In Halle 15 diskutieren Fachleute und Besucher, welche Chancen die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft bietet – aber auch, welche ethischen und rechtlichen Herausforderungen damit einhergehen.
Sobald es neue Möglichkeiten gibt, Prozesse zu digitalisieren, wächst der „Datenhunger“ verschiedenster Akteure. Das trifft auch in Bezug auf Gesundheits- und Patientendaten zu. Welchen echten Nutzen aber bringen neue Technologien – und welche Risiken? Und wie können digitale Prozesse, die zusätzliche Daten erzeugen, sogar dem wachsenden Bedürfnis nach Patientensicherheit dienen? Das sind Themen, die beim Health IT Forum in Halle 15 im Rahmen der Medica diskutiert werden.
Das Sammeln von Daten ist unter anderem ein Mittel der Wahl, Probleme beispielsweise bei Medizinprodukten schneller aufzudecken. So zeigen sich bei den seit einigen Jahren laufenden Arbeiten an der europäischen Medical Device Regulation auch Reaktionen auf den weltweiten Skandal um minderwertige Brustimplantate eines französischen Herstellers. Eine neue Pflicht zur eindeutigen individuellen Kennzeichnung von Medizinprodukten – auch als Unique Device Indentification oder kurz UDI bezeichnet – soll Bestandteil der neuen gesetzlichen Vorgaben werden. Diese Pflicht zur einheitlichen Identifizierung wird auch als Modul des Freihandelsabkommens „Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)“ gehandelt. In den USA schreibt die FDA bereits in einem gewissen Umfang diese Unique Device Identification vor. Eine Harmonisierung der internationalen Regelungen liegt nahe.
Als Codearten werden voraussichtlich zunächst nur lineare Barcodes oder „Data Matrices“ verlangt. Das Scannen so markierter Medizinprodukte soll Krankenhäusern und Herstellern helfen, Beschaffungsabläufe vom Wareneingang über das Lager bis zum Verbrauch zu optimieren sowie die Dokumentationen und Zuordnungen zu verein- fachen. Die Rolle Europas für das deutsche Gesundheitswesen wird das Health IT Forum auf der Messe genauer beleuchten.
Die Sammlung und Speicherung von Daten, die Verknüpfung unterschiedlicher Datensätze sowie ihre Nutzung bringen aber auch ethische und rechtliche Herausforderungen mit sich. Erst kürzlich mahnte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Prof. Christiane Woopen, bei einem Symposium: „Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass die Menschen sich durch biologisierte und numerifizierte Selbstwahrnehmung und Lebensführung sowie durch datengetriebenen Effizienzhype und Optimierungswahn nicht hinter sich lassen, sondern in einem erfüllten Leben zu sich und zueinander kommen.“ Klar wurde im Rahmen der Veranstaltung des Ethikrates: Der EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, steht in der Verantwortung, die Bedingungen in Europa so zu gestalten, dass einerseits Big Data als europäische Forschungsaufgabe und Motor für Entwicklung im Gesundheitswesen identifiziert wird und andererseits die möglichen Gefahren abgewendet werden. Oettinger bekundete beim Symposium: „Technik kann man gestalten. Verbieten und aufhalten wird nicht gehen.“ Das Forum-Thema „Big Data“ moderiert Prof. Eckhard Nagel, Mitglied im Deutschen Ethikrat.
Natürlich bleibt auch das Verhältnis des Patienten zu seinem Arzt von den digitalen Entwicklungen nicht unberührt. Ein Beispiel sind telemedizinische Sprechstunden. Diese sind nicht überall gern gesehen – dennoch gewinnen sie auch und vor allem im ländlichen Raum an Bedeutung. Dr. Franz-Joseph Bartmann, Vorsitzender des Telematik-Ausschusses der Bundesärztekammer, schildert, dass beispielsweise „Patientus“ in Schleswig-Holstein weitgehend akzeptiert sei.
Über diese Software kann ein Patient seinen Arzt jederzeit und von überall in einer privaten Videokonferenz kontaktieren. Die Technik kann und soll den regulären Arztbesuch nicht ersetzen, sondern ihn optimal vorbereiten und sinnvoll ergänzen. Der persönliche Kontakt wird so ortsunabhängig möglich. Die körperliche Untersuchung sowie die anschließende Behandlung finden jedoch nach wie vor beim Arzt in dessen Praxis statt. Ärzte können diese Dienstleistung als Bestandteil der Arzt-Praxis-Software ihren Patienten anbieten. Auch dieses Projekt wird im Rahmen des Health IT Forums vorgestellt.
Dennoch sind viele Projekte in der Gesundheitstechnologie noch nicht so erfolgreich. Prof. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung, wird auf der Medica ein neues, richtungsweisendes Förderkonzept zur Medizininformatik vorstellen. Es soll die Patientenversorgung und die Forschungsmöglichkeiten durch innovative IT-Systeme verbessern.
Eine besondere Herausforderung besteht darin, dass in der Medizin sehr unterschiedliche Datentypen integriert werden müssen – beispielsweise Erbgutinformation mit einem Blut- oder Röntgenbild. Bei der Interpretation neuer Daten müssen große Mengen an Fachliteratur, Ergebnissen und bestehenden Daten aus der biomedizinischen und klinischen Forschung berücksichtigt werden. Schließlich muss auch neu gewonnenes Wissen so aufbereitet werden, dass der Arzt daraus schnell die bestmögliche Behandlung für seinen Patienten ableiten kann.
Für all diese Schritte entwickelt die Medizininformatik technische Werkzeuge. Das Förderkonzept Medizininformatik soll dazu beitragen, dieses Forschungsfeld in Deutschland zu stärken und die Patientenversorgung nachhaltig zu verbessern. Einzelheiten des Förderkonzepts wird Bundesforschungsministerin Wanka in Düsseldorf zur Messe Medica 2015 am 16. November vorstellen.
Dr. Lutz Retzlaff Fachjournalist in Neuss
Weitere Informationen Über das Forum und das Programm 2015: www.medica-health-it-forum.de/ Auf der Messe Medica: Halle 15, Stand 15C46 – 15E60
Big-Data und Projekte aus der Telemedizin werden auf dem Forum diskutiert
Über das Health IT Forum
Beim Medica Health IT Forum diskutieren Sprecher aus allen Bereichen der Gesundheitswirtschaft die zukunftsweisenden Entwicklungen der Healthcare IT. Vertreten sind auch Fachleute aus der Spitzenforschung, so dass fachübergreifende und problemlösungsorientierte Gespräche möglich sind.
Das Bühnenprogramm bildet die Innovationsbreite der Branche ab. Informiert wird darüber, welche neuen Geschäfts- und Versorgungsmodelle es in Entwicklungsfeldern wie Mobile Health, Big Data, Connectivity, 3D-Druck, Telemedizin oder der Medizintechnik zu entdecken gibt, wo regulatorische oder technologische Hemmnisse zu erwarten sind und in welche Nischen die Start-up-Szene stößt.
Eine Ausstellung bündelt Exponate aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen, von Spin-offs und Start-ups sowie innovativen Unternehmen.
Aktueller Überblick zu UDI (Okt 2019)
Was bedeutet Unique Device Identification (UDI) für Medizinprodukte?
Unsere Webinar-Empfehlung
Erfahren Sie, was sich in der Medizintechnik-Branche derzeit im Bereich 3D-Druck, Digitalisierung & Automatisierung sowie beim Thema Nachhaltigkeit tut.
Teilen: