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Rumänien importiert Medizinprodukte: Während private Gesundheitsunternehmen schon auf westlichem Niveau arbeiten, herrschen im staatlichen Gesundheitswesen teils desolate Zustände. Die neue Regierung setzt aber auf Modernisierung und kündigt den Bau von Großkrankenhäusern an.
Bettina GonserFreie Journalistin in Stuttgart
Dringend sanierungsbedürftige Krankenhäuser, defekte medizinische Geräte, fehlende Medikamente und Medizinprodukte, mangelnde Hygiene, allgegenwärtige Korruption und viel zu wenig Personal: Rumäniens staatliches Gesundheitswesen steht seit Jahren in einem schlechten Ruf. Der Skandal um gepanschte Desinfektionsmittel brachte das Fass im Frühjahr 2016 vollends zum Überlaufen. Jahrelang hatte der rumänische Marktführer Hexi Pharma stark verdünnte Desinfektionsmittel zu überhöhten Preisen an Hunderte von Krankenhäusern geliefert. Auch in OPs wurden die weitgehend wirkungslosen Antiseptika verwendet.
Mit katastrophalen Folgen. Staatspräsident Klaus Johannis sprach von einer „tiefen Krise des Gesundheitssystems“, Gesundheitsminister Nicolae Banicioiu trat zurück, und sein Nachfolger Vlad Voiculescu kündigte an, die Missstände zu beheben. „Es ist wichtig, dass wir den Menschen das Vertrauen in das rumänische Gesundheitssystem wiedergeben“, sagte er nach seinem Amtsantritt im Mai 2016. Ein halbes Jahr später gab es Neuwahlen. Und den nächsten Gesundheitsminister.
Dass die seit Januar amtierende Regierung Grindeanu umgehend den Bau von neun staatlichen Großkrankenhäusern ankündigte, beurteilt der Arzt und Unternehmer Dr. Wargha Enayati denn auch eher skeptisch. In den letzten 25 Jahren habe es in Rumänien bestimmt schon 25 Gesundheitsminister gegeben, und seit der Revolution 1989 sei kein oder zumindest kaum noch ein staatliches Krankenhaus gebaut worden. Das Problem seien Inkompetenz und mangelnde Nachhaltigkeit: „Es kann nichts zu Ende geführt werden.“
Enayati weiß, wovon er spricht. Anfang der achtziger Jahre kam der gebürtige Frankfurter zum Medizinstudium nach Rumänien. Und blieb. Der Kardiologe wurde zum Pionier des privaten Gesundheitswesens, für das sich aufgrund des maroden staatlichen Systems immer mehr der 20 Millionen Rumänen entscheiden. Die von Enayati gegründete Organisation Regina Maria ist heute das größte private Gesundheitsnetzwerk des Landes. Neben der modernsten Geburtsklinik mit eigener Stammzellenbank gehören dazu unter anderem weitere Kliniken und Polikliniken sowie Bildgebungsdiagnostik-Zentren.
Auch das erfolgreiche System günstiger Gesundheits-Abonnements für medizinische Dienstleistungen durch Privatanbieter wurde von Enayati eingeführt. „Über eine Million Menschen haben so ein Abonnement, gegenüber vielleicht 100 000 mit einer privaten Krankenversicherung, sagt der 53-Jährige. Marktexperten gehen davon aus, dass sich die Zahl der Rumänen, die über ein solches Dienstleistungspaket verfügen, bis 2020 verdoppeln wird.
Das starke Wachstum des privaten Gesundheitsmarktes belebt die Nachfrage nach Medizintechnik, die zu 90 % durch Importe gedeckt wird. Gesundheitsunternehmen wie Regina Maria verfügen über modernste Technik und agieren auf westlichem Niveau. Das öffentliche Gesundheitssystem dagegen krankt an chronischer Unterfinanzierung. Während 2013 EU-weit im Schnitt knapp 8 % des Bruttoinlandsproduktes in den öffentlichen Gesundheitssektor investiert wurden, waren es in Rumänien nur 4,3 %.
Draculas Heimat fehlt der richtige Biss. Es mangelt nicht nur an einer modernen Infrastruktur, sondern auch am Personal. Die Ärzteflucht ist ein Riesenproblem, schon Medizinstudenten werden ins Ausland abgeworben. In den staatlichen Krankenhäusern arbeiteten 2014 etwa 13 500 Ärzte – halb so viele, wie benötigt.
Um die öffentlichen Krankenhäuser des EU-Mitglieds Rumänien zu modernisieren, stehen Fördermittel aus dem europäischen Topf bereit. Außerdem plant das Gesundheitsministerium nach Angaben der Außenhandelsagentur Germany Trade & Invest (GTAI) einen Staatsfonds zur Finanzierung der angekündigten Großkrankenhäuser: Neben acht regionalen Kliniken mit je 1000 Betten, die über neueste Technik und Telemedizin verfügen, soll in Bukarest eine Großklinik mit mindestens 2500 Betten und mehreren Forschungszentren gebaut werden. Bereits im Verzug ist der Bau von drei Regionalkrankenhäusern in Iasi (Jassy), Cluj-Napoca (Klausenburg) und Craiova mit EU-Fördermitteln für die Förderperiode 2014 bis 2020 in Höhe von 150 Mio. Euro.
Branchenkenner rechnen mittelfristig mit einem moderaten Wachstum des noch verhältnismäßig kleinen rumänischen Marktes für Medizintechnik. Dafür spricht neben dem Modernisierungsbedarf auch die positive Wirtschaftsentwicklung. Bei jährlichen Wachstumsraten von 2,9 % soll das Marktvolumen für Medizintechnik bis 2018 auf rund 504 Mio. US-Dollar anwachsen. Hochtechnologie wird im Ausland eingekauft. Rund ein Drittel der eingeführten Medizintechnik kommt aus Deutschland.
Kein Investor hat bisher den Schritt nach Rumänien bereut
Ein großes Potenzial sieht Wargha Enayati unter anderem im Bereich der Onkologie oder der Radiotherapie. Auch bei Rehakliniken stehe man erst am Anfang, sagt Enayati. Er hat das Regina-Maria-Imperium verkauft und widmet sich seiner gemeinnützigen Stiftung, die Menschen ohne Krankenversicherung oder mit niedrigem Einkommen eine Gesundheitsversorgung ermöglicht. Und er konzentriert sich auf neue Projekte. Das größte ist ein Luxusaltersheim mit Rehabilitations-Krankenhaus in Bukarest.
„Mit zunehmenden Einkommen in Rumänien steigen die Anforderungen an Gesundheitsleistungen und die dazu gehörende Medizintechnik“, sagt Alexander Weiß, Geschäftsführer von S. C. Oechsler Romania SRL in Lipova. Das Werk mit 240 Mitarbeitern ist eine Tochtergesellschaft des Oechsler-Konzerns, der im Stammwerk Ansbach unter anderem Bauteile und Baugruppen für Inhalationsgeräte oder Blutzuckermessgeräte fertigt. In Rumänien produziert Oechsler technische Kunststoffteile und Baugruppen mehrheitlich für die Automobilindustrie, unter Erreichung höchster Qualitätsstandards.
Eine Lieferantenstruktur und Nachfrage für Medizinprodukte, die eine Zertifizierung nach DIN EN ISO 13485 oder GMP erfordern, sei in Rumänien bisher kaum etabliert, erklärt Weiß. Jedoch bringe die sich dynamisch entwickelnde Automobilindustrie Lieferanten hervor, die schon heute technisch komplexe Bauteile und Baugruppen unter hohen Produktionsstandards fertigen und so den Sprung in die Medizinfertigung schaffen könnten.
Die rumänische S.C. Biotechnik S.R.L. in Cisnadie (Heltau) bei Sibiu (Hermannstadt) beliefert schon seit Jahren internationale Kunden aus der Medizintechnik mit hochwertigen Komponenten aus Edelstahl, wie Druckbehältern für den europäischen und amerikanischen Markt. Gegründet wurde das Unternehmen 1991. Der Eigentümer ist zugleich Geschäftsführer einer deutschen Firma, die an diesem Standort die Vorteile der Fertigung von lohnintensiv herzustellenden Komponenten intensiv nutzt. Die Nachfrage aus dem Bereich der Medizintechnik nehme zu, sagt Simona Bontas, die für After Sales zuständig ist. Ein Standortvorteil seien die deutlich niedrigeren Lohnkosten: „Die Anforderungen an die Qualität und Materialpreise sind die gleichen.“
Rumänien biete eine hohe Entwicklungsdynamik mit guten Rahmenbedingen, insbesondere zur Produktion mit interessanten Lohnkosten, betont Alexander Weiß, der seit neun Jahren im Land arbeitet und damit einer der dienstältesten Manager in Rumänien ist. Allerdings sei es in den Ballungsräumen schwierig, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Bürokratie und politische Stabilität seien weiterhin Herausforderungen, doch immerhin werde die Korruption bekämpft, mit bereits beachtlichen Erfolgen.
Die Vorurteile gegenüber Rumänien seien noch immer groß, sagt Wargha Enayati, der auch Vorstandsmitglied der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer ist. Wer sie beiseite lege, sei im Vorteil. „Kein Investor, der nach Rumänien kam, hat es bereut.“ ■
Weitere Informationen
Zur Organisation Regina Maria:
Zur Stiftung Regina Maria:
Zu Germany Trade & Invest:
Zum Kunststoffverarbeiter Oechsler:
Zu Biotechnik:
Ausschreibungen
Rumänien hat das Vergaberecht reformiert und im Mai 2016 neue Gesetze über öffentliche Ausschreibungen erlassen. Theoretisch bedeute das, dass erstmals nicht nur der billigste Anbieter zum Zuge komme, sondern dass etwa auch technische Kriterien oder langfristige Kosten in die Entscheidung einbezogen werden, erklärt der in Bukarest tätige österreichische Unternehmensberater Johannes Becker. In der Praxis komme aber nach wie vor meist der Billigstbieter zum Zug – aus dem einfachen Grund, weil das eine eindeutige Entscheidung sei.
Ausgeschrieben wird alles, was etwa im Rahmen öffentlicher Krankenhausprojekte investiert wird, darunter die gesamte medizintechnische Ausstattung. Die Ausschreibungen erfolgen laut Becker überwiegend auf Rumänisch. Man brauche also jemanden, der das beobachtet und übersetzen kann. Da viele Projekte schon einige Zeit vor der Ausschreibung angekündigt würden, sei es sinnvoll ist, das in den Medien zu verfolgen, um rechtzeitig vorbereitet zu sein. Becker ist Partner der TPA-Gruppe, einem in Mittel- und Südosteuropa tätigen Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen. (bg )
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