Inhaltsverzeichnis
1. Eintauchen in ein anderes Umfeld
2. Studieren – mit Überschneidungen zum Medizintechnik-Studium
3. BWL als Ergänzung und viel Materialwissenschaften
4. Ausflug in die polnische Sprache
5. WG statt Studentenwohnheim
6. Austausch über das Erasmus-Programm, auch über Europa hinaus
7. Vielfalt bei den Menschen, auch im Gastland Polen
„Warum Polen? Warum Lublin?“ Das waren die häufigsten Fragen, die mir (dort) gestellt wurden.
Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, worauf ich mich mit meinem geplanten Auslandssemester, das mein Medizintechnik-Studium in Stuttgart und Tübingen ergänzen sollte, eingelassen hatte. Den einzigen Kontakt, den ich im Vorfeld mit Polen hatte, war ein polnischer Arzt, mit dem ich während meiner Bachelorarbeit im Projekt zusammengearbeitet hatte. Er war damals für ein einjähriges wissenschaftliches Austauschprogramm an meinem Forschungsinstitut der Augenklinik Tübingen. Ein Auslandssemester in seiner Heimat stand damals aber absolut noch nicht in Aussicht.
Eintauchen in ein anderes Umfeld
So ein Auslandssemester war die letzte Möglichkeit, ohne weiteres für längere Zeit in ein anderes Umfeld einzutauchen – raus aus dem Vertrauten. Zu der Entscheidung, nach Polen zu gehen, gelangte ich nach einem gedanklichen Umweg über Skandinavien. Reizvoll war Skandinavien mit seinem hervorragenden Ruf, exzellenter Bildung und Lehrangeboten. Zudem überzeugten die geringe Sprachbarriere. Man spricht Englisch, während gerade in Spanien oder Frankreich die Landessprache häufig Voraussetzung für einen erfolgreichen Studienaufenthalt dort ist – und es gibt fantastische Naturaufnahmen. Am Ende sollte es aber doch nicht der Norden werden. In einem Anflug von Entdeckerlust, das „für mich weitgehend Unbekannte“ zu erforschen, war die östliche Richtung spannender. Der Plan war, so weit in den Osten Europas zu gehen, wie möglich. Gegen Skandinavien sprach letztlich auch, dass es sehr Hip war/ist und dorthin bereits ein sehr großer Anteil Deutscher Studenten geht.
Leider fanden sich Richtung Osten nur zwei Partner-Unis für das Erasmus-Austauschprogramm, über das ich den Austausch organisieren wollte, und zwar in Rumänien und Polen. Von denen passte wiederum eine besser auf mein Studienprofil : die Politechnika Lubelska. „Meine“ Stadt, Lublin, liegt zumindest ganz im Osten von Polen, so dass meine Hoffnung, möglichst ausschließlich Menschen aus anderen Nationen zu treffen, sich vielleicht erfüllen würde. Das sollte sich bestätigen. Ich traf nur 3 Deutsche, die an anderen Unis in der Stadt studierten, jeweils einmal zum Kaffee – das wars. Perfekt.
Studieren – mit Überschneidungen zum Medizintechnik-Studium
Mein oben erwähntes Studienprofil ist das eines Biomedical-Engineering-Schwerpunkts, welches für den Auslandsaufenthalt in Mechanik und Maschinenbau umgewandelt wurde. Dennoch waren Veranstaltungen zu belegen, die ich mir für mein Studium in Deutschland anrechnen lassen konnte. So stellte ich mir mein eigenes Kurspaket zusammen. Die Unterrichtssprache war Englisch für die Auswahl der Kurse. Andere „Internationals“ waren in verschiedenen Studienabschnitten ebenfalls dort. Einige verlängerten ihren Aufenthalt. Zurückkommen würden die meisten eher für einen Urlaub als zum Arbeiten. Viele der polnischen Studierenden, die ich traf, nutzen das Erasmus+-Angebot bereitwillig. Diejenigen, die dabei gute Kontakte aufbauen können, sehen es durchaus als Option, auch nach dem Studium im Ausland zu arbeiten.
Darüber hinaus machte ich einen Exkurs in Veranstaltungen der Management Fakultät und belegte knapp die Hälfte meiner Kurse dort. Ich empfand es als äußerst angenehm, hier eine relativ freie Wahl zu haben. Nicht immer liegen alle Interessen so nahe beieinander, als dass man sie mit der Klappe eines Studiengangs erschlagen kann. Auf der anderen Seite ist die wirtschaftliche Perspektive für einen Ingenieur ein ständiger wichtiger Begleiter, wenn es darum geht, die Übersicht zu behalten. Mein Schwerpunkt war aber an der Maschinenbau Fakultät angesiedelt.
BWL als Ergänzung und viel Materialwissenschaften
Es gibt in Lublin noch vier weitere Unis, die größte ist die Maria-Curie-Skłodowska-Universität, an der auch Medizin angeboten wird. Ein Austausch dorthin fand leider nicht statt, so dass mein Auslandssemester mehr mit Technik und Management zu tun hatte als mit Medizin oder Medizintechnik. Nichts desto trotz konnte ich mein Wissen besonders in den Materialwissenschaften und Aspekten der BWL ausbauen.
Ich gehe ungern für länger in ein Land, in dem ich gar nicht kommunizieren oder zumindest einige Anhaltspunkte in meiner Umgebung interpretieren, kann. Um dem entgegenzuwirken, besuchte ich im Voraus für ein halbes Jahr einen Polnisch Kurs am Sprachenzentrum der Uni Stuttgart. Während meines Aufenthaltes dort, führte ich einen Polnisch-Kurs fort. Es war es definitiv wert! Die Krux bei solchen „Reisen“ ist, dass die einfachste gemeinsame Sprache meist Englisch ist. Um sich zu unterhalten, ist es dann häufig schneller und bequemer darauf auszuweichen, als mühsam die einheimische Sprache zu sprechen. Zum aufwendigeren Weg muss man sich manchmal zwingen – im Nachhinein hätte ich das auch häufiger machen sollen.
Ausflug in die polnische Sprache
Meine meist verwendeten Wörter:
- Przepraszam: Entschuldigung – essenziell bei meiner Bahnfahrt, mit dem ganzen Gepäck anstoßend; nebenbei auch nicht ganz einfach auszusprechen
- Dziękuję: Danke
- Cześć: Hi
- Dzień Dobry: Guten Tag – Von morgens bis abends
- Poproszę: Universell zum Bestellen und Nachfragen
- Się masz: Umgangssprachlich für „Wie geht’s“.
Im Polnischen gibt es übrigens wie im Deutschen eine offizielle, distanzierte höfliche und eine direkte, inoffizielle Anrede.
WG statt Studentenwohnheim
Im Gegensatz zu einem üblichen Studentenwohnheim dort, entschied ich mich, nach einem Zimmer mit polnischen Mitbewohnern zu suchen. Über eine ausschließlich polnische Website wurde ich schließlich fündig und zog bei einem netten polnischen Pärchen ein. Die Schwierigkeit: Sie sprach kein Englisch und nur etwas Deutsch; er sprach kein Deutsch, nur etwas Englisch; ich sprach kaum Polnisch, dafür aber Englisch und deutsch. So hatte jeder eine Sprache zu lernen und eine andere, um im Kreis herum zu Kommunizieren – zu Beginn gab es jedoch noch keine Sprache, die wir alle gleichzeitig sprechen konnten. So machten wir mit der Zeit alle drei Fortschritte in einer neuen Sprache.
Viele in Polen lernen Deutsch als zweite oder gar erste Fremdsprache. Demnach konnten mir die meisten Menschen, denen ich begegnete, ein Paar Worte und Sätze auf Deutsch sagen. Der Vergleich von Winter zu Sommer war wie die Verwandlung von Graustufen zu einem 16 Mio. Farben RGB Blumenmeer, indem ich einmal mehr von der Vielseitigkeit überrascht wurde.
Austausch über das Erasmus-Programm, auch über Europa hinaus
Das Erasmus-Programm, mit dem ich nach Polen ging, bietet übrigens nicht nur Auslandsaufenthalte in Ländern, die in die EU eingebunden sind. Positiv überrascht hat mich, dass im Rahmen des Programms auch Menschen aus der Türkei, Marokko und Tunesien unterwegs sind – und im Einzugsbereich des Erasmus+ Mundus sogar ein Austausch mit Asien oder Mittelamerika möglich wird.
Im Rausch der Neugierde stellte ich mir schnell zur Aufgabe, mit Menschen aus so vielen Nationen wie möglich Bekanntschaften zu schließen. Es war schön und irgendwie einfach, wie wir alle ähnliche menschliche Einstellungen teilten – so etwas realisiert man erst, wenn man mit so vielen verschiedenen Menschen konfrontiert wird. Es ist das Gefühl von Verbundenheit mit der Welt. Klar, die Unterscheidung war dann mehr in Hinsicht anderer Hintergründe. Eine interessante und fruchtbare Mischung entstand.
Vielfalt bei den Menschen, auch im Gastland Polen
Die Menschen selbst, denen ich in Polen begegnet bin, prägten zwei Bilder in meinem Kopf: zum einen, und denen begegnete ich zuerst, ein sehr interessiertes, neugieriges, offenherziges und optimistisches Bild. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt. Man sagt: „In den kälteren europäischen Ländern werden Freundschaften nicht spontan geschlossen; sind dann aber umso fester“. Das zweite Bild ist rustikaler, verschlossener, konservativer. Als bräuchte es noch etwas an Verständnis und Geduld.
Eigentlich ist es egal, in welches Land man geht, um aus dem Alltag auszubrechen und eine neue Umgebung zu erleben (das war mein Beweggrund). Ein wirkliches Muss für diesen Schritt sind aber Offenheit und Neugierde als Mitbringsel. Was kann man nun erwarten? Ein Update der eigenen Einstellungen und Werte, Selbstbewusstsein, Empathie, Vernetzung; einen ganz neuen Menschen aus einem macht es ein Auslandssemester jedoch nicht. Aber: Der Schritt ins Unbekannte lohnt sich jedenfalls!