Ob als Exoskelett oder als Helfer für das Pflegepersonal: Roboter rücken den Menschen immer näher. Daraus ergeben sich nützliche Kontakte – auch wenn sie gewöhnungsbedürftig sind. Forscher und Unternehmen arbeiten an sicheren Lösungen.
Zu schwer, zu gefährlich für den Menschen, ein Fall für Science-Fiction-Romane. Das war die Einschätzung, die selbst Forscher Ende der 50er Jahre einer Idee entgegenbrachten, für die die Zeit noch nicht reif war: Roboter zum Anziehen. Sie sollten einem gelähmten Menschen das selbstständige Gehen ermöglichen oder einem Gesunden das Tragen schwerer Lasten erleichtern, sei es im industriellen oder militärischen Bereich.
Es musste erst ein halbes Jahrhundert vorüberziehen, bis es solche Hilfsmittel gibt, die den Menschen beinahe mit der Technik verschmelzen lassen. Und obwohl sich die Welt und unser Bild von ihr erheblich gewandelt haben, ist der Anblick eines Individuums, das sich einem Roboter völlig anvertraut, noch immer ungewohnt. Schließlich sind wir darauf trainiert, dass uns ein Zaun oder wenigstens eine Lichtschranke von Elementen trennen sollten, die uns problemlos einen K.o.-Schlag versetzen könnten.
Mit einem ganz anderen Blickwinkel auf intimen Kontakt zur Technik haben aber verschiedene Forschungsgruppen weltweit über Jahre hinweg gearbeitet. Eine davon hat im Jahr 2005 an der University of California in Berkeley mit der Entwicklung von Exoskeletten begonnen und jüngst – inzwischen als Spin-off in der Wirtschaft aktiv – ihr Resultat auch in Europa vorgestellt. Der Geh-Roboter „Ekso“ ist für den medizinischen Einsatz gedacht. Wer zwischen 1,50 und 1,90 Meter groß ist, maximal 100 kg wiegt und in der Lage ist, selbstständig seine Position zu wechseln, kann ihn innerhalb weniger Minuten an die eigene Statur anpassen. Dann wird Ekso über Kleidung und Schuhe angezogen und mit Bändern fixiert.
Jede Bewegung, die man mit dem batteriebetriebenen Roboter gemeinsam ausführt, wird über Handbewegungen gesteuert. Das Gerät erkennt mit Sensoren, computergestützt und in Echtzeit, die Absichten des Anwenders, berechnet die Bewegung und führt sie entsprechend aus. Mittlerweile wird das Exoskelett in Kliniken und Rehabilitationszentren in den USA eingesetzt und ist auch in Europa erhältlich.
Die Herausforderungen dieses Projekts lagen nach Angaben der Hersteller, die mittlerweile unter dem Namen Ekso Bionics im Markt auftreten, in den hohen Anforderungen an die Sicherheit der Benutzer. Es galt, die Gefahr von Stürzen weitestgehend zu eliminieren, trotzdem so anpassungsfähig wie möglich zu bleiben und ein natürliches Gangbild zu erzielen.
Um das zu erreichen, wurden der Antrieb und zahlreiche Sensoren eigens entwickelt. Den Forschungsaufwand dafür hielten die Entwickler für gerechtfertigt, da nur so jedes Bauteil für den Einsatz optimiert ist. Die Ingenieure benutzten dabei die CAD-Software SolidWorks, mit der die Konstruktion in 3D modelliert werden kann. Die Software verfügt über Funktionen, mit denen ganze Baugruppen erstellt werden können, und eine Datenbank, die gleichzeitig das Gewicht der Konstruktion errechnet. Dies ist ein wesentlicher Punkt, an dem frühere Projekte scheiterten: So wog etwa ein in den 60er Jahren entwickelter Greifarm mehr als doppelt so viel wie die zu tragende Last. Der Ekso hingegen wiegt insgesamt rund 20 kg und ist so konstruiert, dass seine Nutzer dieses Gewicht nicht wahrnehmen.
Ein kritischer Punkt war die Kniebeugung, da sie das Gangbild bestimmt. Die Optimierung brachte viel Aufwand für Tests und Simulationen mit sich. Da sich das Gefühl der Patienten für Sicherheit und Vertrauen in das Gerät nicht simulieren lässt, führten erst zahlreiche Prototypen zum fertigen Produkt. Und auch jetzt, da die ersten Geräte im Einsatz sind, ist die Entwicklung eher am Anfang als am Ende, wie Ekso Bionics meldet. „In Europa wird das Gerät zunächst in Reha-Zentren für Wirbelsäulenverletzungen unter klinischer Aufsicht eingesetzt. Aber wir hoffen“, sagt Andy Hayes, Managing Director für EMEA bei Ekso Bionics, „das Einsatzgebiet in Kürze auch auf andere Krankheitsbilder auszuweiten.“
Wie Exoskelette aufgebaut sein können und welche Möglichkeiten dieser Ansatz sonst noch bietet, loten aber auch andere Forschergruppen und Unternehmen aus. So gibt es Überlegungen dazu, wie Exoskelette in einer alternden Geselllschaft eingesetzt werden könnten, auch am Stuttgarter Fraunhofer-IPA. Dort wurde im Rahmen eines Vorlaufforschungsprojekts ein neuartiger Leichtbauroboter entwickelt. Den biomechanisch orientierten Roboterarm bewegte zunächst ein Seilzugantrieb mit einem Do- Helix-Muskel. Dieser hat ähnliche Eigenschaften wie ein biologischer Muskel. Durch Aufwickeln und damit Verkürzen einer zugfesten Schnur kann er eine Kraft aufbringen. Der Wegfall schwerer Übertragungselemente reduzierte das Antriebsgewicht, und durch die realisierte Untersetzung können hohe Stellkräfte in den Seilen erreicht werden.
Inzwischen wurde das Anstriebssystem noch weiterentwickelt, trägt den Namen Quad-Helix und ist für viele Anwendungen im Bereich der Leichtbaurobotik und Prothetik einsetzbar, wie es aus Stuttgart heißt. So sind Anwendungen für unterstützende Exoskelettstrukturen ebenso denkbar wie die Nutzung als Manipulatorarm auf einer autonomen Serviceroboterplattform oder als Handlingeinheit in kleinen und mittleren Unternehmen.
Und in Japan, wo das Problem des demographischen Wandels ebenfalls oben auf der Prioritätenliste steht, hat die Cyberdine Corporation den Roboteranzug Hal vorgestellt – mit Einsatzmöglichkeiten in der Reha, in der Industrie oder auch für ältere Menschen, die wegen vielerlei Beschwerden schlecht zu Fuß sind. In einer ähnlichen Richtung bewegen sich auch die Entwickler bei Toyota. Weil es für Roboter zukünftig noch viel mehr zu tun geben wird, kündigte das japanische Unternehmen zum Ende des Jahres 2011 vier neue Typen von Helfern an, die schon im Jahr 2013 im Pflege- und Gesundheitsbereich auf den Markt gebracht werden sollen: ein Bewegungstrainer, ein Balancetrainer, eine Gehhilfe nach dem Prinzip des Exoskeletts und der so genannte Patient Transfer Assist. Letzterer soll dem Pflegepersonal helfen, den Patienten zum Beispiel vom Bett auf die Toilette zu bringen – ohne selbst viel heben zu müssen. Keiner der vier hat irgendwelche menschlichen Züge oder auch nur eine annähernd menschenähnliche Gestalt. Doch werden wir sie und ihre Kollegen wohl eines Tages willkommen heißen – müssen, wenn die menschlichen Ressourcen erschöpft sind. op
Weitere Informationen Wie sich Exoskelette im alltäglichen Straßenbild ausnehmen und wie der 10 kg leichte Roboter-Anzug Hal die Signale vom Gehirn auswertet und in Bewegung umsetzt, zeigen japanische Forscher in einem Video auf Youtube. www.youtube.com (Suche: Robotsuit Hal)
Ekso Bionics in Europa
Ausgehend von einer Niederlassung in London beliefert die US-amerikanische Ekso Bionics seit Beginn des Jahres auch Kliniken und Reha-Zentren in Europe. Die Prosperius Tiberino Clinica di Rehabilitazione im italienischen Umbertide wird den „anziehbaren“ Roboter als erstes Rehabilitationszentrum in Europa einsetzen. Zudem ist eine paneuropäische Studie geplant, die den gesundheitlichen Effekt auf die Patienten untersucht. Daran beteiligen sich acht Kliniken in sieben Ländern: Dänemark, Finnland und Norwegen, Deutschland und der Schweiz sowie Italien und Spanien. www.eksobionics.com
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