Schweden | Kooperation ist das große Stichwort für Forschung in Schweden. Zwar ist die staatliche Zuwendung im Gesundheitswesen nicht mehr ganz so üppig wie noch vor zwanzig Jahren, aber neue Initiativen und Netzwerke sind viel versprechend.
Anke BiesterFachjournalistin in Aichstetten
Schweden – da denken viele an weite, einsame Landschaften, Pippi Langstrumpf und Ikea. Und eigentlich stehen diese drei ganz gut für die Eigenschaften der schwedischen Forschungslandschaft, die das Land so einmalig machen: Hier kommt gut zurecht, wer offen ist, sich mit anderen zusammentut, ungewöhnliche Ideen verfolgt und dafür pragmatische Lösungen findet. Auf diese Weise entstanden einst der Herzschrittmacher und die stereotaktische Radiochirurgie, auch Gamma-Knife genannt. In jüngster Zeit wurden so auch der HIV-Tracker und das patientenspezifische Schädelimplantat, Ossdsign Cranial entwickelt – beides Success Stories made in Sweden.
Das kommt nicht von ungefähr, wie Anders Lundqvist, Chief Executive Officer von Ossdsign aus Uppsala bestätigt: „Ossdsign ist das Ergebnis enger Zusammenarbeit zwischen akademischen Institutionen und Industrieunternehmen. Während unserer Entwicklungsphase profitierten wir sehr von dieser Zusammenarbeit, und die Nähe zu weltweit führenden Forschungsinstituten erlaubte uns, unseren Return on Investment in Forschung und Entwicklung zu maximieren.“ Patienten, Ärzte und Kliniken profitierten von dieser Zusammenarbeit, die zu verbesserten klinischen Ergebnissen in der Cranioplastik und der rekonstruierenden Gesichtschirurgie geführt habe, führt Lundqvist weiter aus. Kein Wunder also, dass das Land laut Innovation Union Scoreboard 2015 über das beste Innovationssystem der EU verfüge.
Natürlich spielt in Schweden die staatliche Förderung, wie in anderen EU-Ländern auch, eine große Rolle. Und die schwedische Regierung hat in jüngster Zeit Medizin und Biowissenschaften zu einem strategischen Schlüsselbereich erklärt, der gezielt zu fördern ist. Ein besonderer Schwerpunkt wird bei der durchgehenden Digitalisierung des Gesundheitssystems gesetzt.
Wichtig für die Förderung anwenderorientierter Forschung ist die Schwedische Regierungsagentur „Vinnova“. Über so genannte Vinn Excellence Centers fördert sie viel versprechende Forschungsarbeiten, darunter auch solche im Bereich Medizintechnik. Immer im Fokus: Die Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Kliniken und Industrie – und das Ziel ist, dass die Anstrengungen jeweils in ein Produkt oder eine Dienstleistung münden.
Für den Bereich Life Science startete Vinnova 2014 das Programm Swe Life – zur Bekämpfung von Volkskrankheiten. Explizit für Medizintechnik ging Ende 2015 das Programm Medtech 4 Health an den Start – für strategische Innovation im Gesundheitswesen. Allein für letzteres stellt Vinnova 97 Mio. SEK für die ersten drei Jahre zur Verfügung. Das Programm soll als Knotenpunkt zu EU-basierten Initiativen dienen, wie zum Beispiel zu Horizon 2020. Sein ambitioniertes Ziel: Schweden bis 2020 zu dem europäischen Land zu machen, dass das größte Wachstum an Innovationen im Mediziningenieurwesen aufweist. Noch steckt das Programm jedoch in der Anfangsphase.
Life Sciences und Bioengineering sind inzwischen ebenfalls einer der Schwerpunkte der regierungsfinanzierten Swedish Foundation for Strategic Research. 2014 stellte diese für acht Forschungsprojekte im Bereich Medizintechnik je 30 bis 33 Mio. SEK für fünf Jahre zur Verfügung – darunter Lab-on-a-chip-Microvesicle-Diagnostik für Kliniken und tragbare Sensoren in smarten Textilien. Und natürlich gibt es daneben noch diverse Fördergelder, zwar nicht explizit für Medizintechnik, aber durchaus für diverse Projekte in diesem Bereich. Kooperationen zwischen Universitäten, Kliniken und Industrie sind ausdrücklich gewollt und werden tatkräftig unterstützt. Es gibt sogar eine von der Schwedischen Regierung und der Industrie gegründete Kommunikationsplattform „Symbio Care, Health by Sweden”.
An reale Bedürfnisse angepasste Lösungen
Wie wichtig dem Staat solche Kooperationen sind, zeigt auch das Beispiel des „Swedish Testbed for Innovative Radiotherapy“. Koordiniert vom Innovation Centre am Karolinska University Hospital in Stockholm nehmen an ihm alle Schwedischen Universitätskliniken teil, sechs spezialisierte Unternehmen sowie regionale Krebszentren. Das Ziel hier: Produkte, Dienstleistungen und organisatorische Lösungen zu entwickeln, die im Gesundheitsbereich wirklich gebraucht werden. Das größte beteiligte Unternehmen ist die Elekta Instrument AB, mit Hauptsitz in Stockholm. „Wir haben eine lange Tradition enger Zusammenarbeit mit klinischen und akademischen Partnern“, sagt Jonas Gårding, Director Scientific Research and New Innovation Areas des Unternehmens. „Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für uns.“ Die meisten, wenn nicht gar alle der derzeitigen Lösungen wurzelten in irgendeiner Form in der Innovation mit den Partnern. Das Testbed bietet laut Gårding sowohl Zugang zu klinischer Expertise als auch zu Patienten aus dem ganzen Land – „und das ermöglicht es uns, Innovationen voranzutreiben und sicherzustellen, dass die Lösungen, die wir entwickeln, an die realen klinischen Bedürfnisse angepasst sind.“
Von Berührungsängsten zwischen Klinik, Patienten und Industrie ist in Schweden also nicht zu sprechen. Ganz im Gegenteil: Auch die Patienten haben großes Vertrauen in Forschung und Industrie. Hinzu kommt, dass in Schweden Patientendaten über das Gesundheitssystem über Jahre verfolgt werden können. Das macht Schweden zu einem attraktiven Land für real world evidence, also für Data-Mining-Studien.
Forschung auf das Land verteilt – Stockholm als Schwerpunkt
Und wie ist die Forschungsaktivität im Land selbst verteilt? Gute Netzwerke und übergreifende Zusammenarbeit gibt es in allen Großstadtregionen Schwedens: in Stockholm, Göteborg und Malmö/Lund. Der wichtigste Stützpunkt mit regen Forschungsaktivitäten liegt in der Region Stockholm, insbesondere im Umfeld des Karolinska Instituts. Hier entsteht zurzeit die neue Stockholmer Universitätsklinik, das Nya Karolinska Solna, ein hochmodernes Großklinikum mit 320 000 m² Bruttofläche und angegliedertem Forschungsinstitut. Das Klinikum soll Ende diesen Jahres bereits seine Türen öffnen, das Forschungsinstitut 2017 folgen. In der Nähe, in Hagastaden, zwischen Stockholm and Solna, entsteht ein neues Areal für Forschungsunternehmen und -einrichtungen im Bereich Life Sciences. Hier wird auch „Stockholm Life” Solna-Stockholm, ein Zentrum für Forschung und Entwicklung in Life Sciences, angesiedelt.
Gebündelte, Disziplinen übergreifende Forschungsförderung bietet ebenfalls das 2015 gegründete CTMH „Zentrum für Technik in Medizin und Gesundheit“. Geleitet von der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm, sind daran elf Landkreise, sieben Universitätskliniken, zehn Universitäten, drei Forschungsinstitute sowie 64 Unternehmen beteiligt: Das CTMH soll Stockholm als Medtech-Cluster der Weltklasse vorantreiben und eine F&E-Umgebung schaffen, die nicht nur einzigartig in Schweden, sondern auch weltweit unter den Top Fünf sein soll.
Ebenso aktiv ist der Großraum Göteborg. Zum Beispiel über das Joint Venture Med Tech West. In ihm sind die Chalmers University of Technology, die Gothenburg University, die University of Borås, die Västra Götalandsregionen sowie das Sahlgrenska University Hospital beteiligt. Auch hier gibt es vor Ort gleich einen Forschungspark, den Sahlgrenska Science Park.
Erfolgreiche binationale Cluster
Nicht zu vergessen ist die Region Schonen am südlichsten Landzipfel Schwedens, mit den schwedischen Städten Malmö und Lund sowie dem dänischen Kopenhagen, die sich zur Medicon Valley Alliance (MVA) zusammengeschlossen haben. Vergleichbar mit der Øresundbrücke verbindet die MVA Schweden und Dänemark, verschiedene Disziplinen und die öffentliche mit der privaten Hand – über zwölf Universitäten, 32 Kliniken, 200 Firmen und sieben Science Parks. Noch weiter streckt nur die Deutsch-Schwedische Biotech Hanse die Hände aus, in der sich Unternehmen und Institute beider Länder rege austauschen. Wenn Schweden seine Ziele erreicht, wird vielleicht der Name der eine oder anderen Universität oder Firma aus dem Bereich Life Science und Medizintechnik international ähnlich bekannt sein wie der des Möbelriesen. ■
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