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Der Mikrokosmos eines Lidschlags

Aktive Augenepithesen: Miniaturisierte Komponenten für die plastische Gesichtschirurgie
Der Mikrokosmos eines Lidschlags

Künstliche Gesichtsteile können Menschen mit Fehlbildungen, Unfällen oder Tumoroperationen die Wiedereingliederung in ihr soziales Umfeld ermöglichen. Die so genannten Epithesen werden mit Hilfe der Mikrosystemtechnik gefertigt.

Nicht nur die minimal-invasive Diagnostik und Therapie wurden im Laufe der letzten Jahre durch die Mikrosystemtechnik kontinuierlich verbessert. Auch aus der Prothetik sind die miniaturisierten Systeme nicht mehr wegzudenken. Die Epithetik als Spezialgebiet der Prothetik kommt beim Versorgen von Gesichtsdefekten zum Einsatz, die aufgrund von angeborenen Fehlbildungen, als Folge von Tumoroperationen oder durch Unfälle entstanden sind. Einige Defekte können operativ nicht so behandelt werden, dass ein kosmetisch zufrieden stellendes Ergebnis erreicht wird. Die betroffenen Patienten leiden physisch und sozial besonders stark unter den Gesichtsdefekten. Allein in Deutschland werden jährlich bei rund 5000 Patienten Glas- oder Kunststoffaugen eingesetzt. Bis heute wird jedes Implantat in Handarbeit gefertigt.

Mit Hilfe implantatverankerter Epithesen kann ein Defekt ästhetisch verdeckt werden. Doch das Problem bisher ist, dass vor allem an stark dynamischen Gesichtspartien, wie dem Auge, die starren Epithesen leicht zu erkennen sind. Außerdem wirkt die künstliche Haut aus eingefärbten Kunststoffen oft wächsern und starr, speziell bei den beweglichen Gesichtsteilen wie Augen und Lidern. Deshalb wird neben den rein passiven künstlichen Gesichtsteilen konsequent an der Entwicklung aktiver, intelligenter Epithesen gearbeitet, die auf Veränderungen des Gesichts angemessen reagieren und so ein natürliches Aussehen und verbesserte Funktionalität ermöglichen. Diese Epithesen beinhalten miniaturisierte mechatronische Komponenten, die Mechanik, Antriebe, Sensoren und Signalverarbeitung.
Bereits 1999 wurde in einer Kooperation der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) der Berliner Charité mit der Locke Dentaltechnik und Hasci der Prototyp einer aktiven Augenepithese entwickelt und klinisch eingesetzt. Diese bildete nicht nur die komplette Augenpartie nach. Über ein Elektromyografie-Signal wurde die Muskelbewegung an der gesunden Augenpartie des Patienten beim natürlichen Lidschlag abgeleitet und das Signal anschließend in einer Elektronik verarbeitet. Durch einen Gleichstrom-Mikromotor konnte das künstliche Augenlid der Epithese synchron zum gesunden Auge bewegt werden. Da die komplexe Technik allerdings eine gewisse Größe dieser Augen- epithese voraussetze, ließ sie sich nur bei sehr wenigen Patienten einsetzen. Mit einem Volumen von rund 30 cm³, inklusive der gekapselten elektromotorischen Funktionseinheiten und Energieversorgung, war dieser Prototyp nämlich etwa dreimal so groß wie das durchschnittliche Volumen einer starren Epithese. Um den Einsatz der aktiven Augenepithesen für einen größeren Patientenkreis zu ermöglichen, mussten der Epithesenkörper und die Elektronik-, Antriebs- und Stromversorgungskomponenten deutlich verkleinert werden.
Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit geförderten Projektes starteten die MKG-Mediziner mit den Medizintechnik-Experten des Fraunhofer- Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) Berlin, dem Berliner Zentrum für Mikrosystemtechnik (Zemi) und mehreren Unternehmen eine Zusammenarbeit zur weiteren Miniaturisierung, Modularisierung und Standardisierung der Elektronik, Mechanik und Energieversorgung für die aktive Augenepithese. Ziele sind die Entwicklung neuer Methoden und Komponenten zum dreidimensionalen kalibrierten Abtasten des geschädigten Gesichtsteils und die Nutzung von CAD/CAM-Technologie, um die Epithesenverankerungen zu planen und die künstlichen Teile maschinell vorzufertigen.
Das bewegliche Oberlid kann heute in einem CAD-Programm mit der gewünschten Schichtdicke konstruiert und anschließend aus Silikon nachmodelliert werden. Anschließend wird es hautfarben eingefärbt und über einen winzigen beweglichen Bügel aus Metall gespannt. In der aktiven Augenepithese kann der myoelektrische Spannungsimpuls in eine Bewegung übersetzt werden. Der Verstärker übermittelt dann das Lidschlag-Signal an einen winzigen Motor, der von einem flexibel gestaltbaren Akku versorgt wird. Darauf hin bewegt sich das Silikonlid blitzschnell und nahezu synchron mit dem gesunden Auge.
Auch die mechatronische Seite der aktiven Epithese wurde optimiert. Unter anderem konnte die EMG-Signalerfassung und -weiterleitung an sehr kleinen Gesichtsmuskeln zur Rehabilitation von Lähmungen und Nervenverletzungen im Gesichtsbereich verbessert werden. Der Aufbau der aktiven Augenepithesen im Baukastenprinzip soll zudem eine individuelle Anpassung aller Funktionsbausteine an den Patienten ermöglichen und zugleich die Produktion wirtschaftlicher machen. Bis heute ist es gelungen, die Größe des künstlichen Auges auf etwa 18 cm³ zu verringern. Patientenspezifische Daten, wie beispielsweise Schließ- und Öffnungszeit des Lidschlags, sind auf den Modulen programmierbar. Durch das computerunterstützte Planen, Anpassen und Produzieren der bislang ausschließlich manuell gefertigten Epithesen wurde nicht nur deren Qualität deutlich verbessert. Da einzelne Produktionsschritte automatisiert wurden, sanken auch die Herstellungs- und Reparaturkosten. Um den klinischen Einsatz der aktiven Augenepithese weiter ausbauen zu können, muss das künstliche Auge aber noch kleiner werden. Ziel ist ein Gesamtvolumen aller für den künstlichen Lidschlag notwendigen Epithesenteile von 10 cm³. Dafür ist jedoch eine weitere Miniaturisierung vor allem der Baugruppen Antrieb und Elektronik erforderlich.
Die Potenziale der Mikrosystemtechnik sind für die aktiven Epithesen noch längst nicht ausgeschöpft. Das Prinzip der Mikroaktoren, die in den künstlichen Lidern über einen elektrischen Impuls angeregt werden und damit eine künstliche Mimik erzeugen können, soll in Zukunft auch auf andere Gesichtspartien übertragen werden können.
Prof. Dr.med. Dr.med.dent. Martin Klein Stellvertr. Klinikdirektor der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Charité Campus Virchow-Klinikum Universitätsmedizin Berlin Dipl.-Ing. Dirk Oberschmidt Gruppenleiter Mikroproduktionstechnik, Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK)
Weitere Informationen: www.ipk.fraunhofer.de www.charite.de

Erfolgreiche Kooperation
In enger Kooperation mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin entwickelt das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) im Berliner Zentrum für Mechatronische Medizintechnik BZMM Geräte für den medizinischen Gebrauch, insbesondere für die Bereiche Chirurgie, Bildgebung und Versorgung. Ziel ist die Überführung von Methoden der Produktions- und Automatisierungstechnik in die Medizin, sowie die Anpassung dieser Technologien an die speziellen Bedürfnisse im klinischen Umfeld. Der Fokus des Bereichs Medizintechnik im Fraunhofer IPK liegt auf der Erforschung, Entwicklung und Evaluierung von Systemen für die computerassistierte Chirurgie und den dazu notwendigen mechatronischen Komponenten.

Ihr Stichwort
• Mikrosystemtechnik
• Prothetik
• Aktive Epithesen • Künstliches Augenlid • Mikroaktoren
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