Ein Rettungssanitäter presst die Hände auf den Brustkorb des Unfallopfers. Herzstillstand. Nur eine Herz-Lungen-Massage kann das Leben noch retten.
Er ist umringt von vier Kollegen in blauer Dienstkleidung und Handschuhen. Einer holt ein wuchtiges Gerät, eine mechanische Herz-Lungen-Massagemaschine, die nun automatisch den Brustkorb bewegt wie zuvor der Sanitäter. Derweil kann das Team einen Rettungshubschrauber rufen.
Es ist kein realer Notfall. Auf dem Kongress Xpomet in Leipzig ist der Patient mit Herzstillstand nur eine Puppe. Was eine Traube Messebesucher gebannt verfolgte, war eine Vorführung zur „Notaufnahme der Zukunft“. „Showcase“ nennen die Kongressinitiatoren das.
Die mechanische Herz-Lungen-Maschine „Lucas“ der Kölner Zoll Medical Deuschland GmbH zeichnete hier die Körperfunktionen auf und generierte vollautomatisch einen Verlegungsbrief für das Krankenhaus. Kann sie den Patienten nicht zurückholen, steht nebenan eine extrakorporale Herz-Lungen-Maschine des Herstellers Getinge, die das Blut automatisch durch den Körper des Patienten pumpt. Üblich ist so ein Gerät auf Intensivstationen. Doch dieses kleine Exemplar taugt für Notaufnahmen und für unterwegs, etwa im Rettungswagen.
Xpomet: Kongress mit Raum für den kreativ-dynamischen Zeitgeist
Die Wiederbelebungsszene passt zu einem ungewöhnlichen neuen Kongress. Die Xpomet will keine Kopie der Medica sein: Sie soll den „kreativ-dynamischen Zeitgeist der Digital-Health- und Medizintechnikbranche“ versprühen. Vor über zwei Jahren hatten die Initiatoren die Idee zu dem neuen Format. Vom 21. bis 23. März 2018 war es nun in der Kongresshalle in Leipzig soweit.
Einige Dutzend Aussteller – Unternehmen, Universitäten und Kliniken – präsentierten sich und ihre Produkte, oft zum Anfassen und Ausprobieren und in 15 Showcases. Unterdessen trugen international renommierte Experten in den Sälen des altehrwürdigen Gebäudes vor. Um Ideen tatsächlich voranzubringen, zogen sich Fachleute aus Gesundheitswesen, Wirtschaft und Politik auch zu dreistündigen Workshops zurück. „Think tank“ tauften die Kongressmacher dieses Brainstorming. An die 700 Besucher erschienen am ersten Tag. Insgesamt erwarteten die Organisatoren 1500 Gäste.
Keine ganz neue Botschaft, aber durchgreifender Wandel
Die Botschaft des Kongresses war nicht fundamental neu: Die Gesundheitswirtschaft wird immer technologielastiger und immer digitaler. Und sie vernetzt sich zusehends. Aus Datensilos werden Datensäle und schließlich Big Data. Nur, wie durchgreifend der Wandel ist, machte die gesammelte Schar der Protagonisten auf einmalige Weise deutlich. Auch, dass sie erfrischend anders und zuversichtlich denken. Vortragende streuten Frage-Antwortspiele mit einem Chat-Bot ein. Mann und Frau spielten sich wie bei einem Tennismatch die Bälle zu. Das Publikum fragte rege, aufgeweckt und unverblümt.
Showcase Nummer 2 am ersten Tag: Nadja Parfenov vom Hamburger Start-up Apoqlar setzt eine holografische Datenbrille auf. Sie macht eine Bewegung mit Daumen und Zeigefinger, als würde sie einen Vorhang mit spitzen Fingern greifen. Vor ihren Augen kann sie nun sehen, was niemand sonst sieht. Sie taucht in den Hirnscan eines Probanden ein, kann durch die Schichten seines Gehirns hindurchgleiten, die sich vor ihren Augen dreidimensional auftun. Beispielsweise kann sie bis zu einem Tumor vordringen und mit einem Kollegen, der ebenfalls mit Datenbrille ausgerüstet ist, nun eine OP planen und die Schnitte im vor ihr schwebenden Gehirn anzeigen.
Auch während der OP können Bilder mithilfe der Brille über dem Patienten erscheinen. Es mutet wie Science-Fiction an. Doch das Krankenhaus in Calgary und das Marienkrankenhaus in Hamburg experimentieren bereits mit den holografischen Körperbildern.
Aufgaben für einen Avatar in der Notaufnahme – zu sehen auf der Xpomet
Futuristisch waren auch die Szenarien, die Christian Elsner, kaufmännischer Direktor des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, entwirft. Für Mai 2018 kündigte er einen Avatar in der Notaufnahme an. Der elektronische Mitarbeiter soll dann Patienten in Empfang nehmen und die ersten Fragen stellen, bis der Arzt Zeit hat. Das kann in den chronisch überfüllten Notaufnahmen schon mal Stunden später sein. Künftig, glaubt Elsner, könnte digitales Personal, auch das ärztliche Erstgespräch, die Anamnese, übernehmen. Der Arzt käme erst, wenn er wirklich gebraucht würde, etwa für die OP oder bei einem Schlaganfall.
Technik soll den Menschen aber nicht ersetzen, war der Grundtenor beim Kongress. Der Geschäftsführer Chris-Gilbert König von der Potsdamer Healthcare X.0 GmbH goss das in einen eingängigen Vergleich: Schachcomputer, sogar die auf dem Smartphone, schlagen heute professionelle Schachspieler. Sie sind besser als der Mensch. Aber wenn ein Computer gemeinsam mit einem Schachprofi gegen einen weiteren Computer antritt, gewinnt immer das Team aus Mensch und Maschine. Die Zukunft gehört also dem Duo aus Arzt und digitalem Helfer, findet er. Dieses Prinzip begründet auch Königs Assistenzsystem für die Krebsmedizin. Es bündelt Patientendaten und Informationen über die Behandlung und schlägt auf Basis dieses Wissens Therapien oder klinische Studien vor. Der Arzt entscheidet.
17-jähriger stellt neue Ideen für das Krankenhaus vor
Auch Jan Schumann will die Pflegekräfte in der Klinik nicht ersetzen. Auf der Xpomet sorgte er dennoch für ungläubiges Staunen: Vor gut hundert Zuhörern stand ein 17-Jähriger, der sich seit drei Jahren Gedanken macht, wie das Krankenzimmer der Zukunft aussehen kann. Und zwar ganz real. Am Elisabeth-Krankenhaus in Essen soll seine Vision, die er gemeinsam mit Universitätsforschern entwickelt hat, nun erprobt werden.
Patienten können via Sprachsteuerung das Licht in ihrem Zimmer an- und ausschalten, das Fenster öffnen, die Jalousie herunterlassen, alles, ohne das Pflegepersonal zu rufen. Sie können aber auch mit dem Pfleger kommunizieren, beispielsweise ein Glas Wasser verlangen. Kaum ausgesprochen erscheint der Wunsch auf dem Tablet des Pflegers. „Der rote Notfallknopf bleibt natürlich“, erklärte Schumann. Aber über die Spracherkennung kann der Patient mitteilen, welche Bitte er im Augenblick hat. Es waren vor allem Pflegekräfte im Publikum, die sich für Schumanns System interessierten.
2019 soll die Xpomet nach Berlin kommen
Viele Medizintechnikspezialisten, Ingenieure und Informatiker, auch Pfleger, aber nicht so viele Mediziner tummelten sich am ersten Tag auf der Xpomet. Der Hersteller Getinge zog nach dem Beginn bereits eine positive Bilanz: „Das hat sich schon gelohnt. Wir haben viele Kontakte geknüpft. Und es ist ein anderes Publikum als auf den klassischen Medizintechnikmessen“, meinte Vertriebsmanager Hartmut Reuter. 2019 soll die Xpomet nach Berlin kommen und dann ihre Türen für einen Tag auch dem Laienpublikum öffnen.
Weitere Informationen
Über die Xpomet, deren
Veranstalter die Berliner Unternehmensberatung Pipits Business Management GmbH ist:
Bericht über die Xpomet 2019 in Berlin
Weniger Festival bei der Xpomet, aber viel Digitalisierung in der Medizin