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Kunststoffe bieten immer noch ungenutzes Potenzial für die Medizintechnik

Medizintechnik
Kunststoffe bieten immer noch ungenutztes Potenzial

Kunststoffe bieten immer noch ungenutztes Potenzial
Prof. Dr. Hanns-Peter Knaebel ist Vorstandsvorsitzender der Röchling-Gruppe und verantwortet den Unternehmensbereich Röchling Medical Bild: Röchling
Noch ist „Medical“ beim Kunststoffspezialisten Röchling ein eher kleiner Bereich. Wie der Konzern seine Rolle als Zulieferer für die Medizintechnik gestalten will, erläutert der Vorstandsvorsitzende Prof. Hanns-Peter Knaebel. Bei Kunststoffen sieht er für die Medizintechnik generell noch großes Potenzial.

Dr. Birgit Oppermann
birgit.oppermann@konradin.de

Herr Professor Knaebel, welche Rolle spielt Kunststoff in der Medizintechnik – und was ließe sich noch damit erreichen?

Kunststoffe werden in der Medizin bisher oft mit low-tech verbunden, mit Verbrauchsmaterial und Einwegartikeln. Das ist ein bisschen schade, denn es gibt viel mehr Facetten, die bisher noch nicht genutzt werden. Die hohe Stabilität von Kunststoffen bei gleichzeitig niedrigem Gewicht wird im Automobilbau bereits gezielt eingesetzt – bei Medizinprodukten aber selten genutzt. Wir sollten uns daher die Eigenschaften von Kunststoffen genauer ansehen und den Dialog erweitern, um zu neuen Anwendungen zu kommen.

Was wäre im Einzelnen denkbar?

Wir müssen zum Beispiel die biologischen Anforderungen intensiv diskutieren und Expertise dazu aufbauen, wie mit bestimmten Materialien eine Wiederaufbereitung und Sterilisierung von Produkten möglich ist – und welche Haltbarkeitsdauer ein solches steriles Produkt erreicht. Wenn es dafür Lösungen gibt, wäre der nächste Schritt, Kunststoffe zum Beispiel so auszulegen, dass sie die gleiche Lebensdauer aufweisen wie Metalle, mit denen sie in einem Implantat kombiniert werden.

Welcher Kunststoff bietet derzeit das größte Potenzial für Innovationen ?

Einen herauszugreifen, fällt schwer. Aber wenn es zum Beispiel um das Ersetzen von Metall geht, ist PEEK wegen seiner Belastungsresistenz sowie seiner biologischen und chemischen Eigenschaften ein sehr interessanter Werkstoff. Er bietet viel Potenzial, sei es bei Implantaten oder Instrumenten. Bei Polyethylen und Polysulfonen – PSU, PES – sehe ich ebenfalls weitere Einsatzmöglichkeiten.

Welche Verarbeitungsverfahren sind für das medizinische Umfeld interessant?

Es gibt viele Verfahren, über die wir sehr gut Bescheid wissen. Am interessantesten ist derzeit der 3D-Druck – auch für die Medizin. Die Chance liegt vor allem darin, Produkte mit ganz neuen Morphologien herzustellen oder poröse Strukturen, die bisher nicht darstellbar waren. Sogar das Umbauen elektrischer Leiter ist damit möglich oder Kombinationen von Werkstoffen, die sich mit konventionellen Verfahren nicht realisieren lassen. Allerdings wissen wir über das Verfahren generell noch nicht genug, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen.

Wie nutzt Röchling den 3D-Druck?

Bisher stellen wir Prototypen und Kleinserien auf diesem Weg her. Bevor wir den 3D-Druck auch für Großserien einsetzen, wollen und müssen wir noch mehr Erfahrungen sammeln. Wir sind aber sicher, dass der 3D-Druck künftig einen festen Platz in der Kunststoffverarbeitung einnehmen wird.

Wie definieren Sie die Rolle von Röchling im Medical-Markt?

Röchling ist grundsätzlich ein Zuliefererunternehmen, und wir wollen diese Rolle aktuell auch im Medical-Bereich beibehalten – in den nächsten drei Jahren werden wir sicher keine eigenen Medizinprodukte in Verkehr bringen.
Eigene Produkte würden eine entsprechende Vertriebsmannschaft erfordern, die die Kunden global bedienen kann, und das wäre eine ganz andere Aufgabe als die, die wir heute als Zulieferer wahrnehmen.

Wie gestalten Sie die Rolle als Zulieferunternehmen?

Wir haben global verteilte Produktionsstandorte, in Europa, in den USA und ab Oktober auch in China und können so ein guter Partner für die ebenfalls global aktiven Kunden sein. Diesen Aspekt werden wir intensiv weiterentwickeln, um überall verlässliche Technologie anbieten zu können. Viele Inverkehrbringer versuchen, ihre Lieferkette zu konsolidieren, und dabei sind verlässliche Partner besonders gefragt.

Welche Herausforderungen entstehen für einen Zulieferer durch die EU-MDR?

Mit der EU-MDR weitet sich die Zertifizierungspflicht auf die komplette Wertschöpfungskette aus. Das heißt für uns, dass wir unsere Dokumentation und die gesamte Produktion so führen müssen, dass jederzeit ein Audit durch eine benannte Stelle stattfinden kann – was bisher nur für die Hersteller selbst galt. Das steigert natürlich den Aufwand und fordert Ressourcen, um den regulatorischen Vorgaben gerecht zu werden.

Inwieweit werden solche Anforderungen bei Röchling schon spürbar?

Auch wenn wir jetzt in der Übergangsphase sind, spüren wir die Änderungen schon. Angesichts eines Zulassungshorizonts von etwa zwölf Monaten für neue Produkte ist klar, dass es bis 2020 nicht mehr lang ist – und manche benannten Stellen greifen bereits auf die künftigen Kriterien zurück, quasi als Vorbereitung.

Welche Lösungen bieten sich an für
eine Zukunft, in der Rohöl und Kunststoff eventuell ein sehr kostbares Gut werden?

Da bisher nur 4 Prozent des Rohöls für die Kunststoffherstellung verwendet werden und der weitaus größte Teil für die Energieerzeugung, ist davon auszugehen, dass die Ressourcen für Kunststoffe noch lange Zeit ausreichen –
vorausgesetzt, die Energiewirtschaft wird optimiert. Aber auch wenn das noch kein akutes Thema ist, denken wir schon jetzt zusammen mit unseren Lieferanten darüber nach, wie in zwanzig oder dreißig Jahren synthetische Herstellverfahren aussehen könnten, mit denen wir Kunststoffe in gleicher Qualtität wie heute liefern können. Noch sind wir bei diesem Thema allerdings entspannt.

Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Zukunftsaufgabe für die Kunststoff verarbeitende Industrie?

Wir müssen uns der Verantwortung stellen, auch Umweltaspekte mit zu betrachten – unabhängig davon, ob es um die Herstellung von Flaschen und Plastiktüten geht oder um Hochleistungskunststoffe. Das betrifft zum Einen die Produktion, die möglichst das Ziel einer Null-Prozent-Abfall-Quote erreichen sollte. Das streben wir bei Röchling bereits an und haben schon viel erreicht. Zum Anderen geht es um die Möglichkeiten der Rückführbarkeit bereits verwendeter Kunststoffe, und darin können wir meiner Ansicht nach alle noch viel besser werden.


Weitere Informationen

Über den Geschäftsbereich
Medical im Röchling-Konzern:

roechling.com/de/medizin/


Die Produkte aus dem Bereich Röchling Medical werden in innovativen Verabreichungs- und Primärverpackungssystemen, chirurgischen Instrumenten und Diagnose-Einwegartikeln verwendet
Bild: Röchling

Ausbau des Bereiches Medical

Zur Röchling-Gruppe mit Sitz in Mannheim gehören viele Standorte weltweit. In den Bereichen Industrie, Automobil und Medizin erwirtschaftet der Konzern mit mehreren Tausend Mitarbeitern einen Jahresumsatz in Milliardenhöhe. Der jüngste, 2016 gegründete Unternehmensbereich Medizin bietet Produkte, aus Kunststoff für Pharmazie, Diagnostik, Surgery und Life Science.

Im Juni hat Röchling Advent Tool & Mold, Inc., die amerikanische Precision Medical Products, Inc., (PMP) mit Sitz in Denver übernommen. PMP hat Erfahrung in der Herstellung medizinischer Geräte und in der Entwicklung und Herstellung präzisionsgefertigter Metallprodukte.

Im Juli gab die Röchling-Gruppe bekannt, dass die Frank Plastic AG – vorbehaltlich der kartellrechtlichen Zustimmung – übernommen werden soll, ein Anbieter von Medizin- und Industrietechnik mit Sitz in Waldachtal in Baden-Württemberg. „Mit Frank Plastic haben wir die Option, zusätzliche Kundenpotenziale besonders im Wachstumsmarkt Medizintechnik zu erschließen“, sagt Joachim Lehmann, BU Director Medical Europe der Röchling-Gruppe.

Prof. Dr. Hanns-Peter Knaebel trat im Oktober 2017 als stellvertretender Vorstandsvorsitzender in den Röchling-Konzern ein. Seit Januar 2018 hat er im Vorstand den Vorsitz übernommen. Zuvor war der Mediziner Vorstandsvorsitzender der Aesculap AG und vertrat die Sparte Aesculap als Mitglied des Vorstands der B. Braun Melsungen AG.

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