Frau Pradel, welche Überlegungen haben Sie in die Medizintechnik geführt?
Ursprünglich habe ich mich für die Medizin begeistert. Allerdings habe ich vor meiner Entscheidung für ein Studienfach Praktika absolviert und gesehen, dass der Arbeitsalltag eines Arztes im Klinikum nicht das ist, was ich mir für mein Berufsleben dauerhaft vorstellen könnte. Da ich mich sehr für Robotik und Prothesen interessiere, habe ich meine ersten Unternehmenserfahrungen dann bei einem Praktikum bei Siemens im Bereich Produktdesign gesammelt. Ich wusste gar nicht, was mich erwartet, aber die Arbeitsatmosphäre war toll – auch als Praktikantin wurde ich auf Augenhöhre angesprochen und konnte sinnvoll mitarbeiten. Diese Erfahrungen fand ich sehr positiv, und das hat meine Entscheidung für das Fach Medizintechnik mit beeinflusst.
Entsprachen die Studieninhalte Ihren Erwartungen?
(lacht) Sie haben sie übertroffen, würde ich sagen. Die ersten Semester waren wie ein Studium generale. Wir Studierenden haben in dieser Zeit gesehen, wie breit das Fach Medizintechnik aufgefächert ist, und bekamen Einblicke in Medizin, Maschinenbau, Materialwissenschaften, Elektrotechnik und Informatik. In dieser Zeit habe ich zum Beispiel für mich entschieden, meinen Schwerpunkt in den Bereich Informatik zu legen – was ich mir vorher niemals hätte vorstellen können. Aber die Kurse im ersten Semester waren total faszinierend. Und inzwischen habe ich hierzu sogar meine Bachelorarbeit verfasst.
Was überwiegt im Studium, die medizinische oder die technische Seite?
Das ist von Uni zu Uni verschieden. In Erlangen an der FAU, wo ich mein Bachelorstudium absolviert habe, liegt der Schwerpunkt auf der medizinischen Bildverarbeitung. Im Rahmen meines international geprägten Studienganges bin ich derzeit für ein Auslandssemester in Grenoble, wo der Schwerpunkt auf der Medizin liegt. Das ergänzt sich sehr gut. Für mich ist aber besonders faszinierend, dass technische Lösungsansätze in der Medizin anwendbar sind und einen direkten Effekt zeigen.
Welche Inhalte wären aus Ihrer Sicht im Studium ergänzend wünschenswert?
Was wir an der Uni tun, ist eher theoretisch geprägt. Mehr Anreize, praktische Erfahrungen zu machen, fände ich wichtig. Denn im Kontakt mit Unternehmen sind Noten nur die Eintrittskarte fürs Gespräch, alle weiteren Fragen drehen sich um praktische Arbeiten in der Forschung oder in der Industrie. Ich habe früh nach Möglichkeiten gesucht, in Gruppen mitzuarbeiten. Wie man eine Software im Team entwickelt, lernt man an der Uni nicht, dazu fehlen die Kapazitäten. Und es ist so schade, wenn Leute erst im fünften Semester diese Erfahrung machen und dann denken: „hätte ich das doch früher ausprobiert“.
Was ist Ihr Berufsziel: in Unternehmen zu arbeiten oder in der Wissenschaft?
Ich möchte auf jeden Fall beides tun. Das selbstständige wissenschaftliche Arbeiten und in der Lehre beteiligt zu sein, macht mit Spaß, das habe ich schon ausprobiert. Daher werde ich ab Frühjahr 2022 mit der Masterarbeit beginnen, und vielleicht schließt sich das Promotionsstudium an. In der Industrie zu arbeiten und zu sehen, was ich mit meiner Arbeit erreichen kann, reizt mich aber auch, das möchte ich unbedingt ausprobieren.
Was hat Sie zur Teilnahme am Young Talent Award bewogen?
Die Ausschreibung habe ich eher zufällig in einem Newsletter meiner Uni gesehen und mich einfach beworben. Zu diesem Zeitpunkt, Ende 2020 und mitten im Lockdown, hatte ich noch keine Ahnung, was mich erwartete und was die Teilnahme am Ende für mich bedeuten würde. Nach den Erfahrungen damit werde ich künftig aber alle entsprechenden Gelegenheiten für die Teilnahme an Ausschreibungen nutzen und kann das auch anderen nur empfehlen.
Welche Erfahrungen haben Sie rund um den Young Talent Award gemacht?
Als ich die Nachricht bekam, dass ich meine Bachelor-Arbeit auf der digitalen Messe vorstellen kann, habe ich mich gefreut und meinen Vortrag von zu Hause aus gehalten. Das war eher unspektakulär. Hätte ich gewusst, wie viele Menschen aus der Branche mir bei der Medtec Live tatsächlich zugehört haben, wäre ich viel aufgeregter gewesen. So ein großes Publikum schafft für eine gewöhnliche Bachelor-Arbeit eine Aufmerksamkeit, die man sonst einfach nicht hat. Und man merkt, dass man wirklich schon etwas geleistet hat. Über den Wettbewerb ist auch der Kontakt zu der Gruppe entstanden, in der ich meine Masterarbeit schreiben werde. Und die Sichtbarkeit für meine Arbeit hat sicher dazu beigetragen, dass ich demnächst einen Innovationspreis meiner Uni verliehen bekomme.
Sie spezialisieren sich in der Richtung Medizininformatik. Wie schätzen Sie die Bedeutung der Digitalisierung ein?
Mit der Digitalisierung bieten sich uns unfassbar viele Möglichkeiten für die Medizintechnik. Wir können für die Personalisierung von medizinischen Behandlungen sehr viel erreichen, anhand von Daten die Entstehung einer Erkrankung besser verstehen, sehen, wie die Behandlung anschlägt oder auch, welchen Einfluss persönliche Faktoren haben. Das ist toll – aber manchmal habe ich das Gefühl, dass Digitalisierung oder insbesondere Künstliche Intelligenz derzeit Buzzwords sind, die man schnell in eine Diskussion einbringt. Am besten nutzen können wir die Technik aber, wenn wir uns im Vorfeld ganz genau überlegen, was sie in einem konkreten Fall leisten kann.
Worauf sollten Studierende bei der Planung Ihres Berufsweges achten?
Die Medizintechnik ist extrem vielfältig und bietet sehr viele Möglichkeiten, die richtige Nische für sich selbst zu finden. Wichtig für die Zeit an der Uni finde ich aber, sich zu engagieren, Leute kennenzulernen und das eigene Netzwerk zu erweitern. Durch die Mitarbeit in verschiedenen Hochschulgruppen habe ich zum Beispiel den Ansprechpartner für meine Bachelorarbeit gefunden. Für solche Kontakte sollte man sich also auf jeden Fall Zeit nehmen.
Über den Young Talent Award
Zur virtuellen Messe Medtec Live im April 2021 haben die Veranstalter aus Nürnberg den ersten Young Talent Award ausgeschrieben. Studierende konnten ihre Abschlussarbeiten zur Medizintechnik einreichen. Diese wurden von einer Jury aus Industrie und Forschung gesichtet. Während der Messe stellten fünf Finalisten ihre Themen in einem Vortrag dem Fachpublikum vor. Charlotte Pradel wurde ausgezeichnet für ihre Bachelor-Arbeit zur Bildverarbeitung, die das Tissue Engineering unterstützt und die sie an der FAU Erlangen erstellt hat.
Für die Medtec Live with T4M vom 3. bis 5. Mai 2022 in Stuttgart ist eine Neuauflage des Award geplant.
www.medteclive.com/de/
nachwuchspreis
Kontakte zu Studierenden knüpfen
Eine der Hochschulgruppen, in denen sich Charlotte Pradel engagiert, ist die ETG Kurzschluss e.V., die zusammen mit den VDI Young Engineers Erlangen eine GbR für die Messe Contact gegründet hat. Diese Veranstaltung bietet Unternehmen die Möglichkeit, mit dem Nachwuchs an der Uni und potenziellen künftigen Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen und findet seit über 20 Jahren am Campus-Süd der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg statt.
Zum Organisationsteam der diesjährigen Messe Contact 2021, die am 24. und 25. November stattfindet, gehört Charlotte Pradel. Sie übernimmt mit zwei Mitstreiterinnen die Messeleitung. Insgesamt besteht das Organisationsteam aus zwei Dutzend ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen, die Planung und Durchführung übernehmen. Wie Pradel betont, wird die Medizintechnik mit 13 von 41 ausstellenden Unternehmen in diesem Jahr stark vertreten sein.
Traditionell ist die Contact eine Präsenzmesse mit mehreren tausend Besuchenden je Messetag. 2021 wird sie Corona-bedingt erstmalig als hybride Jobmesse mit digitalem Zweig stattfinden. Seminare und Workshops vor Ort ergänzen das Angebot.