Der Mix aus verschiedenen Wirkmechanismen macht Plasma für viele Anwendungen interessant. Neben der Wundbehandlung und Sterilisation könnten in der Krebstherapie und der ästhetischen Medizin weitere hinzu kommen.
„Immer dort, wo Infektionen lauern, ist der Einsatz von Plasma sinnvoll“, sagt Prof. Hans-Robert Metelmann. Die Rede ist von physikalischem Plasma – dem so genannten vierten Aggregatszustand, der erzeugt wird, indem einem Gas Energie zugeführt wird. Dabei entstehen hochaktive Radikale sowie stabilere reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies, die im synergetischen Verbund mit den freien Ladungsträgern die Zellmembranen und -wände von Bakterien und Pilzen angreifen.
Während heißes Plasma bereits seit vielen Jahren in der Medizin verwendet wird, ist Niedertemperatur-Plasma das Thema, mit dem sich die Plasmamedizin zur Zeit am stärksten beschäftigt. Das Potenzial der Technologie scheint groß. Schon jetzt gibt es konkrete klinische Anwendungen. Daneben zeichnen sich Einsatzgebiete ab, in denen kaltes Plasma künftig eine wichtige Rolle spielen könnte.
Inhaltsverzeichnis
1. Wundauflage mit kaltem Plasma ist in Arbeit
2. Sterilisationskammer als Schublade
3. Kaltes Plasma gegen Läuse
4. Behandlung von Geschwüren mit dem Plasma-Jet
5. Plasma im Einsatz für die ästhetische Medizin
6. Was das Plasma alles beeinflusst
Am weitesten ist die Entwicklung bei der Behandlung von Wunden und entzündeten Hautpartien, wie Metelmann berichtet. Er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie/Plastische Operationen in Greifswald sowie Vorstandsvorsitzender des Nationalen Zentrums für Plasmamedizin. Geräte wie zum Beispiel der Kinpen Med der Greifswalder Neoplas Tools GmbH haben die CE-Zertifizierung als Medizinprodukt der Klasse IIa zur Behandlung von chronischen Wunden und erregerbedingten Erkrankungen auf der Haut erhalten. Ein entsprechendes Gerät gibt es auch zum Einsatz in der Zahnmedizin.
Wundauflage mit kaltem Plasma ist in Arbeit
Weitere Entwicklungen stehen bereits in den Startlöchern. So arbeitet etwa das Startup Coldplasmatech an einer Wundauflage, bei der durch eine Steuerungseinheit ein kaltes Plasma auf die Wunde aufgebracht wird. Dieses aktiviert die Zellgeneration, desinfiziert die Wunde und tötet multiresistente Keime ab. Einsatzgebiete sind etwa das diabetische Fußsyndrom, Druckgeschwüre oder Pilzerkrankungen. Die Köpfe hinter dem Startup sind Wissenschaftler und Techniker, die jahrelang am Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) gearbeitet haben. Auch an der Entwicklung des Kinpen Med ist das INP beteiligt.
Die antibakterielle Wirkung von Plasma lässt sich ebenfalls für die Sterilisation nutzen. Bisher wurde Plasma in diesem Zusammenhang allerdings vor allem als Hilfsmittel verwendet, um das verwendete Wasserstoffperoxid zu zersetzen, oder zur Sterilisation von Objekten mit eher geringer Kontamination.
Sterilisationskammer als Schublade
Katharina Stapelmann hat dagegen einen Sterilisator entwickelt, der als eigenständige Alternative zu einem Autoklaven dienen kann. Die Juniorprofessorin am Lehrstuhl für Allgemeine Elektrotechnik und Plasmatechnik an der Ruhr-Universität Bochum hat die Sterilisationskammer als Schublade im DIN-A4-Format konzipiert, in welche die Standardtabletts für medizinisches Besteck hineinpassen. „Man legt zum Beispiel ein Set für eine Blinddarm-OP in das Gerät ein, sterilisiert und kann den verschlossenen Container dann im Schrank bis zur OP lagern“, erklärt die Wissenschaftlerin. Der Prozess dauere eine bis fünf Minuten.
Gegenüber herkömmlichen Verfahren ist die Plasmasterilisation laut Stapelmann energiesparender, schneller und benötigt keine gefährliche Strahlung oder krebserregenden Chemikalien. Zudem sei die Gefahr gering, dass Keime gegen die Behandlung resistent werden. Denn Plasma biete quasi einen Wirkstoff-Cocktail. „Plasma wirkt gegen Bakterien auf unterschiedliche Weise“, so Stapelmann, „etwa durch die UV-Strahlung, durch einen chemischen Angriff mithilfe der Sauerstoff-Radikale oder durch den Abtrag der Bakterien.“
Ein Funktionsmuster des Sterilisators existiert bereits. Um das Gerät zur Marktreife zu bringen, fehlt jedoch noch ein Industriepartner. Laut Stapelmann finden daher zur Zeit Gespräche mit einem Medizintechnikanbieter statt.
Kaltes Plasma gegen Läuse
Kaltes Plasma kann aber nicht nur Bakterien bekämpfen. Künftig könnte es auch dabei helfen, Menschen von Parasiten wie Kopfläusen zu befreien. Forscher des Anwendungszentrums für Plasma und Photonik am Göttinger Standort des Fraunhofer-Instituts für Schicht und Oberflächentechnik (IST) arbeiten an einem Kamm, der die Schädlinge mithilfe von Plasma abtötet.
Im Gehäuse des batteriebetriebenen Geräts befindet sich ein Hochspannungserzeuger, der Pulse an die Kammzinken abgibt, die als Elektroden fungieren. Durch das Anlegen eines Hochspannungspulses wird die Luft zwischen den Elektroden ionisiert. Dabei entsteht Plasma.
Die Hochspannung wird nur sehr kurzzeitig angelegt. Es wird gerade so viel Energie zugeführt, dass nur die winzigen Elektronen beschleunigt werden – ohne die schweren Gasteilchen aufzuheizen. So lässt sich die Temperatur des Plasmas auf Raumniveau einstellen. Die kalten Plasmen töten die Läuse sowie die Nissen ab, beschädigen jedoch nicht das Haar und die Kopfhaut.
„Bereits nach einmaligem Durchkämmen sind die Hälfte der flügellosen Insekten tot“, berichtet Prof. Wolfgang Viöl, Leiter des Anwendungszentrums. Laut Viöl konnte dies durch Wirksamkeits- und Sicherheitstests belegt werden, die in Zusammenarbeit mit einem Forschungsinstitut durchgeführt wurden.
Die Fraunhofer Wissenschaftler haben ihre Technologie durch ein Patent geschützt. Geplant ist, den Läusekamm als kosmetisches Produkt zunächst in Kleinserie auf den Markt zu bringen. Auf der Messe Medica wird das Fraunhofer IST ein Funktionsmuster des Kamms präsentieren.
Während für solche Anwendungen zumindest schon Prototypen existieren, befindet man sich beim Einsatz von Plasma in anderen Bereichen noch in der Grundlagenforschung. Dazu zählt etwa die Krebstherapie mithilfe von Plasma.
Behandlung von Geschwüren mit dem Plasma-Jet
Laut Metelmann wird die Technologie derzeit zwar schon zur palliativen Behandlung von Krebspatienten eingesetzt. Dabei geht es aber wiederum um die Bekämpfung von Bakterien. Abgetötet werden Bakterien, die sich bei Krebspatienten an großflächigen Geschwüren bilden – zum Beispiel in der Mundhöhle oder am Hals. Diese verursachen große Schmerzen und einen sehr unangenehmen Geruch. Durch die Behandlung mit Plasma-Jets wie dem Kinpen Med lassen sich diese Auswirkungen reduzieren. Die Patienten benötigen somit weniger Schmerzmittel.
Bei dieser Behandlung fiel auf, dass manche der unter den Bakterien liegenden Tumorzellen ebenfalls auf das Plasma reagieren. Und sie tun dies auf eine sehr wünschenswerte Weise. Sie reagieren mit einer Apoptose. Will heißen: Die Tumorzellen werden nicht zerstört, sondern zeitlich verlangsamt abgeschaltet. Dem umgebenden Gewebe bleibt dabei Zeit, Ersatzzellen zu entwickeln. Es bildet sich also kein Loch, wie dies sonst der Fall ist, wenn der Tumor auf klassische Weise entfernt wird.
Der Einsatz von Plasma hätte somit für die Krebstherapie einen entscheidenden Vorteil gegenüber den üblichen Methoden. Entsprechend groß ist das Interesse daran, die Technologie in diese Richtung weiter zu entwickeln. „Die Plasma-Community stürzt sich gerade auf dieses Thema“, meint Katharina Stapelmann.
Doch zunächst ist noch sehr viel Forschungsarbeit zu leisten. Denn bisher wirkt das Plasma noch nicht auf alle Tumorzellen. Metelmann berichtet von klinischen Studien, in denen bei fünf von zwölf Patienten eine nachweisbare Reduktion des Tumorwachstums zumindest kleinflächig zu beobachten war. Die Gründe dafür sind jedoch noch unklar. „Wir wissen noch nicht, welche Zellen reagieren und warum sie dies tun beziehungsweise nicht tun“, erklärt der Mediziner. Es ist daher notwendig, die Wirkung des Plasmas auf Zellen weiter zu untersuchen. Trotz der noch offenen Fragen sieht Metelmann in der Onkologie das größte Potenzial für die Plasmamedizin.
Plasma im Einsatz für die ästhetische Medizin
Neue Möglichkeiten eröffnet die Technologie auch in der ästhetischen Medizin. Klinische Studien haben schon gezeigt, dass Plasma auch bei Hautwunden wirkt, die von ablativen Lasern hinterlassen werden. Das Plasma verbessert die Wundheilung und reduziert das Infektionsrisiko.
Wie in der Krebstherapie könnte Plasma aber auch in der ästhetischen Medizin über seine bloße Rolle als unterstützende Technologie hinauswachsen. Laut Metelmann gibt es Untersuchungen, die gezeigt haben, dass sich Plasma möglicherweise als eigenständiges Instrument in diesem Fachbereich verwenden lässt. Dabei führte die Plasmabehandlung unter Laborbedingungen dazu, dass sich Hautgewebe glättet, strafft und reinigt. Doch auch in diesem Fall ist man von einer klinischen Anwendung noch weit entfernt. Laut Metelmann befindet man sich hier ebenfalls in der Grundlagenforschung. Dies gilt zum Beispiel genauso in der Kieferorthopädie, wo Plasma unter anderem die Reinhaltung von fest sitzenden Spangen in der Mundhöhle unterstützen könnte.
Auch bei der Technik ist noch Entwicklungsarbeit nötig. Zwar gibt es Geräte, die kaltes Plasma generieren und sich im klinischen Alltag verwenden lassen. Die kalte Flamme, die von diesen erzeugt wird, ist im Verhältnis zum Gerät laut Metelmann allerdings noch zu klein. Bei einem Behandlungsdurchmesser von etwa 3 mm dauere die Behandlung einer großflächigen Wunde damit noch zu lang.
Was das Plasma alles beeinflusst
Weiteres Problem: Die Plasmaflamme wirkt an verschiedenen Stellen unterschiedlich. Der Erfolg bei einer Wunde ist also davon abhängig, mit welchem Teil der Flamme diese behandelt wurde. Hinzu kommt, dass selbst kleinste Faktoren von außen die Wirkung des Plasmas beeinflussen können – etwa die Temperatur der Umgebung, ein schwacher Lufthauch oder kleine Partikel vom Körper des Patienten. „Dies könnten auch die Gründe sein, weshalb wir bei der Behandlung von Tumorzellen bisher so unterschiedliche Ergebnisse erzielt haben“, sagt Metelmann.
„Wir benötigen noch viel Quellenforschung“, so der Mediziner – wobei in diesem Zusammenhang die Plasmaquelle gemeint ist. Für die kommenden Jahre wünscht er sich eine strukturierte Anwendungsbeobachtung in Form von klinischen Studien. So soll geklärt werden, auf welchen Feldern kaltes Plasma Nutzen bringt.
Markus Strehlitz
Fachjournalist in Mannheim
Fachjournalist in Mannheim
Weitere Informationen Zum Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie: www.inp-greifswald.de Zum Fraunhofer IST: www.ist.fraunhofer.de Auf der Medica: Halle 10, Stand G05 Zum Nationalen Zentrum für Plasmamedizin: www.plasma-medizin.de Zum Startup Coldplasmatech: www.coldplasmatech.de
Ihr Stichwort
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- Plasma
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Vielseitig einsetzbar
Plasma ist ein ionisiertes Gas, das aufgrund seiner elektrischen Leitfähigkeit eine Reihe besonderer Eigenschaften aufweist. Mithilfe von physikalischen Plasmen können verschiedene Wirkprinzipien kombiniert werden – wie etwa UV-Strahlung, reaktive Moleküle, elektrische Felder und Temperatur. Kalte physikalische Plasmen mit energiereichen Elektronen werden direkt aus der umgebenden Atmosphäre mittels starker elektrischer Felder erzeugt.
Vorteile von kalten Atmosphärendruckplasmen:
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- Energie- und ressourceneffiziente Technologie
- universell, material- und geometrieunabhängig sowie einfach zu handhaben
- leichte Integration in Prozessketten
- keine Änderung des Grundmaterials
- keine thermische Schädigung der Substrate
- Erzeugung wirksamer Agenzien unmittelbar bei der Plasmabehandlung
- beim Einsatz in der Therapie: wundheilungsfördernd, schmerz- und bisher nebenwirkungsfrei für den Patienten
- antibakterielle Wirksamkeit unabhängig von pharmazeutischen Resistenzen
- gezielte lokale chemische Modifikation der Oberfläche
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Schonende Behandlung
Große Wirkung, aber wenig Risiko: Die verschiedenen Plasmakomponenten bedeuten nach heutigem Kenntnisstand nur geringe Gefahr für die Gesundheit. Die Grenzwerte für die UV-Belastung etwa werden bei der Anwendung von kaltem Atmosphärendruckplasma deutlich unterschritten.
Weitere Infos: Elektronenstrahl am Roboterarm sterilisiert Teile
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