Im stechenden Sonnenschein bei 37° C brutzeln im Innenhof des Longshan-Tempels in Taipei die Opfergaben – Früchte, bunte Bonbons und ein kompletter gebratener Hahn. Die Sonne brennt bei fast 90 Prozent Luftfeuchtigkeit so gleißend, dass man glaubt, in frisch gekochte, nasse Baumwollhandtücher gewickelt zu sein. Die Essengerüche vermischen sich mit dem Weihrauch zu einem schweren Parfüm, das sich über die Menschen legt, die mal leiser, aber eher lauter, mit ihren Begleitern und ihren Göttern reden. Halbmondförmige, kleine Holzklötzchen klappern auf dem steinernen Boden, und man muss aufpassen, nicht von ihnen an den Beinen erwischt – oder von den eifrig werfenden Gläubigen beim Wiedereinsammeln umgerannt zu werden. Die Betenden lassen die Holzmonde fallen, um herauszufinden, ob sie ihrer Göttin heute eine Frage stellen dürfen oder nicht.
Verlässt man sich in Taiwan beim Beten noch auf Holzklötzchen, so ist die Regierung des Landes in der Wirtschaft gezielter und bemüht sich, den Wachstum der letzten Jahrzehnte weiter zu fördern. Dabei konzentriert sich das Land auf sieben staatlich geförderte, zukunftsweisende Schlüsseltechnologien. Eine davon ist die Biotechnologie. Im Jahr 2016 hatte die dazugehörige Medizintechnik-Branche, laut Germany Trade & Invest (GTAI), ein Volumen von 3,5 Mrd. US-Dollar.
„Smarte“ Krankenhäuser für eine alternde Nation
Das taiwanische National Development Council geht davon aus, dass 2025 jeder Fünfte im Land über 65 Jahre alt sein wird. Diese Alterung hat Auswirkungen auf die Medizintechnik-Branche. GTAI sieht im Taiwan der Zukunft vor allem einen Markt für Geräte zur Vorbeugung vor und Behandlung von Herz- und Gefäßkrankheiten, Diabetes sowie Nieren- und Lebererkrankungen. Aber auch mobile Hilfsmittel und Geräte für den heimischen Pflegebedarf werden eine höhere Nachfrage finden. Medimaging Integrated Solutions ist ein taiwanisches Unternehmen, das diesem Trend folgt. Es bietet Telemedizin-Lösungen zur Ferndiagnose an. Sein Multifunktionsgerät Horus Scope kann zum Beispiel einfache Untersuchungen durchführen und die gewonnen Bilder per Wifi auf den Bildschirm des Arztes senden.
Staatliche Krankenversicherung und moderne Krankenhäuser
Auch darüber hinaus hat die kleine Insel große Ziele. Das zeigt sich auch in seiner Architektur. Am bekanntesten ist Taiwan sicher für seinen Wolkenkratzer Taipei 101, der über einen halben Kilometer in den Himmel ragt und Anfang der 2000er das höchste Gebäude der Welt war. Er symbolisiert den Anspruch des Landes, ganz vorne mitzuspielen. Das gilt auch für die Gesundheitsversorgung. Taiwan hat seit 1995 eine gut funktionierende staatliche Krankenversicherung. Laut GTAI sollen in den nächsten Jahren viele Krankenhäuser neu gebaut oder modernisiert werden.
Einige Unternehmen in Taiwan konzentrieren sich deshalb auf die Entwicklung eines „Smart Hospitals“ und ziehen dabei Expertise aus ihrem Hintergrund in der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT), die in Taiwan seit langem sehr stark ist. Diese Entwicklung wird dadurch unterstützt, dass Krankenakten elektronisch bereitstehen und so in Software-Umgebungen integriert werden können.
Ein Beispiel ist das weltweit aktive Unternehmen Advantech, welches seine Erfahrungen im Hightech-Bereich nutzt, um Hardware und integrierte Software-Lösungen für Krankenhäuser zu entwickeln. Seine Division I-Healthcare bietet zum Beispiel Systeme für Pflegestationen, integrierte Operationssäle, intelligente Stationsverwaltungssysteme und Verwaltungssysteme für Krankenhäuser an.
Exporte wachsen, Importe bei High-End-Produkten wichtig
Vom gesamten Markt von 3,5 Mrd. US-Dollar entfielen 1,9 Mrd. US-Dollar auf den Export, so GTAI. Laut dem Taiwan External Trade Development Council (Taitra) liegt der Außenhandel mit einem Wachstum von 11 % in dieser Branche über dem allgemeinen Wachstum von 6 %. Dabei sind die stärksten Exportprodukte unter anderem Rollstühle, Thermometer, Blutdruck- und Blutzuckergeräte sowie Kontaktlinsen. Die wichtigsten Abnehmer sind die USA, China und Japan. An vierter Stelle folgt Deutschland mit einem eher kleinen Anteil von 4,4 %.
Laut GTAI will das Land in der Zukunft in hochwertigere Medizintechnik aus den eigenen Unternehmen investieren, genannt werden Dentaltechnik, Produkte für die Orthopädie und Augen- und Gelenkbereiche sowie Dialysemaschinen, Mikrochirurgie und Medizinroboter. Um unter anderem diese Entwicklung zu fördern, verleihen das Wirtschaftsministerium und Taitra den Preis „Taiwan Excellence“, der jedes Jahr taiwanische Produkte auszeichnet. Ein Preisträger ist beispielsweise die Mixed-Reality-Brille des Unternehmens Taiwan Main Orthopaedic Biotechnology. Die Brille projiziert ein 3D-Bild des Patienten-X-Rays sowie ein Live-Feed der Operation auf die Brillengläser und dient so als Navigationsgerät für Chirurgen. So muss der operierende Arzt nicht zwischen einem Bildschirm und dem Patienten hin- und herschauen.
Medizintechnik: Eine schnell wachsende Branche
Es ist beeindruckend, wie schnell und zielgerichtet Taiwan seine Bemühungen in der Medizintechnik in den letzten Jahrzehnten gestärkt hat. Doch wer die Menschemassen und Hochhäuser des Ostens hinter sich lässt, sieht die Insel von einer anderen Seite: Der westliche Teil ist beherrscht von bewaldeten Bergen, die fast zwei Drittel der Insel einnehmen. Wer will, kann diese aus sicherer Höhe in der Seilbahn nach Maokung, gleich außerhalb der Hauptstadt, bewundern: Unter einem rollt sich der Urwald wie ein tiefgrüner Teppich aus. Hier wird klar, dass die Insel bis in die 1960er Jahre hinein noch ein ähnliches Bruttosozialprodukt pro Kopf hatte wie die Demokratische Republik Kongo. Erst in den letzten Jahrzehnten ist das Land als einer der „Tigerstaaten“ wirtschaftlich stark geworden; heute liegt das Pro-Kopf-Einkommen auf dem Niveau der europäischen Union.
Interessanter Markt für deutsche Hersteller
Dennoch kann Taiwan seinen Bedarf an Medizintechnik nicht selbst decken. Vor allem bei High-End-Geräten verlässt sich das Land noch auf Importe. Laut GTAI belief sich die Summe der Importe auf 1,6 Mrd. US-Dollar im Medizintechnik-Bereich im Jahr 2016. Sie decken damit 70 % des Bedarfs. Davon kommen 11 % aus Deutschland, und zwar hauptsächlich Röntgenapparate, Orthopädietechnik und Elektrodiagnosegeräte.
Axel Limberg, Delegierter des Deutschen Wirtschaftsbüros in Taiwan (AHK Taiwan), erklärt: „Für deutsche Unternehmen ist der Markteintritt in Taiwan ohne Hürden möglich. Über eine eigene Repräsentanz oder Zweigniederlassung kann ebenso wie über eigene Tochtergesellschaften oder ein Joint Venture mit einem taiwanischen Partner der Marktzutritt realisiert werden.“ Die AHK Taiwan hilft deutschen Herstellern dabei. Sie bietet von Marktanalysen über die Partnersuche bis hin zur Unterstützung bei der Firmengründung vielseitige Angebote für deutsche Unternehmen, die in Taiwan investieren wollen.
Alle Medizintechnikprodukte, die nach Taiwan importiert werden, müssen sich der Lizenzierung der taiwanische Food and Drug Administration (TFDA) unterziehen. Sie ordnet Produkte nach Vorbild des US-amerikanischen Systems in drei Risikoklassen ein. Zusätzlich müssen sich deutsche Hersteller auf die Gegebenheiten des taiwanischen Markts einlassen. Limberg sagt: „Aufgrund des nationalen Gesundheitssystems sind die Preise in Taiwan sehr kontrolliert. Das heißt, dass deutsche Unternehmen sich darauf einstellen müssen, Preise anzubieten, die mit den lokalen Marken konkurrieren können.“
Taiwan ist also ein Land, das auch in der Zukunft ein großes Wachstum in der Medizintechnik erwartet und mit seiner Lage im Herzen Asiens einen guten Einstiegspunkt für weitere Märkte in Südostasien bietet.
(Bild: Deutsches Wirtschaftsbüro Taipei)
Aus Expertensicht
„Taiwan begrüßt Investitionen aus dem Ausland“
Herr Limberg, wie sieht der Markt für Medizintechnik in Taiwan aus?
Der taiwanische Markt ist ein Markt, in dem Krankenhausauschreibungen eine wichtige Rolle spielen. Der erste Schritt ist der, dass Krankenhäuser die Geräte, die angeboten werden, sorgfältig prüfen. Nach der Genehmigung erfolgt ein Ausschreibeverfahren, das bestimmt, welche Produkte am Ende gekauft werden. Im Moment sind die wichtigsten beiden Themen im Land die „smarte“ Gesundheitsversorgung und die Langzeitpflege. Sie werden auch in der Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen.
Welche Wege gibt es für deutsche Hersteller von Medizintechnikgeräten, um in den taiwanischen Markt einzusteigen?
Im Herzen von Asien gelegen, begrüßt Taiwan direkte Investitionen aus dem Ausland. Ein Unternehmen in Taiwan zu gründen oder in Taiwan zu investieren folgt einem relativ einfachen Verfahren. Der Prozess ist für deutsche Medizintechnik-Hersteller der gleiche wie für jedes andere Unternehmen. Für deutsche Unternehmen ist der Markteintritt in Taiwan ohne Hürden möglich. Er gelingt über eine eigene Repräsentanz oder Zweigniederlassung ebenso wie über eigene Tochtergesellschaften oder ein Joint Venture mit einem taiwanischen Partner. Dabei ist das Wirtschaftsbüro Taipei normalerweise der erste Ansprechpartner für den Markteintritt.
Welche speziellen Produkte werden benötigt?
Auf dem Markt gibt es eine wachsende Nachfrage nach „smarten“ Produkten. Das „smart“ bezeichnet vor allem solche Produkte, die Verarbeitung von Krankenakten in der Cloud bereitstellen oder Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bieten, die durch künstliche Intelligenz unterstützt werden.
Welche Handelsabkommen und Zollvorschriften müssen deutsche Hersteller kennen, wenn sie mit Taiwan im Medizintechnikbereich handeln wollen?
Bei den Zollvorschriften ist die zugrunde liegende Basis der „HS Code of Products“. Ein Produzent muss herausfinden, welche spezifischen HS-Codes für seine Produkte Anwendung finden. Der HS-Code (der Name steht für „Harmonized System“, Amk. d. Red.) ist der administrative Code für die Einfuhr aus Drittländern. Der Importeur kann daraufhin seine Zollbestimmungen und damit zusammenhängende Verordnungen finden.
(Bild: Taitra)
Aus Expertensicht
„Der taiwanische Medizintechnikmarkt wächst“
Herr Wu, wie beschreiben Sie das Gesundheitssystem in Taiwan?
Die Regierung hat im März 1995 eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt, die so genannte National Health Insurance (NHI). Deren Hauptziele d waren die Verbesserung der Effizienz des Gesundheitssystems und der sozialen Gerechtigkeit durch einen höhere Versicherungsschutz. Unter Patienten lag die Zufriedenheit im Jahr 2016 einer Umfrage zufolge bei 80 Prozent.
Die Medizintechnik in Taiwan wächst. Wie bringt das Land die Branche voran?
Die Anwendung von internen Informations- und Kommunikations-Technologien (IKT) hat die Effizienz und Qualität in der Medizintechnik weiter vorangetrieben. Heute ist Taiwan mit seinem „Asiatischen-Silicon-Valley“-Konzept zu einem Spitzenreiter aufgestiegen. Die Regierung will Taiwans Rolle in der Branche weiter stärken, und zwar
indem eigene Medizinprodukte entwickelt werden, die den hohen Anforderungen des internationalen Marktes entsprechen – und das zu attraktiven Bedingungen. Mit unserem starken Hintergrund in IKT und Produktion sind medizinische Geräte in den Bereichen IT, Internet der Dinge (IoT) und KI vielversprechende Produkte für die Zukunft.
Wie hilft die allgemeine Krankenversicherung bei der Weiterentwicklung?
Seit 1995 hat die NHI die Patientendaten der gesamten Bevölkerung gesammelt. Im Moment arbeiten acht Forschungsteams mit den Daten, um anpassungsfähige und genaue Modelle für die Vorhersage verschiedener Krankheiten zu entwickeln. Die Daten der NHI bieten auch einen großen Vorteil für medizinische Anwendungen im Feld der KI.
Laut Angaben von Taiwan Healthcare+ will die nationale taiwanische Krankenversicherung ab diesem Jahr ihre medizinische Bilddatenbank für Biotech-Unternehmen und Unternehmen im Gesundheitswesen öffnen.
Welche Chancen ergeben sich für den Import auf den taiwanischen Markt?
Der Business Monitor International erwartet, dass der taiwanische Medizintechnik-Markt in den Jahren 2017 bis 2022 um neun Prozent wächst. Die Möglichkeiten für Importe ergeben sich im High-End-Bereich; hier sind die USA und Japan die Hauptlieferanten. Über 70 Prozent des Marktes wird von Importen abgedeckt, von denen 34,9 Prozent aus den USA kommen.
Welche Produkte exportieren umgekehrt taiwanische Hersteller?
Die exportierten Medizinprodukte sind hauptsächlich im mittleren bis unterem Bereich der Segmente angesiedelt. Auch Lohnfertigung für multinationale Unternehmen ist vertreten. In Zukunft werden zahnärztliche Geräte, Chirurgie-Geräte und bildgebende Geräte für den Export vielversprechende Produkte sein.
Wie wichtig ist Medizintourismus?
Taiwan versucht, den Medizintourismus zu fördern, da es über gut ausgebildete Ärzte, moderne Krankenhäuser, qualifizierte Pfleger und freundliches Personal verfügt. 13 taiwanische Krankenhäuser wurden von der Joint Commission International (JCI) akkreditiert – und vergangenes Jahr kamen mehr als 420 000 ausländische Patienten für medizinische Leistungen nach Taiwan, ein Drittel von ihnen aus Südostasien. Taitra fördert die medizinischen Dienstleistungen aktiv seit 2008 durch Ausstellungen und Messen sowie Handelsmissionen. Die anvisierten Regionen sind Südostasien, Hong Kong, Macau sowie Festlandchina. Zuletzt wurde der Fokus auf Länder im mittleren Osten erweitert.
Über Taitra
Das Taiwan External Trade Development Council (Taitra), ist eine von der Regierung mitfinanzierte Non-Profit-Organisation, die den Außenhandel Taiwans fördert. Die Hilfestellungen, die Taitra Unternehmen anbietet, beinhalten unter anderem Marktanalysen, Ausstellungs- und Messenbetreuung sowie Weiterbildung. Taitra betreut einen Gemeinschaftsstand von taiwanischen Herstellern auf der Medica in Düsseldorf in Halle 17 an Stand A 51.
Ansprechpartner in München: munich@taitra.org.tw