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Schutzgelderpressungen, Entführungen, Morde: 50 Jahre lang tobte in Kolumbien der Drogen- und Guerillakrieg. Nach dem Friedensschluss mit der Rebellenorganisation FARC Ende 2016 hat sich die Lage erheblich verbessert, die Gefahren sind aber nicht endgültig gebannt. Und sie lauern auch unter der Erde.
Kolumbien liegt in einer seismisch aktiven Zone, doch nicht nur Erdbeben und Vulkanausbrüche sind eine stete Bedrohung. „Das Hauptthema, weshalb es extrem viele Behinderungen gibt, ist der jahrzehntelang Guerillakrieg“, sagt Ralf Stuch, Geschäftsführender Direktor und Chief Sales & Marketing Officer beim Prothesenspezialisten Ottobock aus Duderstadt. Der Boden ist noch immer stark vermint: „Es gibt im Schnitt im Jahr 300 bis 400 Soldaten oder Polizisten, die auf eine Landmine getreten sind.“
Kolumbien ist für Ottobock die Nummer 2 in Lateinamerika
Ottobock ist seit 15 Jahren vor Ort und hat enge Verbindungen zum Militär und zur Polizei aufgebaut. Die Niederlassung in der Hauptstadt Bogotá beschäftigt heute 80 Mitarbeiter, unter anderem in der zentralen Service Fabrication. Bei einem Jahresumsatz von 10 Mio. Euro ist Kolumbien für das Unternehmen nach Brasilien die Nummer zwei in Lateinamerika.
„Im orthopädischen Bereich gibt es ein sehr großes Potenzial“, sagt Stuch, dabei spiele jedoch immer auch die Finanzierbarkeit eine Rolle. Im Militär- und Polizeisystem sei eine höhere Versorgung möglich als im klassischen Erstattungsbereich. Und viele Menschen seien noch immer ungenügend versorgt.
Mit rund 50 Millionen Einwohnern – darunter bereits eine Million Flüchtlinge aus dem Nachbarland Venezuela – ist Kolumbien nach Brasilien und Mexiko das bevölkerungsreichste Land in Lateinamerika. Es ist auch der drittgrößte Markt für Medizintechnik. 2017 wurden nach Angaben der International Trade Administration des US-Handelsministeriums 93 % des Bedarfs importiert, vor allem aus den USA (31,8 %) und China. Deutschland folgte mit einem Anteil von 8,4 % an dritter Stelle, vor Irland und der Schweiz.
Experten erwarten positive Marktentwicklung
Nachdem das Marktvolumen für Medizintechnik zuletzt aufgrund der schwächeren Wirtschaftslage und der starken Abwertung des kolumbianischen Peso abgenommen hatte, wird nun wieder eine positive Entwicklung erwartet. Laut Schätzungen des Marktforschungsinstitutes Business Monitor International (BMI) wird der Markt von 1,04 Mrd. US-Dollar im Jahr 2017 bis 2022 auf 1,6 Mrd. US-Dollar anwachsen.
Auch beim Endoskophersteller Fiegert-Endotech in Tuttlingen rechnet man mit einer positiven Entwicklung. Ein Grund ist für den International Sales Manager Clemens Engelhardt das erwartete Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Es gebe einen großen privaten Gesundheitsmarkt mit exzellenten Hospitälern und einem steigenden Interesse an minimalinvasiven Techniken. Und die öffentliche Hand müsse ihre Hospitäler modernisieren, die Ausstattungen seien überaltert.
„Die Gesundheitsausgaben pro Kopf liegen mit zirka 500 US-Dollar niedriger als bei den größeren Nachbarstaaten“, sagt Engelhardt. Dadurch ergebe sich Potenzial im Nachholbedarf: „Unser Ziel ist es, neben den chirurgischen Instrumenten für Arthroskopie und Laparoskopie das Spektrum zu erweitern und komplette Systeme im Bereich der Urologie, HNO oder Gynäkologie zu etablieren.“
Lokaler Händler unterstützt den Vertrieb
Kolumbien ist für die Fiegert-Endotech Medizintechnik GmbH nach Brasilien und Mexiko der drittwichtigste Medizintechnikmarkt in Lateinamerika. Seit der Zulassung der Produkte bei der Behörde Invima (Instituto Nacional de Vigilancia de Medicamentos y Alimentos) 2015 hat das mittelständische Unternehmen seine Marktpräsenz verstärkt und arbeitet mit einem lokalen Händler zusammen, der aus dem Servicebereich kommt.
Gemeinsam mit diesem nahm Fiegert-Endotech im vergangenen Juli an der Meditech in Bogotá teil. Die größte kolumbianische Medizintechnikmesse findet seit 2008 alle zwei Jahre statt. Strategischer Partner des Veranstalters Coferias ist seit 2018 die Messe Düsseldorf. Die erste offizielle deutsche Gemeinschaftsbeteiligung kam auf Initiative der Verbände ZVEI und Spectaris zustande.
Wie Engelhardt spricht auch Andreas Bätzel, Referent für innovative Medizintechnik beim Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) in Frankfurt am Main, von einem positiven Messeverlauf. Die Qualität der überwiegend einheimischen Besucher sei gut gewesen, die deutschen Aussteller hätten sich zufrieden gezeigt. Die Messe eigne sich zur Marktbeobachtung, Kundenwerbung und Imagepflege. Es mache Sinn, auch bei der Meditech 2020 wieder einen German Pavilion auszurichten. „Man hat in Kolumbien einen großen Einzelmarkt sowie im südamerikanischen Kontext derzeit relativ stabile politische Verhältnisse, und was dort sowohl im privaten als auch im staatlichen Gesundheitssektor an Investitionen passiert, ist durchaus beachtlich“, sagt Bätzel. Allein in Bogotá sollen laut Germany Trade and Invest (GTAI) in den kommenden Jahren fünf neue Krankenhäuser mit insgesamt 1300 Betten in öffentlich-privater Partnerschaft gebaut werden.
Politische Lage hat sich stabilisiert
Importe aus der EU werden seit 2013 durch ein Freihandelsabkommen begünstigt, unter anderem entfallen die Einfuhrzölle auf Medizintechnik. Clemens Engelhardt nennt weitere Gründe, die für den Export in das südamerikanische Land sprechen – die stabilisierte politische Lage, in- und ausländische Investitionen, einfache Produktregistrierungen oder eine wieder niedrigere Inflationsrate von rund 3,4 % im Jahr.
Ein Problem bleibt die Zahlungsmoral. Die kolumbianischen Gesundheitskassen haben bei den Krankenhäusern hohe Schulden angehäuft: Sie lagen Mitte 2017 laut GTAI bei umgerechnet 2,7 Mrd. US-Dollar, 60 % davon waren im Verzug.
„Da braucht man einen relativ langen Atem“, bestätigt Ralf Stuch. Zahlungsziele von ein bis zwei Jahren seien fast schon normal, wenn das Geld aus dem staatlichen System komme. Ein klassisches Lateinamerika-Thema sei auch die instabile Währung. Trotzdem lohne sich der Schritt nach Kolumbien. Das sei ein solides Investment, das Land habe sich stark an amerikanische Standards angelehnt, man bekomme gute Leute, die Infrastruktur sei in Ordnung und die allgemeine Lage sei inzwischen auch ziemlich gut, sagt Stuch: „Alles auf Grün.“
Weitere Informationen
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