Der Gesundheitstourismus nach Ungarn sprudelt munter – nicht nur der Thermalquellen wegen. Rund 70 000 Patienten reisen jährlich in den Donaustaat, um sich die Zähne richten zu lassen und dabei den Geldbeutel zu schonen. Schnell lassen sich da bis zu 70 % der Kosten einsparen: Die Reisekosten eingeschlossen.
Mit einem Anteil von 40 % am Zahntourismus ist Ungarn Europas Spitzenreiter und nicht nur bei den Nachbarn aus Österreich beliebt. Nicht nur der Preis stimmt, auch die Qualität von Material und Behandlung hat einen guten Ruf.
„Viele ungarische Zahnkliniken sind auf Zahntourismus fokussiert“, sagt Jens Dexheimer, Leiter Sales Europe beim Schweizer Dental-Spezialisten Straumann. Seit 2008 hat das Basler Unternehmen eine Vertriebsniederlassung in Budapest. „Wir sind so näher an den Kunden und können auch mehr anbieten – zum Beispiel Ausbildung und Kundendienst.“
Im Premium-Segment sei Straumann ein Marktführer und habe die letzten Jahre jeweils ein zweistelliges Wachstum gezeigt, erklärt Dexheimer. Der Markt zeichne sich jedoch durch ein verhältnismäßig großes Non-Premium-Segment aus. Die Einführung der Nicht-Premium-Marken sieht er daher als große Chance: „Unser Vorteil als Straumann Group ist es, ein umfangreiches Portfolio von Premium- und Non-Premium-Zahnersatz-Lösungen anzubieten, zusammen mit einer breiten Reihe von Biomaterialien und digitalen Lösungen – und alles aus einer Hand.“
Bei Straumann geht man davon aus, dass sich der Markt weiterhin positiv entwickelt. Die Anzeichen sprechen dafür: nicht nur bei Dentalprodukten. Laut der Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (GTAI) wird der ungarische Markt für Medizintechnik bis 2021 jährlich um rund 5,5 % auf einen Umfang von 1 Mrd. US-Dollar anwachsen.
Das Wachstum kommt vor allem ausländischen Herstellern zugute, denn rund 85 % des Bedarfs werden eingeführt. Wichtige Lieferländer sind neben Deutschland mit einem Anteil von zirka 25 % die Niederlande sowie die USA, Dänemark, China, Belgien und Österreich.
Der Privatsektor treibt
die Nachfrage an
Angetrieben wird die Nachfrage zunehmend vom Privatsektor. Insgesamt sind die Gesundheitsausgaben mit einem Anteil von zuletzt rund 7,6 % am Bruttoinlandsprodukt aber relativ gering. „Drastisch unterfinanziert“, so bezeichnete der Mitteldeutsche Rundfunk in einem Onlinebeitrag von 2017 Ungarns Gesundheitswesen, das vor dem Kollaps stehe: Die Krankenhäuser seien oft in einem erbärmlichen Zustand, die Gehälter gering.
Viele Ärzte und Pflegekräfte zieht es daher ins Ausland. Personalmangel führt zu langen Wartezeiten. Mit durchschnittlich 75,7 Jahren (2015) ist die Lebenserwartung deutlich niedriger als in den meisten EU-Ländern.
Immer mehr Ungarn bevorzugen private Kliniken und Praxen. Zu den privaten Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen gehört auch B. Braun Melsungen. Mit B. Braun Trading und B. Braun Avitum Hungary betreibt der deutsche Medizintechnik- und Pharmahersteller ein landesweites Netzwerk für die Nierenversorgung und ist mit 18 Dialysezentren größter Anbieter in diesem Bereich. B. Braun Medical entwickelt und produziert Medizinprodukte. Mit 2000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 140 Mio. Euro sind die drei Unternehmen ein wichtiger Faktor im ungarischen Gesundheitswesen.
Die Medizintechnik hat in Ungarn Tradition. Vor hundert Jahren begann hier die industrielle Herstellung von Röntgengeräten, heute fertigen rund 150 Unternehmen vor allem für den Export nach Westeuropa. Auch internationale Hersteller nutzen die günstigen Standortbedingungen. So produzieren auch der dänische Hersteller Coloplast oder das US-Unternehmen Becton Dickinson vor Ort.
Drei Viertel der Industrieinvestitionen kommen aus dem Ausland. Ungarn unternimmt viel, um Investoren ins Land zu holen. So wurde die Körperschaftsteuer für Unternehmen 2017 auf 9 % gesenkt, Forschung und Entwicklung werden gefördert, es gibt ein neues Anreizsystem, das technikintensive Investitionen unterstützt, und die Steuern auf die Beschäftigung sollen weiter gesenkt werden.
B. Braun Ungarn wurde für das neueste Vorhaben eine staatliche Förderung in Höhe von 6,1 Mrd. ungarischen Forint in Aussicht gestellt, rund 20 Mio. Euro. Der Ausbau der Produktionsstätte in Gyöngyös, rund 80 Kilometer nordöstlich von Budapest, für 30 Mrd. ungarische Forint (100 Mio. Euro) gehört zum bisher größten Investitionsprojekt in der Geschichte von B. Braun Ungarn.
Investitionsprojekt schafft
neue Arbeitsplätze
In einer ersten Phase wird 2018 und 2019 die Medical-Produktion in Gyöngyös erweitert. Mit 1100 Mitarbeitern werden hier Einweggeräte für den ungarischen und – zu 90 % – für ausländische Märkte produziert. 2025 soll das Investitionsprojekt abgeschlossen sein. 400 neue Arbeitsplätze entstehen, die Produktion am Standort soll sich fast verdoppeln. Dass die Zahl der Beschäftigten in der Fertigung medizinischer Instrumente in Ungarn im vergangenen Jahr um 11 % gestiegen ist, liegt laut Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó auch an B. Braun.
Zu den rund 300 Schweizer Unternehmen im Land gehört der Antriebsspezialist Maxon Motor aus Sachseln. Präzise DC-Motoren aus der Produktion in Ungarn werden unter anderem in medizinischen Analysegeräten eingesetzt. Die Kunden sind weltweit tätig. „Als Absatzmarkt ist Ungarn für Maxon auf mittlere Sicht von geringer Bedeutung“, erklärt Heiner Ziethen, Mitglied der Geschäftsleitung von Maxon Motor Ungarn. Das Land habe sich vor allem als Werkbank für europäische Produktionsbetriebe einen Namen gemacht. 2017 wurde das Maxon-Werk in Veszprém erweitert. Rund 370 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Die Produktionsanlagen werden ausgebaut, neue Technologien und Produktionskapazitäten nach Ungarn verlagert. „Dadurch erhalten wir am Hauptsitz in der Schweiz zusätzliche Kapazität, um hochkomplexe mechatronische Gesamtsysteme zu entwickeln und zu produzieren“, so Ziethen.
Für Ungarn hätten mehrere Punkte gesprochen. „Der Standort in Veszprém ist relativ schnell vom Headquarter in der Schweiz zu erreichen, die Infrastruktur im Land ist stabil. Ungarn verfügt über ein großes Potenzial an kompetenten Mitarbeitern und nicht zuletzt sind die Produktionskosten niedriger im Vergleich zur Schweiz und Deutschland.“
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