Die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind alarmierend: Sie taxiert den weltweiten Umsatz mit gefälschten Arzneimitteln auf etwa 75 Mrd. US-Dollar. Während Experten davon ausgehen, dass in den Industriestaaten weniger als 1 % der verkauften Arzneimittel gefälscht ist, fallen die Zahlen in den Entwicklungsländern deutlich höher aus. Gefälschte Arzneimittel gelangen in Deutschland am häufigsten über den Internet- und Versandhandel in Umlauf, da es neben den legalen und zuverlässigen auch eine Vielzahl von unseriösen Anbietern gibt. Doch auch auf dem legalen Vertriebsweg über Apotheken sind bereits Arzneimittelfälschungen aufgetreten.
EU-Fälschungsschutzrichtlinie 2016/161/EU
Die neue EU-Fälschungsschutzrichtlinie 2016/161/EU will dem nun einen Riegel vorschieben: Ab Februar 2019 dürfen nur noch verschreibungspflichtige Arzneimittel auf dem Markt sein, auf deren Verpackung sich ein 2D-Barcode befindet. Dieser Data-Matrix-Code umfasst die Seriennummer, einen individuellen Produktcode, die Chargennummer und das Verfallsdatum.
In Kombination mit einer Verpackungsversiegelung – einem Erstöffnungsschutz, anhand dessen erkennbar ist, ob die Verpackung noch unversehrt ist – soll so eine hohe Fälschungssicherheit gewährleistet werden. Zudem soll sich mit einem zentralen Verifizierungssystem jederzeit nachverfolgen lassen, welchen Weg jedes einzelne Medikament genommen hat, bevor es in der Apotheke landet. Dazu werden alle Medikamenten-Daten ab Herstellungsort in eine Datenbank übertragen, mit der am Ende alle Apotheken, Hersteller und Lieferanten verbunden und vernetzt sind.
Abgleich mit der Datenbank der pharmazeutischen Industrie
Bei dem End-to-End-Verifikationssystem lädt der Hersteller die packungsbezogenen Daten in die Datenbank der pharmazeutischen Industrie hoch. Zur Verifikation scannt die Apotheke den Data-Matrix-Code und löst somit eine Überprüfung in der Industrie-Datenbank aus. Alle Anfragen der Apotheken werden dabei anonymisiert weitergeleitet.
Getrennte, aber korrespondierende Datenbanken für Hersteller und Apotheker bieten größtmöglichen Datenschutz für sensible Daten. Wird der in der Datenbank vermerkte Status „positiv“ an die Apotheke zurückgemeldet, kann das Arzneimittel „ausgebucht“ und an den Patienten abgegeben werden.
Für die Umsetzung der Richtlinie haben die Pharmaverbände BAH, BPI und vfa, der Großhandelsverband Phrago und der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände die Initiative Securpharm ins Leben gerufen. Seit 2011 entwickelt Securpharm ein System zum Schutz vor Arzneimittelfälschungen, das seit 2013 in der Praxis erprobt wird.
Verpackung neu und noch verschlossen?
Für den Erstöffnungsschutz hat Pharmapack-Aussteller August Faller, Waldkirch, das so genannte Team-Label entwickelt, das eine Versiegelung mit einem mehrseitigen Haftetikett für die wichtigsten Informationen der regulären Packungsbeilage kombiniert. Die Erstöffnungsgarantie wird durch eine spezielle Lasche sichergestellt. Diese ist perforiert und über die Einstecklasche der Faltschachtel verklebt. Die Schlitzung des Laminats erfolgt mithilfe einer präzisen Zwei-Ebenen-Stanzung. Dadurch lässt sich das Booklet an der Öffnungslasche leicht öffnen, ohne dass der Erstöffnungsschutz beschädigt wird. Faller übernimmt auf Wunsch auch die Serialisierung des Labels.
Eine andere Form des Erstöffnungsschutzes hat der Pharmapack-Aussteller Schreiner Medipharm, Oberschleißheim, mit dem multifunktionalen Covert-Hologram Seal entwickelt. Es ist transparent, unauffällig und wirkt dadurch wie ein einfaches Verpackungssiegel. Doch beim erstmaligen Öffnen des Siegels wird der zunächst unsichtbare Effekt sichtbar: Zum Vorschein kommt ein Hologramm, das je nach Betrachtungswinkel verschiedene Schriftzüge und Gestaltungselemente in unterschiedlichen Farben zeigt. Der holografische Effekt ist irreversibel, somit kann der vollständig transparente Originalzustand nicht mehr hergestellt werden.
Medizinproduktehersteller noch nicht betroffen
Noch nicht betroffen von dieser EU-Richtlinie sind Medizinproduktehersteller, die beispielsweise Primärcontainer oder Geräte wie etwa Pens und Autoinjektoren zur Selbstmedikation herstellen. Allerdings gibt es auch für sie bereits Lösungen zum Erstöffnungsschutz wie das NFC-Label für Autoinjektoren von Schreiner Medipharm. NFC ist die Abkürzung für Near Field Communication. Dies ist ein Funkstandard zur drahtlosen Datenübertragung, der auf RFID-Technik basiert – mit der Besonderheit, dass zwischen beiden Geräten ein Abstand von wenigen Zentimetern ausreicht, damit eine Datenübertragung stattfinden kann.
Das NFC-Label von Schreiner Medipharm umschließt den Autoinjektor einschließlich der Kappe und verfügt über einen integrierten NFC-Chip, der sich ganz einfach via Smartphone-App auslesen lässt. Vor dem ersten Öffnen der Kappe prüft der Patient zunächst, ob das Produkt ein Original ist und erhält eine entsprechende Bestätigung. Nach dem Öffnen von Kappe und Label und anschließendem, erneutem Auslesen des NFC-Chips erscheint ein Warnhinweis auf dem Smartphone, der anzeigt, ob das Produkt bereits geöffnet und möglicherweise manipuliert wurde. Patienten können somit einfach, schnell und überall ihre Injektionshilfe auf Unversehrtheit prüfen.
Smarte Verpackungen nutzen NFC oder Augmented Reality
Das Beispiel des NFC-Chips zeigt, dass die Verknüpfung von physischer und digitaler Welt bereits bei Pharmaverpackungen angekommen ist. „Smarte Verpackungen bilden eine perfekte digitale Brücke zwischen Hersteller, Händler, Konsumenten und Social-Media-Kanälen. Was heute vielfach noch zum Schutz und zur Kennzeichnung der Ware dient, wird in Zukunft durch digitale Technologien vermehrt neue Funktionen erhalten“, ist Franz Emprechtinger überzeugt, Head of Innovation beim Wiener Beratungsunternehmen Lead Innovation Management. „So erfüllen intelligente Verpackungen zum Beispiel durch Barcodes, LEDs, Augmented Reality, NFC, Lautsprecher, Funkchips oder Displays auch Informations-, Automatisierungs-, Marketing- oder Schutzfunktionen.“
Emprechtinger nennt als Beispiel intelligente Medikamentenverpackungen mit eingebauten RFID-Chips, LEDs und winzigen Lautsprechern, welche die Pillenentnahme registrieren und bei falscher Einnahme Alarm schlagen oder sogar den behandelnden Arzt informieren. Ebenso Verpackungen mit NFC-Chips, die mittels eines NFC-Lesegeräts – das kann ein Smartphone sein – das Vorlesen des Beipackzettels und die Nachbestellung des Medikaments ermöglichen. „Das so genannte Extended Packaging bietet Smartphone-Usern zusätzliche Produktinformationen zu Herkunft, Produktionsbedingungen oder Inhaltsstoffen“, sagt Emprechtinger. „Durch das Scannen von Barcodes oder RFID-Chips können die Informationen in Verbindung mit einer passenden App im Internet aufgerufen werden.“
Individualisierung von Daten durch Digitalisierung
Auch die Individualisierung von Daten ist durch smarte Verpackungen möglich. So hat Faller im Frühjahr 2018 mit dem Smart Packaging Prototyp „Medical Prescription“ eine digitalisierte Faltschachtel vorgestellt, die Patienten dabei unterstützt, ihre Medikamente nach den Vorgaben einzunehmen. Die Verpackungslösung mit kleinem E-Paper-Display und elektronischen Tasten zählt die Tabletten herunter, erinnert den Patienten an die korrekte Uhrzeit zur Einnahme und meldet sich, wenn es Zeit ist, ein neues Rezept zu bestellen. Der besondere Clou: Mithilfe einer App und via Bluetooth können Arzt oder Apotheker die erstellte individuelle Einnahmeverordnung an die Faltschachtel übertragen.
Um die Medikamenteneinnahme speziell während klinischer Studien zu optimieren, hat Schreiner Medipharm gemeinsam mit dem niederländischen Technologieunternehmen ECCT und einem Pharmakonzern eine smarte Blisterverpackung realisiert: Drückt der Anwender eine Tablette aus der Blisterverpackung, werden in Echtzeit Daten generiert, wie Medikamententyp, Zeitpunkt der Entnahme und die betreffende Kavität. Diese Daten werden dann automatisch in der Verpackung gespeichert und via Smartphone-App oder Auslesegerät an eine Datenbank übertragen. Damit lässt sich die Compliance des jeweiligen Probanden exakt nachverfolgen.
Zusätzlich ist es möglich, eine Erinnerung zur Medikamenteneinnahme an den Patienten zu senden, die Dosis anzupassen und den Probanden mittels interaktiver Kommunikation zwischen Arzt und Patient in der Therapietreue zu unterstützen. Diese intelligente Verpackungslösung integriert unter anderem gedruckte Elektronik, ohne das Verpackungsdesign zu beeinflussen. Eine Datenbankplattform bietet vielfache Datentransfers und Analysemöglichkeiten.
Individualisierte Informationen für den Patienten
Voraussetzung für individualisierte Informationen auf der Verpackung ist die passende Drucktechnologie: So kann das Schweizer Maschinenbauunternehmen Dividella innerhalb des Verpackungsprozesses mittels Inkjet- und Laserdruckverfahren einen QR-Code auf Verpackungen aufbringen, die bereits mit dem Kundennamen individualisiert wurden. Wird dieser Code über eine entsprechende Anwendung auf einem Smartphone eingelesen, landet der Patient auf einer Internet-Seite, die für ihn individualisierte Informationen beispielsweise zur Art der Einnahme bereithält.
Einen ähnlichen Weg geht der Schweizer Faltschachtelhersteller Rondo mit der Integration von NFC-Technologie in Faltschachteln. Zum Auslesen der Daten wird lediglich ein geeignetes Endgerät wie ein Smartphone benötigt. „Unsere Faltschachtel ermöglicht die direkte Kommunikation zwischen Patient und Verpackung. Zudem eröffnet sie neue Dialogmöglichkeiten zwischen Patient, Arzt und Apotheker“, sagt Marc Helfenstein, Head of Packaging Development bei Rondo.
Eine neue smarte Methode stellt für Rondo der Einsatz von Augmented Reality dar. Hierbei liest eine speziell entwickelte App für das menschliche Auge nicht wahrnehmbare Referenzpunkte auf der Verpackung aus und erzeugt über das Smartphone eine so genannte erweiterte Realität. Auf diese Weise können Hersteller pharmazeutischer Produkte die Kommunikationsfläche ihrer Verpackungen laut Rondo theoretisch ins Unendliche erweitern.
Ökologisch sinnvolle Lösungen sind gefragt
Ein weiteres großes Thema, das auf der Pharmapack in Paris auch im Forenprogramm diskutiert wird, ist die Nachhaltigkeit von Verpackungen im Gesundheitswesen. Die anhaltende Diskussion in der Öffentlichkeit „über Kunststoffe, welche die Ozeane verunreinigen, hat zu Diskussionen innerhalb des Gesundheitswesens geführt. Einige Krankenhäuser denken bereits darüber nach, zum Verpacken von Medizinprodukten wieder Liners zu verwenden, was eine echte Gefahr für die Patientensicherheit darstellen kann“, sagt Mira Santala, Produktmanagerin für die sterilen Verpackungen der Marke Steriking bei Wipak.
Flexible Kunststoffe gehören für den finnischen Verpackungshersteller zu den effizientesten Materialien für die Verpackung von sterilem medizinischem Material und zur Vermeidung von Kontaminationen. Und dies geht auch nachhaltig: So hat Wipak mit Fitform eine tiefziehbare Folie auf PA/PE-Basis neu im Programm, die speziell für die sterile Verpackung von Medizinprodukten und medizinischen Instrumenten entwickelt wurde. Bei ihr wurden die Strukturen im Vergleich zu marktüblichen Verbunden um bis zu 20 % reduziert – bei gleichbleibender mechanischer Festigkeit. Auch in punkto Barriereeigenschaften ist die Folie mit dickeren Verbunden vergleichbar.
Der Wiener Verpackungshersteller und Pharmapack-Aussteller Constantia Flexibles hat in Paris mit Ecover eine Lösung für einen Aluminiumdeckel im Gepäck, die eine 50 % geringere Kohlenstoffbilanz verspricht: Ecover ersetzt als dünnere Aluminiumschicht Standard-Aluminiumdeckel. Im Recyclingprozess wird das Aluminium dennoch als solches erkannt und für das Aluminiumrecycling aussortiert. In Kombination mit dem UV-Flexodruck ist die Herstellung von Ecocover auch komplett lösungsmittelfrei.
Weitere Informationen
Faller auf der Pharmapack: Stand D28, www.august-faller.com
Cflex/ Constantia Flexibles auf der Pharmapack: Stand D72, www.cflex.com
Dividella/Korber Medipak Systems auf der Pharmapack: Stand G66, www.dividella.ch
Über Lead Innovation: www.lead-innovation.com
Über Rondo Packaging: www.rondo-packaging.com
Schreiner Group auf der Pharmapack: Stand B32, www.schreiner-group.com
Über Secupharm: www.securpharm.de
Wipak auf der Pharmapack: Stand D54, www.wipak.com
Über die Pharmapack
Die Pharmapack Europe ist eine jährlich stattfindende, zweitägige Fachmesse, die sich der Verpackung und dem Handling pharmazeutischer Artikel widmet. Mehr als 400 Aussteller werden am 06. und 07. Februar 2019 in Paris Entscheidungsträgern aus Pharmazie, Biotechnologie und dem Gesundheitswesen ihre Produkte, Dienstleistungen und ihr Know-how präsentieren. Eine Konferenz mit renommierten Fachleuten der Branche setzt sich mit aktuellen Themen und Trends auseinander. Auch werden die Pharmapack Awards verliehen, die herausragende Verpackungstechniken würdigen.
Mehr über die Messe bei medizin&technik: