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Im Miniatur-Labor den Tumor genauer erforschen

Mikrophysiologische Systeme
Im Miniatur-Labor den Tumor genauer erforschen

Im Miniatur-Labor den Tumor genauer erforschen
In dem mikrophysiologischen System lassen sich bis zu zehn Gewebeschnitte auf einem Chip kultivieren (Bild: minkus-images.de/Fraunhofer IWS)
In Miniatur-Laboren – so genannten mikrophysiologischen Systemen – lassen sich Gewebeschnitte von Tumoren kultivieren. Forschende erhoffen sich dadurch genauere Einblicke in das Entstehen von Tumoren und Metastasen.

Warum entsteht ein Tumor? Welche Faktoren begünstigen das Wachstum von Krebszellen? Weshalb breiten sich Metastasen im Laufe der Zeit auf weitere Organe aus? Die bislang hauptsächlich verwendeten Tiermodelle bilden die tatsächlichen Abläufe im menschlichen Körper nur begrenzt ab. Das Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS in Dresden hat daher mit dem Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin ITEM in Hannover sowie der Universität Regensburg spezielle Mikrosysteme entwickelt. Darin untersuchen die Forscher nun Gewebeschnitte unter realitätsnahen Bedingungen.

Mikrophysiologische Systeme in der Größe einer Tablettenschachtel entwickelt das Fraunhofer IWS bereits seit mehreren Jahren erfolgreich. Damit lassen sich Organfunktionen oder auch Krankheitsprozesse mithilfe von Zellkulturen künstlich darstellen, Erkrankungen außerhalb des Organismus erforschen und Medikamente testen.

„Wir schichten dafür mehrere Lagen Kunststofffolie übereinander“, erklärt Stephan Behrens, Entwicklungsingenieur am Fraunhofer IWS. Laser strukturieren diese, es entstehen Kanäle und Kammern, Pumpen und Ventile. Damit bilden die Forschenden Vorgänge im menschlichen Körper modellhaft ab. In den mikrophysiologischen Systemen zirkuliert eine blutähnliche Flüssigkeit, die Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt.

Hier kommt nun das Fraunhofer ITEM ins Spiel. Der Leiter des Bereichs Personalisierte Tumortherapie, Prof. Christoph Klein, ist auch am Lehrstuhl für Experimentelle Medizin und Therapieverfahren an der Universität Regensburg tätig. Seinem Team wurde gemeinsam mit der Universität Erlangen-Nürnberg 2020 ein Sonderforschungsbereich bewilligt, um aufzudecken, wie Metastasen die Organe besiedeln. Er trat daher an das IWS heran mit dem Wunsch, in den mikrophysiologischen Systemen die Metastasierung von Tumoren zu erforschen.

Tumor und Immunsystem
interagieren auf einem Chip

„Um dies untersuchen zu können, war es für uns wichtig, mehrere Tumorgewebeschnitte in unser mikrophysiologisches System zu integrieren“, sagt Florian Schmieder, Gruppenleiter am Fraunhofer IWS. Erstmals weltweit sei das in diesem Projekt gelungen.

Bis zu zehn Gewebeschnitte können nun parallel auf einem Chip kultiviert werden. Das Team am Fraunhofer IWS realisierte zusätzlich Öffnungen, an denen es zu jeder Zeit Proben zur Untersuchung entnehmen kann. „Außerdem lassen sich wichtige Parameter wie der CO2-Gehalt, der pH-Wert oder die Sauerstoffkonzentration kontinuierlich messen“, führt Schmieder weiter aus. „Die dafür verwendeten Sensoren messen direkt im mikrophysiologischen System und lassen sich für weitere Untersuchungen wiederverwenden.“

Wissen rund um Gewebeschnitte brachten Experten des Fraunhofer ITEM ein. „Bei der Operation eines Patienten mit einem Lungentumor wird nicht nur der Tumor selbst, sondern auch gesundes Gewebe entnommen“, sagt Prof. Armin Braun, der am Fraunhofer ITEM den Bereich Präklinische Pharmakologie und Toxikologie leitet. Gewebe-Scheibchen mit einer Dicke von nur 350 µm und einem Durchmesser von etwa 1 cm lassen sich noch gut mit Nährstoffen versorgen.

Auf dem Chip blieben sie im mikrophysiologischen System längere Zeit vital. „Wir können somit die Interaktion des humanen Immunsystems mit dem Tumor beobachten“, so Braun. Alle relevanten Immunzellen seien im Schnitt vorhanden. „Damit sind wir sehr nah am realen System, viel näher als das mit Tiermodellen möglich wäre.“

Umgebungsbedingungen sind ein Schlüssel fürs Verständnis

Wie also entwickelt sich der Krebs und wie breitet er sich im Körper aus? Ein wichtiger Punkt: Der Stoffwechsel im Tumor unterscheidet sich von dem in Normalgewebe. Hohe Sauerstoffkonzentrationen und der pH-Wert in einem Organ können Metastasen begünstigen. Diese Umgebungsbedingungen wollen die Forschenden am Fraunhofer IWS noch effektiver in den Mikrosystemen einstellen. Bisher können sie beispielsweise den Sauerstoffgehalt im kompletten System verändern. Eine Herausforderung sei es, unterschiedliche O2-Konzentrationen auf einem Chip zu ermöglichen, um die Reaktion der Tumorzellen und Metastasen darauf zu beobachten.

Ideal wäre es, wenn sich mehrere Gewebearten eines Patienten kombinieren ließen. „Solche Proben gibt es in der Realität aber äußerst selten“, führt Schmieder aus. Möglich sei es jedoch, Blutproben und Gewebe des gleichen Patienten im System zusammenzubringen. In Kombination mit den verschiedenen Sensoren ergibt sich so ein Mehrwert, der bisher über andere Verfahren nicht erreichbar ist. Damit lässt sich die Technologie auch als sinnvolle Alternative zu bisherigen Tierversuchen einsetzen. Komplett auf Tiermodelle verzichten könne die Forschung vorerst aber leider noch nicht.

Parallel arbeitet das 15-köpfige Team des Fraunhofer IWS auch an Projekten, die den Einsatz von Gewebeschnitten für andere Erkrankungen testen. Ein Beispiel ist die Fibrose. Dabei findet eine veränderte Reaktion des Immunsystems mit dem Gewebe statt, das daraufhin krankhaft verhärtet und seine Funktion teilweise verliert. Diese Vorgänge schränken die Funktion von Geweben und Organen ein. „Wir arbeiten im Fraunhofer-internen Projekt Fibropaths an dieser Fragestellung“, sagt Schmieder. Es sei zu klären, welche spezifischen Systeme die einzelnen Gewebe im Minilabor brauchen, um sie länger kultivieren zu können.

Die bisherigen Ergebnisse stimmen Prof. Klein positiv. „Wenn wir Erkrankungen untersuchen möchten, ist das eine neue sehr interessante Möglichkeit, die sich uns bietet“, sagt der Mediziner. (op)

www.iws.fraunhofer.de

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