Wenn im Labor die PCR-Tests auf das Coronavirus laufen, ist eine Menge gefährliche Fracht unterwegs. Kleine Probenröhrchen aus Kunststoff enthalten die Sekrete von Menschen, die vielleicht mit Sars-Cov-2 infiziert sind. Jedes der Röhrchen kann also kontaminiert sein – entsprechend vorsichtig muss man im Labor mit den Proben umgehen. Und genauso sicher wie bisher das Personal muss das auch ein automatisiertes System können, das den Durchsatz im Labor erhöhen soll und keine Fehler machen darf.
Laborautomatisierung: Schnell zu Robotern beim PCR-Test
Dieser Aufgabe haben sich die Anlagenbauer der Femitec GmbH aus Neusäß bei Augsburg gestellt und für ein namhaftes Laborunternehmen eine Laborzelle mit Robotern entwickelt. Die Ingenieure kamen dabei wirklich schnell zum Erfolg: Mit der Entwicklung angefangen haben sie im Dezember 2020. Wenige Monate später, im April 2021, konnten sie die Zelle schon ausliefern.
„Wir haben von Null an entwickelt“, sagt Raimund Geh, Mitglied der Geschäftsleitung bei Femitec. „Für diese Zelle gab es weder Muster noch Beispiel.“ Niemand hatte zuvor eine automatisierte PCR-Test-Analysestation erdacht, und es war von Anfang an klar, dass die Anlage in jeder Hinsicht zu hundert Prozent sicher arbeiten muss.
Auf den richtigen Greifer kommt es beim Automatisieren im Labor an
Dabei sind die Rahmenbedingungen herausfordernd genug. Denn abgesehen von den möglicherweise gefährlichen Sekreten, die in den Röhrchen sind oder an den Schraubdeckeln haften können, sind auch die Röhrchen selbst unterschiedlich. Die Teststationen verwenden Kunststoffröhrchen von verschiedenen Herstellern. Da variiert die Größe, oft auch die Wandstärke. Und da das Personal im Testzentrum die Röhrchen manuell verschraubt, ist die Kraft, die zum Öffnen erforderlich ist, individuell verschieden. Das Kunststoffgewinde kann sogar beschädigt sein oder ungleichmäßig verkantet. Eine Frage drängt sich also auf: Wie soll ein Greifer in einer automatisierten Zelle das alles bewältigen?
Doch den Ingenieuren bei Femitec ist es gelungen, diese Nuss zu knacken. Laut Maik Niemeyer, Leiter Planung und Projektmanagement, spielte dabei eine wesentliche Erkenntnis eine wichtige Rolle: „Wenn man einen Gegenstand greifen kann, bedeutet es noch nicht, dass man ihn auch halten kann.“ Denn beim ersten Aufbauversuch der Zelle hatte Femitec Greiftechnikkomponenten im Einsatz, die der Herausforderung nicht gerecht wurden: Die Greifer konnten die Teströhrchen zwar mit definierter Greifkraft problemlos aus dem Aufnahmetray entnehmen. Aber im Verlauf der weiteren Handlingaufgaben, also beim Weitergeben oder Öffnen, haben sie das eine oder andere Röhrchen fallen lassen. „Das darf im Labor auf gar keinen Fall passieren“, sagt Raimund Geh. „Wir mussten umgehend einen wirklich für diesen Fall spezifisch angepassten Greifer suchen.“
Spezieller Greifer von Schunk bietet die passende Lösung fürs Labor
Damit keines der vielen verschiedenen Röhrchen mehr herunterfallen konnte, waren sowohl eine spezielle Greiferkinematik als auch eine Software erforderlich, die die Greifkraft an filigrane Teile anpasst. Solche Greifer bietet die Schunk GmbH & Co. KG aus Lauffen am Neckar mit ihrem reinraumzertifizierten elektrischen Kleinteilegreifer EGP, der auch über eine integrierte IO-Link-Schnittstelle verfügt.
Der Greifer EGP 64 ist flexibel regelbar und ausdrücklich für Anwendungen in der Laborautomation gedacht. Der Anwender kann hier eine Greifkraft definieren, die dauerhaft anliegt. Wenn sich also das Probenröhrchen beim Zugreifen verformt, gehen die Greifbacken mit. Damit sind die Röhrchen zuverlässig und sicher durch den kompletten Folgeprozess gehalten. Die dafür erforderliche und mittlerweile als Standardfunktion integrierte Software Soft-Grip ermöglicht das prozesssichere und schonende Handling empfindlicher Teile, wie es in der konkreten Laborzelle erforderlich ist.
Greifer mit angepasster Greifkraft plus Taktzeitoptimierung
Marcel Conz, Produktspezialist für Automation, Mechatronik und Greifsysteme bei Schunk, hat die Möglichkeiten mit den Femitec-Entwicklern diskutiert. Er betont, dass der Greifer EGP 64 für kritische Handhabungsaufgaben im Bereich Life-Science und in der Elektronikindustrie sehr gut geeignet sei. „Bauteile wie Karpulen, Vials, Spritzen oder Elektronikbauteile werden schonend und sicher gegriffen, weil der Greifmodus Soft-Grip die Impulskräfte beim Auftreffen auf das Werkstück reduziert“, erläutert Conz. Doch der Greifer könne mehr: Die Greifkraftoptimierung Soft-Grip ergänze die Fast-Grip-Taktzeitoptimierung. „Beide Greifmodi sind im Greifer enthalten und ermöglichen es, unterschiedliche Bauteile in ein und demselben Prozess jeweils adäquat zu handhaben.“
Fast-Grip und Soft-Grip lassen sich jeweils so anpassen, dass der Anwender „größtmögliche Flexibilität, Sicherheit und Effizienz“ erreiche. Einer, der das beurteilen kann, ist Raimund Geh von der Femitec-Geschäftsleitung – und er zeigt sich mit dem Ergebnis zufrieden: „Durch Schunk haben wir eine Menge Zeit gespart.“ Zum Thema Greifen und Halten hätten er und seine Mitarbeiter viel dazugelernt und mit den richtigen Greifern alle Probleme gelöst. Im Frühjahr 2021 nach fünf Monaten Gesamtentwicklungszeit ging die automatisierte Laborzelle für die PCR-Analyse an den Start. Dort arbeitet sie seither reibungslos.
Zwei kollaborierende Roboter automatisieren Probenhandling im Labor
Abgesehen von der besonderen Greifertechnik ist die Zelle aber auch hinsichtlich der verwendeten Automatisierungstechnik eine Neuheit: Anstelle der Labormitarbeiter arbeiten hier zwei Roboter miteinander und tauschen alle Prozessinformationen in Echtzeit aus.
Einer der beiden verbauten Sechsachs-Knickarmroboter vom Typ FD-H5 von OTC Daihen greift sich parallel aus zwei Trays – eins rechts, eins links – die Kunststoffröhrchen, die aus dem Testzentrum ins Labor geliefert wurden. Es folgt die Anwesenheitskontrolle an einer Lichtschranke, das Durchmischen der Probe an einem Rüttelkissen. Wiederum an zwei Stationen parallel wird der Barcode erfasst. Dann öffnet ein EGP-Greifer mit Dreheinheit den Schraubverschluss und hält ihn, während der zweite Roboter mit der Pipette 0,2 ml der Probe entnimmt und diese sehr präzise der Reagenzablage zur Diagnostik zuführt. Der erste Roboter setzt die Schraubverschlüsse wieder auf und stellt die Teströhrchen im Tray ab.
Fünf Greifer halten, öffnen und verschließen die Probenröhrchen
Insgesamt fünf Schunk-Greifer von Typ EGP 64 IOL sind dabei im Einsatz: Drei übernehmen das Handling der Röhrchen, zwei Greifer halten den Schraubverschluss, während eine Dreheinheit das Röhrchen aufdreht beziehungsweise wieder verschließt – nonstop.
Und was die Kontaminierung mit Probenmaterial betrifft, die es unbedingt zu vermeiden gilt, hat die Zelle alle Tests bestanden: An keiner Stelle während des Prozesses verschleppt das System Material, die Absaugung funktioniert einwandfrei.
Über den Automatisierer
Der Sondermaschinenbauer Femitec in Neusäß/Täfertingen bei Augsburg realisiert mit rund 50 Mitarbeitern individuelle, schlüsselfertige Roboterzellen und Robotersysteme. Diese Kompakt- und Miniroboterzellen sollen einen schnellen Einstieg in die Automatisierung ermöglichen und somit die Produktivität steigern. Die Fachleute begleiten Auftraggeber von der Planung, Entwicklung und Montage bis zur Inbetriebnahme und Wartung der maßgeschneiderten Roboterlösung.
Über den Hersteller des Greifers
Schunk hat sich als Automationsspezialist und Technologieausrüster auch im Bereich Life-Science einen Namen gemacht. In den Branchensegmenten Med-Devices, Med-Tech, Lab Automation und Pharma ist das Familienunternehmen seit mehr als 30 Jahren unterwegs. Zum Life-Science-Portfolio gehören Greifer, Drehmodule, Linearmodule sowie Sensorikkomponenten. Im neuen Roboter-Applikationszentrum Co-Lab testet Schunk gemeinsam mit dem Auftraggeber die konkrete Anwendung für robotergestütztes Greifen, Spannen und Bearbeiten.
Wie Roboter und Greifer zusammen agieren, zeigt der Greifer-Hersteller in einem Video aus dem Laborumfeld auf Youtube (Dauer: 1:40 min)
Herausforderung PCR-Test
Unterschiedliche Arten von Tests auf das Coronavirus (Sars-Cov-2) werden allerorts und mittlerweile selbstverständlich durchgeführt. Ein zuverlässiges Verfahren, um die Viren anhand ihrer Erbsubstanz nachzuweisen, ist die Polymerase-Chain-Reaction (PCR).
Für die Analyse dort läuft das immer gleiche Protokoll ab: Röhrchen aus dem Aufnahmetray entnehmen, schütteln und per Barcode identifizieren. Verschlusskappe des Röhrchens abschrauben und exakt 0,2 ml Probenmaterial mit der Pipette entnehmen. Sobald das geschehen ist, wird die Verschlusskappe wieder aufgeschraubt und das Teströhrchen ins Tray zurückgelegt.
Das Probenmaterial aus der Pipette muss dann in das Reagenz-Substrat eingebracht und dem eigentlichen PCR-Test zugeführt werden, mit dem sich das Erbgut des Virus nachweisen lässt – sofern die getestete Person infiziert ist.
Zwei Hände reichen kaum aus, um das beschriebene Probenhandling ohne Zwischenablage sicher zu bewerkstelligen. Und es bleibt ja nicht bei wenigen Proben: Das immer wiederkehrende Abschrauben und Anschrauben der Röhrchenkappen ist für die Mitarbeiter im Labor sowohl unergonomisch und als auch geistig ermüdend, was zu Fehlern führen kann.
Mehr zum Thema Automatisierung im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie
Verpacken von OP-Masken: Low-cost-Automation mit Drylin-Portalen von Igus
Intelligente Serviceroboter helfen bei der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie