Die furchtbaren Bilder aus italienischen Krankenhäusern nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie bleiben in Erinnerung: Intensivstationen sowie Ärzte und Pflegepersonal waren überlastet. Es gab zu wenig Krankenbetten und medizinisches Equipment wie etwa Beatmungsgeräte oder Verbrauchsmaterial. Italien wurde mit rund 36 000 Toten (Stand Anfang Oktober 2020) härter getroffen von Covid-19 als die meisten anderen europäischen Länder.
Schon im Frühjahr wurde diskutiert, was die Gründe für das Desaster sind. Das Europäische Netzwerk für Sozialpolitik (ESPN), das für die Europäische Kommission Analysen erstellt, gab die Antwort im April in seinem Flash Report „Das italienische Gesundheitssystem am Vorabend der Pandemie“: Neben dem vergleichsweise hohen Durchschnittsalter der italienischen Bevölkerung waren vor allem fehlende öffentliche Investitionen in den Gesundheitsbereich kritisch. Demnach sind seit 2010 die öffentlichen Gesundheitsausgaben in Italien im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt zurückgegangen – von 7,0 % im Jahr 2010 auf 6,5 % im Jahr 2017 – im Gegensatz zum allgemein stabilen Niveau in den EU-15-Staaten, in denen der Prozentsatz bei 8,2 % lag.
Starke Kürzungen nach der Wirtschaftskrise 2008/2009
Auch in der Zeit davor war das Gesundheitssystem Italiens laut ESPN nicht auf Rosen gebettet: Selbst im Jahr 2000 lagen die öffentlichen Pro-Kopf-Ausgaben für die Gesundheitsversorgung in Italien rund 9 % unter dem durchschnittlichen Niveau der EU-15-Länder. Nach der Wirtschaftskrise 2008/2009 erfolgten starke Kürzungen und danach eine Stagnation des Ausgaben-Niveaus, das laut OECD nicht wieder das Level vor der Wirtschaftskrise erreicht hat. „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Italien sein staatliches Gesundheitssystem stärkt, und dies kann nicht ohne eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben geschehen. Was wir jetzt brauchen, sind mehr wirtschaftliche Ressourcen, sowohl für die Einstellung von mehr Personal als auch für die Aufrechterhaltung/Erweiterung von Diensten und Einrichtungen“, stellte ESPN-Autor Emmanuele Pavolini klar.
Regionale Unterschiede bei den Gesundheitsdiensten
Erschwerend kommt hinzu, dass es innerhalb Italiens – hinter Deutschland, Frankreich und Großbritannien der viertgrößte Medizintechnik-Markt in Europa – große regionale Unterschiede gibt. „Unterschiedliche fiskalische Kapazitäten und Effizienzgrade der Gesundheitssysteme in den Regionen geben Anlass zur Sorge, ob ärmere oder leistungsschwächere Regionen in der Lage sind, Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdiensten zu bieten“, schrieb die OECD 2019 in ihrem Ländergesundheitsprofil Italien. Dazu muss man wissen, dass die italienische Regierung nur die groben Linien der Gesundheitsversorgung vorgibt. Die Ausgestaltung ist Sache der Regionen, Provinzen und Kommunen. Die einzelnen Regionen verfügen daher laut Germany Trade & Invest (GTAI) über eigene Beschaffungsorganisationen. Doch nutzen sie mittlerweile auch verstärkt die zentrale E-Procurement-Plattform Mepa der staatlichen Beschaffungsorganisation Consip, bei der sich Lieferanten registrieren, einen genauen Produkt- und Preiskatalog einstellen und zu Ausschreibungen eingeladen werden können.
Technische Modernisierung kurbelt Medizintechnik-Markt an
Das öffentliche Gesundheitssystem nimmt rund 75 % der Medizintechnik ab. „Es könnte nach mehreren Jahren von unterdurchschnittlichen Investitionen nun wieder aktiver werden“, sagt Oliver Döhne, Director Italien und Malta bei GTAI. Er berichtet in einer Marktanalyse vom September, dass das Gesundheitssystem für 2020 eine Aufstockung der Mittel von 2 Mrd. Euro erhalten hat, für 2021 weitere 1,5 Mrd. Euro. Der Fonds für die Restrukturierung der Gesundheitsinfrastruktur und die technische Modernisierung der Ausrüstung erhält demnach für 2022 und 2023 zusätzlich jeweils 100 Mio. Euro und für 2023 bis 2032 jeweils zusätzliche 200 Mio. Euro jährlich.
Große Summen vorgesehen für Medizintechnik-Beschaffung
Dabei seien 235 Mio. Euro explizit für die Anschaffung von Medizintechnik vorgesehen. Döhne: „Obwohl noch kein konkreter langfristiger Plan vorliegt, sind sich die Verantwortlichen einig, dass Italiens Gesundheitssystem landesweit einen einheitlichen Standard erreichen und digital werden muss.“ Wachstumsimpulse kommen zudem derzeit aus dem privaten Bereich, der 2019 um 1,8 % zugelegt hat.
Da Italien trotz lokaler Expertise in der Medizintechnik in vielen Bereichen ein Markt mit hohem Importanteil ist, eröffnen sich neue Chancen für ausländische Hersteller. Etwa zwei Drittel des Inlandsmarkts werden laut GTAI durch Importe bedient, insbesondere aus den Niederlanden, Deutschland, Belgien, Frankreich und den USA. Gefragte Produkte aus dem Ausland sind demnach zum Beispiel Heimpflege-Ausrüstung, ferngesteuerte Monitoring-Systeme, medizinische Laser, Endoskope, Bilddiagnosegeräte, Ausrüstungen für nicht-invasive und mikrochirurgische Eingriffe, Spritzen, Katheter, Kanülen, Anästhesie-Ausrüstungen, EKG, Stimulatoren und Defibrillatoren, Beatmungsgeräte/Apparate für Sauerstoff-/Ozontherapie, ophthalmologische Ausrüstungen, Herzschrittmacher, Ausrüstungen für Telemedizin sowie orthopädische Prothesen.
Europäisches Großdarlehen
Die Europäische Investitionsbank (EIB) hat Italien im Juli 2020 für Investitionen in die Medizintechnik ein Darlehen über 2 Mrd. Euro gewährt, um die Notlage zu bewältigen, die durch die Covid-19-Pandemie entstanden ist. Dies ist eines der größten Darlehen in der Geschichte der EIB. Es wird rund zwei Drittel der Maßnahmen abdecken, die in einem entsprechenden italienischen Dekret vom Juli über die Hilfen für das Gesundheitssystem vorgesehen sind. Die Finanzierung hat eine Laufzeit von 25 Jahren. Mit den Mitteln sollen unter anderem (Halb-)Intensivbetten, medizinisches Verbrauchsmaterial, medizinische Ausrüstung sowie digitale Systeme für die ambulante Pflege, Pflegeheime und die Fernüberwachung von Patienten finanziert werden.
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