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Nachhaltige Medizintechnik: Keine Lösung, aber Puzzleteile dafür

Nachhaltige Medizinprodukte
Puzzleteile für mehr nachhaltige Medizintechnik

Puzzleteile für mehr nachhaltige Medizintechnik
Was ließe sich mit Kunststoffabfällen aus dem Gesundheitswesen machen, um das Verbrennen zu vermeiden? Der Wille dazu ist vorhanden, aber es sind noch Fragen offen (Bild: eplisterra/stock.adobe.com)
Nein, es gibt noch keine umfassende Antwort auf die Frage, wie das Gesundheitswesen oder die Medizintechnik nachhaltiger wird. Aber Bausteine, aus denen eine Lösung entstehen könnte, sind vorhanden, wie Beispiele zeigen. Und im kommenden Netzwerk Sustainability4health sind künftig auch weitere Medtech-Unternehmen willkommen.

Waste GPT? So bezeichnet die Würzburger Wesort.AI GmbH ein auf Abfall spezialisiertes, so genanntes generatives vortrainiertes Transformationsmodell. Die Aufgabe dieser mit einer Kamera kombinierten KI: blitzschnell Kunststoffabfälle erkennen, egal wie verschmutzt, zerkratzt oder zerdrückt diese daherkommen. „Unsere KI unterscheidet über sieben Millionen verschiedene Produkte, kann beispielsweise von einer PET-Flasche die Marke auslesen, das Volumen und den CO2-Fußabdruck berechnen sowie das Gewicht bestimmen“, erklärt Johannes Laier. Er hat zusammen mit seinem Bruder Nathanael das Unternehmen Wesort-AI gegründet. 2024 war es in der Kategorie Start-up als eines von drei Unternehmen für den deutschen Gründerpreis nominiert – und ist Ende September mit diesem ausgezeichnet worden.

Polyolefin-Rezyklate genauer charakterisieren

„Unsere KI sortiert deutlich reiner und besser, was zu einer effizienteren Wiederverwertung führt“, erläutert Laier. Die konventionellen Technologien zur Müllsortierung seien wenig digitalisiert und automatisiert. „Der Maschinenbau ist schon relativ weit, aber die Erkennung und anschließende Trennung lässt noch viel zu wünschen übrig“, sagt der Gründer. Das war die Marktlücke, an der Wesort.AI ansetzen wollt: Gegenstände präzise zu identifizieren und zu sortieren.

„Wir wollten etwas tun, das uns langfristig motiviert und worin wir gut sind“, betont Nathanael Laier. Die Brüder wählten bewusst ein Feld, das eine hohe Relevanz für die Gesellschaft hat und gleichzeitig großes Potenzial für Innovation bietet. „Unsere Herausforderung bestand quasi darin, ein Unternehmen zu schaffen, das wirtschaftlich erfolgreich ist und gleichzeitig die Welt verbessert.“

Aktuell hat Wesort.AI fünf solcher Systeme in verschiedenen Bereichen im Einsatz, darunter Gewerbeabfall, Gelber Sack und Elektroschrott. Geplant ist, diese Zahl deutlich zu steigern und nicht nur in Deutschland, sondern auch international zu wachsen.

Sustainmed: Mehr Nachhaltigkeit im Krankenhaus

Auch den Latexhandschuh aus dem Gelben Sack erkennen

Auch wenn die KI nicht auf Medizinprodukte ausgelegt und trainiert ist und es noch gar keine nennenswerten Stoffströme in diesem Bereich gibt, muss das System das eine oder andere Produkt aus dem Gesundheitsbereich schon jetzt erkennen. Denn es landet nicht nur der vorgesehene Verpackungsmüll im gelben Sack. Ampullen für Insulin seien da schon mal zu finden oder auch Gummihandschuhe aus Latex, berichtet Nathanael Laier. Diese gelte es zu erkennen und vor der Weiterverarbeitung zu entfernen, da zum Beispiel das Material der Handschuhe die folgenden Prozesse beeinträchtige. Grundsätzlich aber lasse sich die KI natürlich auch auf Medizinprodukte anwenden, wenn das gewünscht werde.

Die Hauptkunden von Wesort.AI sind heute Betreiber von Abfallsortieranlagen. Dazu gehören große Waste-Management-Konzerne wie Remondis, Veolia, Alba, Prezero und Lobbe, aber auch städtische Entsorger der jeweiligen Kommunen.

Nachhaltigkeit: Rücknahmesysteme für Medizinprodukte

Große Fortschritte im Abfallbereich hat es bereits gegeben. Aber um eine 100-prozentige Kreislaufwirtschaft zu erreichen, seien noch viele Herausforderungen zu bewältigen, sagt Johannes Laier. Verpackungen müssten recycelbar gestaltet sein, die Sortiertechnik weiter verbessert und die sortierten Fraktionen wiederverwendet werden können. „Unser Anteil ist, die Materialien zurückzuführen, weil nur dann die nachfolgende Prozesstechnik sinnvoll arbeiten kann.“

Im System des Start-ups versorgt eine Kamera die KI mit gigantischen Mengen Bilddaten, um eine möglichst sichere Entscheidung zu treffen. Die Sortierung ist schnell und fast 100 % genau. Menschliche Sortierer brauchten fünf Mal länger und erreichten gerade einmal die Hälfte bei der Genauigkeit, heißt es von Wesort.AI.

Wie Dräger Abfallberge in Rohstoffquellen verwandelt

Nachhaltige Medizinprodukte: Konsortium war rasch besetzt

Für Medizinprodukte ließe sich diese Effizienz und Schnelligkeit nutzen – bisher ist sie aber noch nicht gefragt, dafür sind zu einer möglichen Kreislaufwirtschaft im Gesundheitswesen noch zu viele Fragen offen. Aktivitäten in Richtung Nachhaltigkeit gibt es natürlich, sie seien heute aber oft noch „Einzelaktionen“. Ein „umfassender Wandel“ sei jedoch im Gange, der „die gesamte Branche transformieren“ werde. So beschreibt es der Steckbrief für Sustainability4health – einem ZIM-Innovationsnetzwerk, für das der Antrag gerade gestellt wurde.

„Das Interesse in der Branche ist riesig“, sagt Torsten Urban vom Kunststoff-Institut Lüdenscheid, der das künftige Netzwerk als Netzwerkmanager betreuen wird. „Drei oder vier Wochen nach der Ausschreibung hatten wir schon mehr als genug Partner fürs Konsortium zusammen und konnten mit dem Antrag beginnen.“ Das sei bei weitem nicht immer so.

Pilotprojekt Hospicycle setzt auf effektives Kunststoffrecycling

Aktuell wollen sich 26 Partner, darunter Forschungsinstitute, Medizinproduktehersteller und Zulieferer der Branche, am Netzwerk beteiligen. KMU sind beim Thema Nachhaltigkeit ebenso vertreten wie Konzerne – und auch ein Partner aus Portugal ist mit im Team. „Wir wollen uns mit einer großen Bandbreite von Themen befassen und die Partner zu kleineren Gruppen vernetzen“, sagt Urban. Diese Gruppen kümmern sich in der ersten Förderphase zum Beispiel um Recyclingkonzepte, auch für kombinierte Materialien, um Prüftechnik für das Recycling , um die Montierbarkeit oder Verpackungslösungen für Einwegprodukte. Lassen sich Medizinprodukte aus Recycling-Materialien herstellen? Wie lässt sich Müll in Arztpraxen und Kliniken vermeiden? Etwa sechs bis acht Technologieprojekte sind für die erste Phase angedacht, die nach Bewilligung bis April 2026 dauern soll.

In den folgenden drei Jahren sind weitere Projekte geplant. Und Urban betont, dass sich interessierte Unternehmen jetzt schon bei ihm melden können – denn für die zweite Phase können sich Partner dem Netzwerk anschließen und sich so als „Pioniere auf dem Gebiet der nachhaltigen Medizintechnik“ positionieren.

Studiengänge für Experten zum Thema Nachhaltigkeit

Damit es für solche nachhaltigen Ideen und Ansätze künftig qualifizierte Fachleute gibt, bieten Hochschulen neue Studiengänge an. So führt die Technische Universität Ilmenau ab dem Wintersemester 2024/2025 „Nachhaltiger Leichtbau“ als Masterstudiengang an. Die Medizintechnik als Anwendungsbereich ist darin ausdrücklich erwähnt.

An der Hochschule Coburg gibt es den, wie es heißt, „deutschlandweit einzigartigen“ Studiengang Additive Manufacturing and Lightweight Design. Hier geht es um Anwendungen in verschiedenen Industrie-Branchen, darunter die Medizintechnik, für die Strukturen aus Kunststoffen oder Metallen entwickelt werden. Studiengangleiter Prof. Dr. Markus Stark sagt: „Wo weniger Material eingesetzt werden muss, schont das Ressourcen.“ Es spare Material in der Produktion, und wenn weniger Masse bewegt werden muss, spare das Energie beim Transport und bei der Nutzung. „Unsere Absolventinnen und Absolventen sind in der Industrie gefragt“, sagt Stark. Nicht nur Technologien, auch die passend ausgebildeten Experten werden gebraucht, um das Puzzle „Nachhaltigkeit“ in einer Branche zusammenzusetzen. (op)


Weitere Informationen

Über die KI, die beim Abfallsortieren hilft:
www.wesort.ai

Über Sustainability4health:
www.kunststoff-institut.de
www.sustain4health.de


Wer den Carbon Footprint seines Produktes kennt, sieht auch die Ansatzmöglichkeiten, den Ausstoß zu reduzieren
(Bild: Suriy/stock.adobe.com)

Schulungen und Software zum CO2-Fußabdruck

Der Product Carbon Footprint (PCF) gibt Auskunft über die Emissionsbilanz eines Produktes über den gesamten Lebenszyklus. Er hilft, umweltfreundlichere Produkte zu entwickeln oder bestehende Produkte zu optimieren.

„Oft fehlt es Unternehmen jedoch an Datengrundlagen, die erst mühsam ermittelt werden müssen“, sagt Antonia Ivanda, Scientist in der Gruppe Nachhaltige und Zirkuläre Produkte am Kunststoff-Zentrum SKZ. Daher bietet das SKZ mehrmals im Jahr Kurse an, die über die Grundlagen der Erstellung von Ökobilanzierung nach ISO 14040/44 und der Carbon-Footprint-Berechnung nach ISO 14067 informieren. Der nächste Termin ist für Oktober 2024 geplant.

Es führt kein Weg an Ökobilanzen vorbei

Abgesehen vom einzelnen Produkt zählt auch der Company Carbon Footprint (CCF). Dieser erfasst die Treibhausgasemissionen eines Unternehmens und berücksichtigt dabei die gesamten Geschäftsaktivitäten. Um die CO2-Bilanz zu berechnen, bietet das SKZ Software-Tools gemäß ISO 14067 und GHG Protocol an. Auch Lebenszyklusanalysen nach ISO 14040/14044 sind möglich. „Unsere Tools beruhen auf aktuellen Ökobilanzmethoden und -daten, sind zudem nutzerfreundlich und können an vielfältige Anforderungen angepasst werden“, sagt Antonia Ivanda. Darüber hinaus unterstütze das SKZ Unternehmen beim Implementieren der Lösungen und biete Support sowie regelmäßige Updates und Erweiterungen.

Medizintechnik-Zulieferer: Hier kommen die Daten zum CO2-Fußabdruck

Mehr zu den Kursen zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks:

https://hier.pro/PTw4r

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