Früher operierte man Patienten meist dort, wo sie ohnehin schon lagen – im Bett. Aus heutiger Sicht ist das unvorstellbar. Im Bett liegt der Patient instabil, was die Operation erschwert. Zudem war die Arbeit am niedrigen Bett für die Ärzte besonders bei längeren Eingriffen unbequem und anstrengend. Und steril war diese Umgebung schon gar nicht.
Die große Wende kam, als der Leipziger Chirurg Friedrich Trendelenburg Ende des 19. Jahrhunderts einen Operationstisch einführte, der im Kern den modernen OP-Tisch vorwegnahm. Der Tisch orientierte sich an der Anatomie des Menschen. Er war mit Zahnrädern an verschiedenen Gelenken verstellbar. Auch konnte man zwischen Liege- und schräger Sitzposition wechseln. Freilich wurden die Zahnräder über Griffe mit der Hand bewegt, und auch sonst mutet der Tisch aus schwerem Metall mit den eisernen Rädern heute wie aus der Zeit gefallen an. Dennoch war die Idee Trendelenburgs ein Meilenstein.
Trendelenburgs Idee zum OP-Tisch war nur der Anfang
Seitdem ist viel passiert. OP-Tische sind nicht mehr nur Tische, sondern Hightech-Medizingeräte. Das fällt oftmals erst auf den zweiten Blick auf, denn bei der Operation spielen sie im Grunde eine Statistenrolle. Sie sind einfach da und halten den Patienten in Position. Doch dazu gehört eben einiges: OP-Tische sind verstellbar, schwenk- und fahrbar. Sie lassen sich per Fernbedienung auf die Höhe des Operateurs einstellen. Zudem gibt es eine Fülle verschiedener Tische für unterschiedliche Eingriffe – für die Urologie, für Lungen- oder für Herzoperationen.
Wichtig bei der Operation ist, dass sich der Tisch ohne zu rucken verschieben lässt. Moderne Tische haben deshalb starke Motoren, die sanft anlaufen und Positionen millimetergenau anfahren können. Die Liegefläche lässt sich damit aber nicht nur in der Höhe verstellen. Sie kann auch in der Länge verfahren oder seitlich verschoben werden. Per Fußschalter kann der Chirurg den Tisch steuern.
Patienten halten und in Position bringen ist längst nicht alles
Viele Hersteller bieten zum Beispiel Endoskopie-Tische an, die mit einer stabilen Carbon-Liegefläche ausgestattet sind. Diese kann auch schwere Patienten mit einem Gewicht von mehr als 250 Kilogramm bewegen. Zudem kann diese für Röntgenaufnahmen des Herzens, die Angiografie, um mehrere Grad gekippt werden, sodass die Aorta im Bild optimal zu sehen ist. Bei manchen Tischen lässt sich sogar die Liegefläche von der Säule trennen. „Weil die Patienten nicht umgebettet werden müssen, steht der Operationssaal schneller für den nächsten Patienten zur Verfügung“, sagt der leitende Wissenschaftler Dr. Thomas Wittenberg vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen, das sich unter anderem mit der Entwicklung medizinischer Geräte und Software befasst. Ein weiterer Vorteil: Notfallpatienten können direkt auf der OP-Liege in den Saal gefahren werden, die man dann auf der freien Säule fixiert.
Entscheidend für viele Eingriffe ist, dass sich der OP-Tisch mit dem C-Bogen kombinieren lässt – einem fahrbaren Röntgengerät, das heute in Operationssälen zur Standardausrüstung gehört. An den gegenüberliegenden Enden des C-Bogens sind die Röntgenquelle und der Detektor befestigt. Der C-Bogen wird so an den OP-Tisch herangefahren, dass der Detektor unter dem Tisch liegt und die Quelle darüber schwebt. Der Patient kann also liegend mit Röntgenstrahlen durchleuchtet werden.
Alles, damit der C-Bogen flexibel eingesetzt werden kann
Damit C-Bögen an verschiedenen Stellen des Köpers positioniert werden können, lassen sich OP-Tische heute in der Längsrichtung extrem verfahren. Mann kann sie so einstellen, dass die Säule nur ein Drittel der Liege trägt und zwei Drittel frei schweben. Vor allem für schwere Patienten müssen die Tische daher extrem stabil ausgelegt sein. Das wird durch moderne belastbare Materialien wie zum Beispiel Carbon erreicht. Carbon hat zudem den Vorteil, dass es die Röntgenstrahlung kaum abschirmt, der Patient mit dem C-Bogen also gut durchleuchtet werden kann.
„C-Bögen lassen sich leicht verfahren und an die Lage des Patienten anpassen, dennoch hat man im Operationssaal stets ein zusätzliches Gerät, das bedient werden und nach der Operation gereinigt oder sterilisiert werden muss“, erklärt Thomas Wittenberg. „Ein neuer Trend bei der Entwicklung von OP-Tischen ist daher, den Röntgendetektor gleich im Tisch oder in der Säule des Tisches zu verbauen und den Detektor an einem Arm an der Decke des Raumes zu befestigen.“ Überhaupt sei diese Verschmelzung von Bildgebung mit anderen Geräten – der sogenannte Hybrid-Operationssaal – derzeit eines der großen Themen.
Dann kommt noch der Roboter dazu
„Hinzu kommt, dass C-Bögen künftig mehr und mehr durch Roboterarme bewegt werden”, ergänzt Dr.-Ing. Erwin Keeve, Professor für Chirurgische Navigation und Robotik an der Charité in Berlin. „Ein C-Bogen, der auf dem Boden steht, ist in seinen Bewegungen eingeschränkt. Ein Roboterarm hingegen kann sich in drei Dimensionen fast uneingeschränkt bewegen und nahezu jeden beliebigen Punkt im Raum ansteuern.“
Keeve arbeitet zusammen mit Medizintechnik-Herstellern auch daran, die Steuerung von Roboter und OP-Tisch miteinander zu verschmelzen. Der Grund: Steuert man beides gemeinsam, lassen sich die Bewegungen des Roboters perfekt mit denen des OP-Tischs abstimmen und Patienten in eine Position bewegen, die für den Operateur optimal ist. Und das gilt nicht nur für die Positionierung des C-Bogens, sondern auch von medizinischen Instrumenten. „Im Idealfall wird der OP-Tisch mit dem Patienten lageneutral zu den Instrumenten bewegt; mit anderen Worten: der Roboter führt die Instrumente der Patientenposition nach“, sagt Keeve. Vor allem auch bei endoskopischen Eingriffen könnten sich die Organe verlagern. Hier sei eine synchronisierte Bewegung von Tisch und Instrumenten besonders hilfreich, sagt Keeve. Und natürlich werden auch die Lampen automatisch nachgeführt.
Das Paradebeispiel für den Roboter im OP
Dass diese Vision keineswegs abwegig ist, zeigen die Davinci-Roboter, die seit mehreren Jahren in vielen Kliniken für gynäkologische und urologische Eingriffe eingesetzt werden. Der Arzt steuert den Roboter, der die Instrumente hält, aus der Ferne. Er orientiert sich an einem dreidimensionalen Kamerabild. Dabei werden die Handgriffe in sehr feine Bewegungen des Roboters untersetzt, sodass sehr präzise Arbeiten möglich sind – etwa bei der Entnahme der Prostata. Das feine Zittern der Hände unterdrückt der Roboter. „Von einem System wie Davinci ist es nur ein kleiner Schritt dahin, den OP-Tisch und den Roboter von einem gemeinsamen System perfekt aufeinander abgestimmt zu bewegen.“
Die Verschmelzung der Tische mit verschiedenen Technologien wie dem Roboterarm und der Bildgebung zum Hybrid-OP ist für Erwin Keeve das aktuelle Thema. „Letztlich kann diese Technologie dazu beitragen, dass Operationen sicherer und effizienter durchgeführt werden können“, sagt er. Hier sieht er noch Optimierungsbedarf, trotz aller Möglichkeiten, die OP-Tische heute schon bieten.
Was OP-Tisch und Smartphone noch nicht gemeinsam haben
„OP-Tische lassen sich heute meist nicht so intuitiv bedienen wie zum Beispiel ein Smartphone. Die Hersteller unterschätzen, dass in einem Operationssaal viele verschiedene Menschen die Geräte bedienen – verschiedene OP-Schwestern zum Beispiel.“ Das führe dazu, dass oftmals gar nicht alle Funktionen eines Tisches genutzt würden. Ähnlich sieht es Thomas Wittenberg: „Deshalb wird aktuell an OP-Tischen gearbeitet, die sich automatisch an den jeweiligen Arzt anpassen. So wie Oberklasse-Autos heute schon die Sitzposition und die Rückspiegel automatisch an einen Fahrer anpassen.“
Die technischen Finessen, die Operationstische heute nur gut 100 Jahre nach Friedrich Trendelenburg bieten, sind erstaunlich. Mit der Verschmelzung mit anderen Technologien wird man die Möglichkeiten, die sie bereits bieten, noch stärker ausreizen können. Der Operationstisch wird damit vom Statisten endgültig zu einem wichtigen Bestandteils des künftigen Hybrid-OPs.
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