriterien zuerst zu beantworten. Parallel dazu muss man allerdings beschreiben, wie man die einmal definierten Kriterien mit Hilfe validierter Messverfahren einhalten kann.
Sie wollen den Industrieverbund Mediclean 2015 starten. Was sind die Ziele?
Zu den genannten Fragen, die sich zur Reinheit in der Medizintechnik stellen, gibt es schon eine Reihe von Erfahrungswerten bei den herstellenden Unternehmen. Dieses Wissen wollen wir zusammenführen, bewerten und – auf lange Sicht – als VDI-Richtlinie etablieren. Diese wird sinnvolle, praktikable und finanzierbare Vorgaben enthalten.
Reicht bei der Vielfalt der Produkte eine einzige Richtlinie für Reinheitsvalidierung?
Man muss die Vielfalt handhabbar machen, in dem man so etwas wie Risikoklassen aus Reinheitssicht einführt. Dann sind zwar die Produkte unterschiedlich, müssen aber in einer Klasse den gleichen Anforderungen entsprechen. Dann lässt sich, wie in der Automobilindustrie, beschreiben, welche Maßnahmen dafür geeignet sind. Das Arbeiten im Reinraum ist dabei eine Möglichkeit unter vielen und kein Allheilmittel – und unter dem Blickwinkel der Kosten ohnehin nur in manchen Fällen einsetzbar.
Wie frei ist die Industrie bei der Definition der Reinheitsvalidierung?
Im Moment wünschen sich die Hersteller vor allem eine offene Diskussion in der Industrie, bei der alle Schwierigkeiten, aber auch alle Möglichkeiten auf den Tisch kommen und ausgelotet werden. Mit Benannten Stellen sind wir aber schon in Kontakt und wollen diesen auf längere Sicht intensivieren, denn allgemeingültige Regeln würden auch die Prüfaufgaben bei den Benannten Stellen erleichtern.
Gibt es ähnliche Ansätze im Ausland?
Wir haben das recherchiert und beim Workshop mit international agierenden Konzernen diskutiert. Es gab jedoch keinen Hinweis auf solche Ansätze, so dass wir anscheinend weltweit die ersten sind, die hier aktiv werden. Die beteiligten Hersteller wünschen sich aber eine Richtlinie, die dann nicht nur national, sondern international akzeptiert ist – und in diese Richtung denken wir auch.
Wann rechnen Sie mit Ergebnissen?
In einem Verbund wie unserem, an dem sich die Industrie finanziell beteiligt, kommen wir in der Regel schneller zu Resultaten, als man das von freiwilligen Normungsgremien gewohnt ist. Da aber eine Reihe von Fragen zu klären sind, halte ich einen Zeitraum von zwei Jahren für realistisch.
Welche Rolle hat das Fraunhofer IPA hier?
Wir organisieren und koordinieren die Aktivitäten und werden die Richtlinie formulieren. Das VDI-Richtlinienblatt in der Serie 2083 ist schon beantragt.
Wie viele Partner sind dabei?
Unternehmen wie Aesculap, Biotronik, Dentsply, Karl Storz, Stryker oder auch Link unterstützen unsere Initiative bereits. Wir würden gern eine Runde mit etwa 20 Teilnehmern aufbauen. Weitere Interessenten, gern auch aus kleinen und mittleren Unternehmen, sind also in der nächsten Zeit willkommen.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Weitere Informationen Das Kick-off-meeting zum Industrieverbund Mediclean findet am 26. März in Stuttgart am Fraunhofer IPA statt. Kontakt: markus.rochowicz@ipa.fraunhofer.de
Interesse an der Reinheitsvalidierung ist auch in der Medizintechnik groß
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