Hinter der Rotation auf Druck stecken ein ausgeklügeltes Design aus Streben und Ringstrukturen sowie jede Menge Mathematik. „Übt man Kraft von oben auf einen Materialblock aus, dann deformiert sich dieser in unterschiedlicher Weise. Er kann sich ausbuchten, zusammenstauchen oder knicken“, erklärt Martin Wegener, Professor am Institut für Angewandte Physik und Direktor am Institut für Nanotechnologie am Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). „Drehen wird er sich nach den geltenden Regeln der Mechanik aber nicht“, betont er. Seinem Mitarbeiter Tobias Frenzel und Kollegen ist es nun jedoch gelungen, eine filigrane Würfelstruktur zu entwerfen, die auf Belastung mit einer Rotation um die eigene Achse reagiert.
Drehung durch chirale Struktur
„Zunächst haben wir per Computersimulation ein Design erarbeitet, das eine solche, bisher nicht beschriebene mechanische Eigenschaft aufweist“, erklärt Frenzel, Erstautor der Studie, das Vorgehen. „Unsere Berechnungen zeigten, dass wir mit einer durchdachten chiralen Struktur das gewünschte Ergebnis erzielen – also einem Körper, dessen Bild und Spiegelbild nicht deckungsgleich sind – in etwa wie bei der linken und rechten Hand.“
Die von Frenzel und seinem Team errechneten filigranen Würfel bestehen aus Streben und Ringen, die nach einem ganz bestimmten Muster miteinander verbunden sind. „Die Arme, welche die Ringstrukturen mit den Ecken des Würfels verbinden, bewegen sich bei Belastung in der Senkrechten nach unten. Diese Bewegung führt zu einer Rotation der Ringe“, verdeutlicht Frenzel. „Diese rotierenden Bewegungen übertragen wiederum Kräfte auf die Ecken der waagerechten Flächen des Würfels, so dass sich der gesamte Körper um die eigene Achse zu drehen beginnt.“
Verschiedene Türme aus Würfeln zum Vergleich
Anschließend stellte das Team mit einer am KIT etablierten 3D-Mikro-Druckmethode Türme aus ebendiesen Würfelstrukturen in unterschiedlichen Größen, Stärken und Stückzahlen her. Die Kantenlänge der Würfel maß zwischen 100 und 500 µm. Sie konstruierten daraus Türme, welche aus 4 bis 500 Würfeln zusammengesetzt und 2 mm hoch waren. Um ihre Theorie zu überprüfen, produzierten sie die gleichen Türme aus achiralen Würfeln, solchen also, deren Bild und Spiegelbild übereinstimmen. Tatsächlich drehten sich die aus chiralen Bausteinen zusammengesetzten Türme unter Krafteinwirkung deutlich messbar um ihre eigene Achse.
Eine praktische Anwendung liegt nach Einschätzung von Tobias Frenzel noch in weiter Ferne. Inspiriert wurde die Arbeit jedoch von vorangegangenen Studien seiner Arbeitsgruppe, die sich mit elastischen „Tarnkappen“ beschäftigt. Diese könnten zum Beispiel die Stoßwellen von Erdbeben rund um historische Gebäude abpuffern oder umleiten.
http://science.sciencemag.org/content/358/6366/1072