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Superkrankenhäuser: Was das neue Gesundheitssytem in Dänemark ändert

Superkrankenhäuser: Dänemark investiert 5,6 Mrd. Euro und setzt für sein Gesundheitssystem auf modernste Technik
Die Zukunft hat schon begonnen

Die Zukunft hat schon begonnen
Schöne neue Krankenhauswelt: So soll das Universitätsklinikum von Køge aussehen, einer von sechs Superkrankenhaus-Neubauten in Dänemark Bild: C.F. Møller Architects
Ein kleines Land denkt groß: Dänemark will in den kommenden zehn Jahren 18 Superkrankenhäuser verwirklichen, um sein Gesundheitssystem für die Zukunft zu rüsten. E-Health und Telemedizin sind dabei wichtige Mittel, um den Spagat zwischen Einsparungen und Qualität zu schaffen.

Nördlich von Aarhus wird eine neue Stadt aus dem Boden gestampft. Eine Stadt mit Straßen und Plätzen, mit lebendigen Vierteln und Arbeitsplätzen für fast 10 000 Menschen. Eine Krankenhausstadt. Das neue Universitätsklinikum von Aarhus gilt als derzeit größtes Krankenhaus-Bauvorhaben in Nordeuropa. Wenn es 2019 fertiggestellt sein wird, hat Dänemark ein neues Super-Superkrankenhaus. Eine Megaklinik. Ein Meilenstein im Umbau des Gesundheitssystems.

Denn das kleine Land hat noch Größeres vor: Bis 2025 werden weitere 17 Superkrankenhäuser verwirklicht. 42,7 Milliarden Kronen, rund 5,6 Mrd. Euro, investieren der Staat und die fünf Regionen in sechs Neubauten in Aarhus, Aalborg, Gødstrup, Odense, Køge und Hillerød sowie Ausbau und Erneuerung bestehender Hospitäler – das entspricht 1000 Euro für jeden der 5,6 Millionen Einwohner. Jedes dritte dänische Krankenhaus wird modernisiert.
„Die neuen Superkliniken sind das größte Upgrade in der Geschichte der dänischen Krankenhäuser“, sagt Thomas Hammer-Jakobsen. Er leitet das Ende 2014 von der Hauptstadtregion und der Stadt Kopenhagen gegründete Copenhagen Healthtech Cluster (CHC), das die Region Kopenhagen zum internationalen europäischen Hotspot für innovative Gesundheitstechnologien machen möchte. CHC will Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Akteure im Gesundheitswesen zusammenbringen, um die besten Lösungen für den weiteren Ausbau der E-Health-Infrastruktur zu finden.

Dänemark sucht nach Rezepten für sein neues Gesundheitssystem

Wie alle westlichen Industrienationen sucht auch Dänemark nach passenden Rezepten, um den Herausforderungen einer alternden Bevölkerung und einer wachsenden Zahl chronisch kranker Menschen zu begegnen. Gleichzeitig geht es darum, das Gesundheitswesen so straff wie möglich zu organisieren. CHC wie die dänische Regierung sind davon überzeugt, dass sich die Kosten für das Gesundheitswesen senken lassen, ohne dabei die Qualität zu verschlechtern.
Ganz im Gegenteil. Das Stichwort lautet: Konzentration. Um die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern und zugleich die Ressourcen möglichst effektiv zu nutzen, wird die Zahl der Krankenhäuser mit 24-Stunden-Notfallversorgung halbiert. Kleinere Krankenhäuser werden zum Teil geschlossen, zugunsten großer, spezialisierter Kliniken. Schon heute dauert der Krankenhausaufenthalt im Schnitt nur 3,8 Tage – kein EU-Land schickt die Patienten schneller nach Hause. Ziel ist es, das Gesundheitssystem noch stärker zu digitalisieren und zu vernetzen und auf eine ambulante Behandlungsweise hin auszurichten.
„Durch den direkten Austausch von Informationen zwischen den Akteuren, den Einsatz von Telemedizin und optimaler logistischer Lösungen sollen die Krankenhäuser der Zukunft effizienter werden und gleichzeitig die Versorgungsqualität der Patienten erhöhen“, erklärt Sylvie Bove. Sie leitet den Bereich Life Science der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Copenhagen Capacity, die auch die Arbeit des Copenhagen Healthtech Clusters koordiniert. Die Non-Profit-Organisation unterstützt ausländische Unternehmen, die mehr über die Möglichkeiten im Großraum Kopenhagen erfahren oder sich an den kommenden Ausschreibungen beteiligen möchten.

Investitionen in neue Superkrankenhäuser und medizinischen Lösungen

CHC-Chef Hammer-Jakobsen spricht von der einzigartigen Möglichkeit, die dänischen Krankenhäuser im Hinblick auf flexible Arbeitsabläufe, den Einsatz von Technik und einheitliche Versorgungsstrukturen neu zu überdenken. Mit öffentlichen Investitionen in neue Superkrankenhäuser und medizinischen Lösungen, die von privaten Unternehmen geliefert werden, könne der öffentliche Sektor das Wachstum fördern, gleichzeitig neue Arbeitsplätze schaffen und den dänischen Bürgern ein besseres Leben ermöglichen. Erst im Januar hat die Stadt Kopenhagen einen Investitionsplan über umgerechnet rund 2 Mio. Euro für Telemedizinprojekte verabschiedet.
Rund ein Fünftel der Investitionssumme von 5,6 Mrd. Euro für die Superkrankenhäuser wird für modernste Medizin- und EDV-Technik ausgegeben. Viele der Produkte, die für den Aufbau der neuen Krankenhaus-Infrastruktur notwendig sind, sollen im Ausland beschafft werden. Copenhagen Capacity unterstützt Unternehmen bei der Kommerzialisierung und Internationalisierung von Healthtech-Lösungen, was die Suche nach Partnern oder möglichen internationalen Kooperationen einschließt. Kostenlose Unterstützung gibt es unter anderem, wenn es ums Eröffnen einer Niederlassung oder die Suche nach Räumen und Personal geht.
Auch die Life-Science-Branche boomt in Dänemark. Allein im Medicon Valley haben sich fast 500 Unternehmen angesiedelt. Das Life-Science-Cluster in der Öresund-Region, das sich über den Großraum Kopenhagen und die südschwedische Provinz Schonen erstreckt, zählt zu den stärksten in Europa. In den nächsten Jahren werden hier weitere Tausende von qualifizierten Arbeitskräften benötigt. „Die führenden Life-Science-Unternehmen in Kopenhagen suchen Talente und Mitarbeiter, die gern Teil einer lebendigen und innovativen Industrie sein möchten“, sagt Thomas Hammer-Jakobsen. Internationale Bewerber sind willkommen.

Bei E-Health hält Dänemark in Europa die Spitzenposition

Und Dänemark steht europaweit an der Spitze, wenn es um den Einsatz von E-Health im Krankenhaus geht. Alle Kliniken benutzen die Elektronische Gesundheitsakte (EHR) und auch Allgemeinmediziner tauschen medizinische Daten elektronisch aus. Rezepte werden ohnehin fast nur noch online an die Apotheken übermittelt. Bei telemedizinischen Lösungen macht den Dänen ebenfalls so schnell keiner etwas vor. Schon heute können sie den Hausarzt über ein Tele- health-Monitoring-System bequem von zuhause aus konsultieren. Und die Kommunen realisieren zurzeit Projekte, die E-Health-Lösungen auch in die Heimpflege und Rehabilitation bringen – zum Beispiel, indem Bürger im virtuellen Kontakt mit Fachkräften daheim ihre Rehaübungen machen.
Wie elektronische Patientendossiers dazu beitragen können, die Qualität der Patientenversorgung im Rahmen von E-Health zu verbessern, zeigt ein Beispiel aus dem Norden Dänemarks. Am Thy-Mors-Krankenhaus in Thisted wurde bereits 2009 in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem IBM-Forschungslabor Zürich und IBM Dänemark eine innovative Software weiterentwickelt und getestet. Sie verknüpft elektronische Gesundheitsdaten mit einem dreidimensionalen Modell des menschlichen Körpers. Am Avatar kann der Arzt etwa frühere Behandlungen auf einen Blick lokaliseren und per Mausklick alle relevanten Informationen einsehen – Informationen, die er sich sonst mühsam zusammensuchen müsste.
Intelligente IT-Lösungen sind auch nötig, um die logistischen Aufgaben zu lösen, die es im Zuge der Neuordnung des Krankenhauswesens zu lösen gilt. Denn obwohl neue Kliniken gebaut werden, verringert sich die Quadratmeterzahl insgesamt, das heißt, es gibt beispielsweise auch weniger Raum für Pufferzonen oder Lagerung. Im konkreten Fall des neuen Universitätskrankenhauses von Aarhus muss die Effizienz im Vergleich zum alten Hospital um 8 % gesteigert werden. Zusätzlich soll sie sich jedes Jahr um weitere 2 % verbessern.
Indes werden auch kritische Stimmen laut. Angesichts steigender Baupreise äußerte Bent Hansen, der Vorsitzende der dänischen Regionen – sie betreiben die Kliniken –, schon Ende 2014 in Dänemarks größter Tageszeitung „Jyllands-Posten“ die Befürchtung, dass sich dies auf die Qualität der Superkrankenhäuser auswirken werde. In seiner Region Mitteljütland müsse die Zahl der Intensivbetten und der Betten für Krebspatienten reduziert werden.

Nicht wenige Dänen sind besorgt und befürchten längere Wege

Es wird auch darüber spekuliert, dass die Kapazitäten den Anforderungen von morgen nicht genügen könnten und Patienten in einigen Jahren womöglich auf den Fluren untergebracht werden müssen. Und in einer aktuellen, von Kommunernes Landsforening, dem kommunalen Spitzenverband der dänischen Gemeinden, beauftragten Umfrage äußerten sich 70 % der Dänen besorgt darüber, dass die neue Struktur längere Wege verursacht. 671 000 Dänen, rund 12 % der Bevölkerung, müssen künftig mehr als 30 Kilometer bis zur nächsten Klinik mit Notfallversorgung in Kauf nehmen.
Allen Herausforderungen und Hindernissen zum Trotz sieht sich Dänemark auf dem richtigen Weg und gibt sich selbstbewusst. Das Königshaus eingeschlossen. „Unser Fokus auf den Patienten, der an erster Stelle kommt, hat – zusammen mit konstanten Bemühungen, Effizienz und Qualität zu verbessern – in Dänemark zu einem breiten Spektrum an innovativen Gesundheitslösungen geführt“, erklärt Kronprinzessin Mary in ihrer Funktion als Schirmherrin der Organisation Healthcare Denmark. „Ich glaube aufrichtig, dass dänische Technologien, Produkte und Know-how einen positiven Einfluss auf die globale Gesundheit haben können.“

Bei innovativen Gesundheitslösungen um fünf bis zehn Jahre voraus

Healthcare Denmark arbeitet im Auftrag des Landes und privater Industrieunternehmen daran, dänische Lösungen für das Gesundheitswesen international zu vermarkten. Dabei geht es vor allem darum, die Innovationskraft der Branche gebündelt darzustellen. Bei innovativen Gesundheitslösungen sei man den meisten Ländern um fünf bis zehn Jahre voraus, konstatiert die Organisation. Beim zukunftsgerechten Umbau des Gesundheitssystems sieht sie Dänemark weit vorangeschritten. Daher sei das Land ein idealer Testmarkt für internationale Unternehmen, die Produkte von der Entwicklung in die Anwendung bringen wollen.
Für Hitachi ist Dänemark das richtige Land, um die Anwendung von Big Data im Gesundheitsbereich weiterzuentwickeln. Ende 2014 hat der japanische Elektronik-Konzern mit den Kopenhagener Universitätskliniken Bis-pebjerg und Frederiksberg dazu eine Vereinbarung unterzeichnet. Ziel ist es, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die zur Steigerung der Effizienz im Krankenhausmanagement mittels IT beitragen. Hitachi bringt unter anderem sein Know-how bei der Nutzung von IT im Big-Data-Bereich ein, während die Kliniken neben Erfahrung im Krankenhausbetrieb über eine Fülle an medizinischen Daten verfügen. Bis 2025 werden die Standorte Bispebjerg und Frederiksberg zusammengelegt und zu Kopenhagens größtem Superkrankenhaus erweitert.

Roboter als neuer Helfer im Gesundheitssystem

Im Krankenhaus Sønderjylland in Sønderborg freut man sich indessen über Mitarbeiterzuwachs „Made in Denmark“. Ejner nennen die Patienten die neue Hilfskraft, einen mobilen Roboter, hergestellt vom dänischen Unternehmen Mobile Industrial Robots ApS aus Odense. Das multifunktionsfähige Transport- und Ziehsystem MiR100 bringt Medikamente für die Chemotherapie und andere Behandlungen aus dem Labor in die richtige Abteilung und soll künftig noch weitere Aufgaben übernehmen, etwa den Müll entsorgen. „Unsere Mitarbeiter sollen ihre Zeit nicht in monotone und zeitintensive Aufgaben investieren“, meint Poul Martin Møller, Chief Robotics Officer für die Krankenhäuser Sønderjylland: „Das ist nicht die Zukunft. Denn schließlich haben sie Kopf und Hände, die auch genutzt werden sollten.“
Bettina Gonser
Freie Journalistin in Stuttgart
Weitere Informationen
Zum Copenhagen Healthtech Cluster: www.cphhealthtech.com
Zum Life-Science-Cluster Medicon Valley: www.mediconvalley.com
Zur Organisation Healthcare Denmark: http://healthcaredenmark.dk
Zum IBM-Forschungsprojekt am Thy-Mors-Krankenhaus: www.research.ibm.com/labs/zurich
Zum Big-Data-Projekt von Hitachi in Dänemark: www.hitachi.com

Gläserne Patienten – was Dänemark in seinem Gesundheitssystem ändert
  • Jeder dänische Bürger erhält schon bei der Geburt eine persönliche Identifikationsnummer, die ihn auch durchs Gesundheitswesen begleitet.
  • Schon 1977 wurde ein Nationales Patientenregister eingerichtet, das alle Klinikaufenthalte verzeichnet, mit Hinweisen zu Behandlung und Diagnose.
  • Das vor 20 Jahren etablierte Gesundheitsdatennetzwerk MedCom ist die Grundlage für das E-Health-Portal Sundhed.dk, das alle Akteure im Gesundheitssektor via Internet verbindet: Ärzte, Apotheker, medizinisches Personal und Patienten.
  • Über Sundhed.dk haben die behandelnden Ärzte elektronisch Zugriff auf Krankenberichte, Untersuchungen und Laborbefunde. Die Bürger wiederum können über das Portal zudem Termine mit dem Hausarzt vereinbaren, Rezepte erneuern lassen oder Abrechnungen kontrollieren.
  • Sundhed.dk bietet außerdem Service-Dienstleistungen wie die Kontaktdaten aller Ärzte, Präventionswissen oder Selbsttests. Online-Foren ermöglichen den Austausch mit anderen Patienten.
  • Patienten können der Datenfreigabe widersprechen. Die Medikamenten-Datenbank macht eine Ausnahme: Sie ist dem medizinischen Fachpersonal im ganzen Land zugänglich.
  • Hausärzte sind die Weichensteller. 90 % aller Patienten werden abschließend von ihnen behandelt, die übrigen 10 % an einen Spezialisten oder eine Klinik überwiesen.
  • Die Informationen, die der Allgemeinarzt in sein System eingibt, sind bis auf Weiteres weder dem Patienten noch anderen Ärzten zugänglich.
  • Gesundheitsleistungen werden in Dänemark von der öffentlichen Hand finanziert, überwiegend aus Steuern. Es gibt nur eine einzige, öffentliche Krankenversicherung.
  • Der Staat trägt über 80 % der Gesundheitsausgaben, der Rest sind private Aufwendungen, etwa für Medikamente oder zahnmedizinische Versorgung.

Ein Blick auf das schwedische Gesundheitssystem im Jahr 2019

Arztgespräch mit dem Handydoktor

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