Herr Döhne, Italien hat in den vergangenen zehn Jahren relativ wenig in das öffentliche Gesundheitssystem investiert. Wird sich dies durch die Corona-Pandemie ändern?
Durch die Pandemie findet nun ganz klar ein Umdenken statt. Dies zeigt sich nicht nur in Absichtserklärungen der Politik, sondern auch auf der finanziellen Seite: Neben Sofortmaßnahmen wurde auch das Budget im Haushalt der Regierung schnell deutlich aufgestockt. Mitte Oktober wurden für 2021 weitere vier Milliarden Euro für den Gesundheitssektor bereitgestellt, zum Teil finanziert aus dem Corona-Recovery-Fonds der EU, dessen Löwenanteil ja nach Italien fließt Dies sind natürlich erst einmal Gelder für die aktuelle Bekämpfung der Corona-Krise. Und da wurde auch schon viel investiert, etwa in die Ausstattung mit Intensivbetten einschließlich Beatmungsgeräten. Doch ich bin davon überzeugt, dass Italien auch mittel- und langfristig wieder mehr in das Gesundheitssystem investieren wird, dafür gibt es Ansätze. Es steht auf alle Fälle viel mehr Geld zur Verfügung als in der Vergangenheit. Es ist somit etwas in Bewegung gesetzt worden, kein radikaler Umbruch, aber eine strukturelle Umorientierung. Vor diesem Hintergrund muss man den italienischen Medizintechnikmarkt neu bewerten.
Welche Produkte werden am Markt benötigt – und wo gibt es Chancen für ausländische Hersteller?
Es gibt viele Chancen auf dem italienischen Markt, von Diagnosegeräten bis zu Implantaten und Prothesen. Herausgreifen möchte ich vor allem den Bereich E-Health. Hier sind Lösungen gefragt, mit denen Patienten in ihren eigenen vier Wänden behandelt werden können, zum Beispiel wenn sie chronische Erkrankungen haben. Das ist nicht nur jetzt wichtig, damit diese Patienten vor der Ansteckungsgefahr in den Kliniken und Arztpraxen geschützt werden. Hier sehe ich Potenziale, wenn Hersteller nicht nur ein Produkt anbieten können, sondern eine Lösung einschließlich IT-Anbindung, eventuell in Zusammenarbeit mit einem IT-Anbieter. Wichtig ist dabei, den Mehrwert einer solchen digitalen Lösung aufzuzeigen. Gerade im Digitalisierungsbereich hinkt der italienische Gesundheitsbereich im EU-Vergleich weit hinterher, wie Studien belegen.
Das wundert mich. Ich dachte, Italiener sind digitalen Technologien gegenüber sehr aufgeschlossen.
Da muss man unterscheiden: Die Affinität zu Internet, Smartphones und digitaler Kommunikation ist in der Bevölkerung tatsächlich sehr hoch. Auch Fitness-Apps werden rege genutzt. Gleichzeitig besteht aber Misstrauen, sensible persönliche Gesundheitsdaten preiszugeben. Dafür müssten die Vorteile der digitalen Technologien für den einzelnen Patienten von der Regierung oder den Ärzten besser kommuniziert werden. Aus diesem Grund stoßen auch die digitale Patientenakte oder die Corona-Warn-App des italienischen Gesundheitsministeriums auf Skepsis. Insofern bedarf es weit mehr als nur digitaler Technologien.
Mit welchen Schwierigkeiten kämpfen deutsche Unternehmen vor allem, wenn sie auf den italienischen Markt wollen?
Viele deutsche Unternehmen gehen davon aus, dass ihre Produkte aufgrund ihres Qualitätsversprechens auch in Italien punkten. Doch das alleine reicht nicht. Es braucht in besonderem Maße persönliche Kontakte, eine dauerhafte lokale Präsenz, ein Netzwerk sowie ein Verständnis der Marktdynamik. Und man muss wissen, wie die Beschaffung organisiert ist. Das alles kann in Italien deutlich länger dauern als in Deutschland. Außerdem muss man wissen, dass die Bürokratie in Italien allgegenwärtig und herausfordernd ist.
Wie ist das Beschaffungswesen strukturiert?
Die Struktur ist etwas unübersichtlich. Zuständig sind die Regionen, wo wiederum eigenständig agierende Krankenhaus- und Gesundheitsunternehmen für ihre Zuständigkeitsbereiche beschaffen. Kommunikation und Abstimmung unter ihnen findet kaum statt. Es gibt noch großes Optimierungspotenzial, um die Koordination effizienter zu gestalten. Letztlich behindern diese Strukturen auch die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Sie müsste vielmehr zentral auf nationaler Ebene vorangetrieben werden. Die stärkere Nutzung der zentralen Beschaffungsplattform Consip ist hier eine positive Entwicklung.
Wie wichtig ist eine eigene Niederlassung in Italien?
Es muss nicht unbedingt eine eigene Niederlassung sein, aber für Unternehmen aus dem Ausland kann es hilfreich sein, für die Marktbearbeitung zumindest einen lokalen Partner zu haben, der den Markt mit seinen komplexen Strukturen kennt und das Geschehen vor Ort beobachtet.
Die Zulassung eines Medizinprodukts erfordert dessen Registrierung in einer Datenbank des italienischen Gesundheitsministeriums. Wie aufwendig ist das?
Es wird eine Anleitung dazu in englischer Sprache zur Verfügung gestellt. Dennoch ist der bürokratische Aufwand nicht ganz trivial. Doch daran sollte ein Markteintritt nicht scheitern, denn die Deutsch-Italienische Handelskammer unterstützt Unternehmen gern dabei.
Weitere Informationen
Oliver Döhne beobachtet als Director Italy und Malta bei GTAI (Germany Trade & Invest) in Mailand Branchentrends und die Wirtschaftsentwicklung in den beiden Ländern. GTAI ist die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der deutschen Bundesregierung. Ziel von GTAI ist es, ausländische Unternehmen, die ihre Geschäftstätigkeit auf den deutschen Markt ausdehnen möchten, zu beraten. Darüber hinaus gibt GTAI Außenwirtschaftsinformationen an deutsche Unternehmen weiter, die anstreben, ausländische Märkte zu erschließen.
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