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Ein Bund fürs Kleben

Verbindungstechnik: Implantate und Katheter haften nach Miesmuschel-Art
Ein Bund fürs Kleben

Fraunhofer-Forscher stellen synthetisch das klebende Sekret her, das Miesmuscheln so fest an allen Untergründen haften lässt. Für Klebstoffe, die in salzigen und feuchten Umgebungen halten, gibt es Bedarf in der medizintechnischen Industrie.

Haften an spiegelglatten Oberflächen, Kleben in feuchter Umgebung: Bei solchen Anforderungen in medizinischen Anwendungen versagen viele herkömmliche Klebstoffe oder können wegen schädlicher Inhaltsstoffe nicht eingesetzt werden. Den „perfekten Klebstoff“ für diese Fälle produzieren jedoch Miesmuscheln, die sich damit an Holz-Pfähle, Kaimauern oder Schiffsrümpfe binden – so fest, dass sie für die Schifffahrt zum Ärgernis werden.

„Üblicherweise verlieren Klebstoffe unter Salzwasser oder in feuchtwarmer Umgebung ihre Haftung auf Oberflächen. Das Sekret der Miesmuschel hingegen erreicht dann seine Bestform“, erläutert Dr. Ingo Grunwald, Biologe am Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM). Daher braucht jedes Tier nur winzige Mengen Klebstoff. Um 1 g des klebenden Materials aus gewachsenen Schalentieren zu extrahieren, sind etwa 10 000 Muscheln erforderlich – was den Preis von rund 200 000 Euro pro Gramm erklärt. Wegen der hohen Kosten wurde bisher kaum untersucht, was dieser Stoff in medizinischen oder technischen Anwendungen leisten könnte. Dabei weist der Klebstoff für die Versorgung von Wunden und Knochenbrüchen interessante Eigenschaften auf.
Der Klebstoff könnte bei der Versorgung von Schnittwunden das Nähen ersetzen, gebrochene Knochen verbinden oder als Fixierhilfe für Bänder dienen. Weitere Einsatzfelder sind beispielsweise Reparaturen der Netzhaut und das Befestigen von Zahnersatz. Der Miesmuschel-Klebstoff werde vom Körper auch relativ gut vertragen, sagen die IFAM-Forscher. Bisher in der Medizin verwendete Klebstoffe hingegen ließen sich nur begrenzt verwenden, weil sie beispielsweise beim Polymerisieren das umgebende Gewebe zu stark erhitzen, was Nervengewebe oder den Herzmuskel gefährden würde. Ein weiteres Risiko sei, dass ein Cyanacrylat, das in der Medizin heute eingesetzt wird, beim Zerfallen Gifte wie Formaldehyd freisetzen könne.
Den Bremer Forschern ist es inzwischen gelungen, das Naturprodukt im Labor herzustellen. Damit wollen sie den Weg für eine kostengünstige industrielle Produktion öffnen und wecken auch das Interesse von Ärzten und medizintechnischen Firmen an weitergehenden Tests.
Die Zusammensetzung des Muschel-Klebstoffs haben Biologen und Chemiker schon entschlüsselt, auch wenn es dabei darum ging, für Reedereien und Hafenverwaltungen nach einem Mittel gegen die Muschelplage zu suchen. Für mögliche Anwendungen in der Medizintechnik beschreiten die Forscher am Fraunhofer IFAM nun den umgekehrten Weg: Sie bauen den Muschel-Klebstoff nach und nutzen verschiedene Ansatzpunkte, um seine Eigenschaften gezielt zu verändern. „Wir sind im Gespräch mit Ärzten. Sie nennen uns ihre Anforderungen, an die wir unseren Klebstoff anpassen wollen“, erläutert Dr. Klaus Rischka, Chemiker am Fraunhofer IFAM.
Die Grundlage des Klebstoffs, den die Miesmuschel aus ihren Drüsen absondert, bilden spezielle Proteine. Sie können mit fast jeder Oberfläche chemisch so reagieren, dass die Tiere fest anhaften. Für diese Flexibilität sorgt vor allem ein Protein-Baustein: die Aminosäure Dopa. Darüber hinaus können die Drüsen der Miesmuschel Klebfäden produzieren, die sowohl elastische als auch feste Fasern enthalten. So sind die Tiere in der Lage, sich mit harten wie auch mit weichen Materialien flexibel zu verbinden und unterschiedlichen Zugkräften zu widerstehen.
Die Bremer übertragen diese Strukturelemente auf das technisch hergestellte Produkt. Dafür nutzen sie einen Festphasen-Peptid-Synthesizer: Die Aminosäuren, aus denen sich die Proteine zusammensetzen, werden maschinell an Kunststoffkügelchen angelagert und in einer festgelegten Reihenfolge chemisch miteinander verknüpft. Ketten aus maximal 50 Aminosäuren lassen sich so herstellen.
Jedes Klebstoff-Protein der Miesmuschel besteht allerdings aus etwa 800 Aminosäuren. Daher müssen sich die Forscher die Struktur der Proteine zunutze machen: Deren Grundkomponente ist eine Kette aus nur zehn verschiedenen Aminosäuren, die sich bis zu 80 Mal wiederholt. Diese Zehner-Ketten lassen sich im Labor nachbauen und dann zu größeren Gebilden zusammenfügen.
Wenn sich die Muschel an einen Untergrund heftet, gibt sie zusätzlich zum Struktur-Protein noch ein Enzym ab, dass dessen Vernetzung auslöst. Diesen Effekt imitieren die Forscher mit Peroxiden.
Erste Funktionstests mit dem künstlichen Kleber laufen derzeit: Eine technische Anwendung in Zusammenarbeit mit der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA lieferte vielversprechende Ergebnisse. Hier wurden Teile aus Polycarbonat verklebt, und die Arbeiten sollen in einem weiteren Projekt fortgesetzt werden.
Aus der Medizintechnik-Branche haben sich Chirurgen und Implantathersteller als Interessenten gemeldet. „Die Schlüsselgruppe des Klebers, Dopa, hat eine extrem hohe Bindungsaffinität zu metallischen Oberflächen“, sagt Grunwald. Das könnte beim Fixieren von Titan-Implantaten von Vorteil sein, und in diesem Bereich sei der Einsatz eines Hochpreis-Klebstoffes gerechtfertigt. Auch für Klebaufgaben an Kathetern scheint der synthetische Muschelkleber in Frage zu kommen.
Die bisherigen Ergebnisse bei der Herstellung im Labor stimmen die Forscher optimistisch. „Das Upscaling wäre kein Problem“, meint Chemiker Rischka. Aber bevor größere Mengen hergestellt werden, wollen die Bremer an den Eigenschaften des synthetischen Klebstoffes noch feilen.
Mit dem Einsatz in der Praxis ist mittelfristig zu rechnen– drei bis fünf Jahre halten Grunwald und Rischka für realistisch. Eine Zulassung nach dem Medizinproduktegesetz oder auch die Frage nach der Sterilisierung ihres Klebstoffes wollen die Forscher zusammen mit zukünftigen Projektpartnern aus der Industrie angehen. op
Weitere Informationen https://ifam.fraunhofer.de

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