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Die reflektierenden Teile für Knieimplantate sind komplex geformt und willkürlich ausgerichtet – aber ein neues vollautomatisiertes Robotersystem mit industrieller Bildverarbeitung kann diese präzise und wiederholbar greifen und sicher wieder ablegen. Entwickelt haben diese Applikation Fachleute einer führenden irischen Forschungs- und Technologieeinrichtung, der Irish Manufacturing Research (IMR). Die Einrichtung bietet ein breites Portfolio an Forschungs-, Schulungs- und Beratungsdienstleistungen zum Themenkomplex Industrie 4.0. Die Roboteranwendung mit Machine Vision haben sie gemeinsam mit Multipix Imaging aus dem englischen Petersfield und dem Münchner Software-Hersteller MVTec entwickelt. Beide sind auf Automatisierung und industrielle Bildverarbeitung spezialisiert.
Implantate: Für Bildverarbeitung eine Herausforderung
„Bislang wurde die Anwendung manuell durchgeführt“, erklärt Kevin Dooley, Projekt Manager bei IMR. Um die Effizienz zu steigern und die Kosten zu senken, sollte die Anwendung aber roboterbasiert erfolgen. Dafür nutzen die Partner die Bildverarbeitungssoftware MVTec Halcon. „Eine qualitativ hochwertige Bildverarbeitungssoftware war eine entscheidende Komponente bei der Umsetzung, da die Beschaffenheit der Oberflächen der Implantate äußerst herausfordernd ist“, sagt Anum Rehman, Senior Researcher bei IMR.
Die Schwierigkeit liege in der starken Varianz der Oberflächen von matt bis hochreflektierend sowie in den komplexen Formen. Dazu kommen Herausforderungen, die sich aus der Prozessumgebung ergeben: Teile werden durch Behälterwände verdeckt, sind zufällig angeordnet und müssen aus unterschiedlich großen Behältern gegriffen und abgelegt werden.
Genau, schnell und flexibel sollte das System sein
Gleichzeitig waren auch die Anforderungen an die Applikation als Ganzes hoch. So müssen die Teile in den sechs Freiheitsgraden
- mit einer Genauigkeit von ± 3 mm bearbeitet werden,
- sollten die Zykluszeiten weniger als 15 s betragen,
- benötigt der Anwender ein singuläres System, das über alle Polierstufen hinweg eingesetzt werden kann und
- sollte der Betrieb und die Zusammenarbeit mit einem Robotersystem mit Bauteilen in einer halbstrukturierten Konfiguration möglich sein.
All das ließ sich realisieren, indem im im Zentrum der Anwendung ein Sechs-achsiger UR3-Roboter arbeitet, ausgestattet mit einem Greifer. Ein Ringlicht in der Roboterzelle leuchtet die Umgebung gleichmäßig aus und optimiert die Leistung. Für den Bildeinzug dient eine 2D-Industriekamera. Gesteuert wird die Anwendung von einem Laptop mit Halcon-Software. Sie ermöglicht mit Hilfe der 2D-Bildkamera, ein Objekt zu lokalisieren. Dessen Koordinaten gelangen über TCP/IP zur Robotersteuerung.
Roboter weiß, was er greift und wo es hingehört
Der Roboter greift dann eigenständig sämtliche Werkstücke, ohne dabei andere Implantate zu berühren, und sortiert sie entsprechend ihrer Zugehörigkeit. Dazu muss der Roboter wissen, welches Bauteil er gerade greift und wohin er es ablegen muss.
Damit der Roboter die Komponenten „sehen“ kann, war der Einsatz einer leistungsstarken Bildverarbeitungssoftware notwendig.
Simon Hickman, Managing Director von Multipix Imaging, kannte sowohl MVTec Halcon als auch die Anforderungen seitens IMR und sah, dass die für die Applikation relevante Halcon-Technologie das Shape-Based 3D Matching war. Diese formbasierte Matching-Technologie findet Objekte präzise und robust – auch, wenn Teile rotiert, skaliert, perspektivisch verzerrt, lokal deformiert, teilweise überdeckt oder außerhalb des Bildes sind oder nicht-linearen Beleuchtungsschwankungen unterliegen.
3D-CAD-Modell als Basis für den Abgleich
Für die Bilderkennung werden die 3D-CAD-Modelle der zu erfassenden Objekte in Halcon geladen. Die Software erstellt daraus das 3D-Objektmodell, das für den anschließenden Abgleich verwendet wird. Verschiedene Ansichten des 3D-CAD-Modells werden automatisch berechnet, indem virtuelle Kameras um das 3D-CAD-Modell herum platziert werden. Das Modell wird in die Bildebene jeder virtuellen Kameraposition projiziert. Für jede so gewonnene Ansicht wird eine 2D-Objektdarstellung berechnet. Reale Bilder des Objekts sind nicht erforderlich. Die Objektdarstellungen aller Ansichten werden im 3D-Objektformmodell gespeichert.
Bei der Entnahme des Bauteils in der Anwendung liefert das 2D-Kamerabild das Profil des Teils. Der Vergleich zwischen gespeicherten Profilen und dem 2D-Kamerabild liefert eine Punktzahl zwischen 0 und 1, um das optimale Teileprofil zu bestimmen. Die 3D-Koordinaten des Teils werden dann erzeugt und an den Roboter gesendet.
Industrielle Anwendung ist zuverlässig und effizient
Auf Basis der Forschungsapplikation des IMR ist bereits eine industrielle Anwendung entstanden. Darauf sind IMR-Fachleute laut Dooley stolz: „Die automatisierte, roboterbasierte Applikation hat unsere Erwartungen und die unserer Kunden hinsichtlich Zuverlässigkeit, Effizienz und Kosten erfüllt.“
Bei IMR entstehen schon weitere Projekte mit Robotern und Bildverarbeitungssoftware, etwa zur Detektion flüssiger Reagenzien in einer biomedizinischen Anwendung. Was den Nutzen der Automatisierung für andere Anwendungen und Branchen anbelangt, sagt Simon Hickman von Multipix Imaging: „Wir sind überzeugt, dass weitere Unternehmen aus dem Gesundheitsbereich die Vorteile der Kombination von Robotern und industrieller Bildverarbeitungssoftware nutzen werden. Für die Zukunft sehen wir zahlreiche Anwendungen in der Qualitätskontrolle und bei Roboteranwendungen für Pick-and-Place.“
Über den Softwarehersteller
Die MVTec Software GmbH stellt Standardsoftware für die industrielle Bildverarbeitung her. Die Produkte eignen sich für Anwendungsgebiete wie Halbleiterindustrie, Oberflächeninspektion, optische Qualitätskontrolle, Messtechnik sowie für Medizin- und Sicherheitstechnik.