Die alljährliche Umfrage zur Situation der Medizintechnik-Branche, die der Bundesverband Medizintechnologie, BVMed unter seinen Mitgliedsunternehmen durchführt, ist 2020 von den Einflüssen der Coronavirus-Pandemie geprägt. Die befragten Unternehmen erwarten demnach in diesem Jahr einen Umsatzrückgang von durchschnittlich 4,9 % – nach einem Umsatzplus von 3,3 % im Vorjahr. Das betrifft nach Angaben des Verbandes vor allem kleine und mittlere Unternehmen. „Hinzu kommen starke Rückgänge beim für die Branche so lebenswichtigen Export“, erläutert BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll. Er fordert stärkere, vor allem regulatorische Entlastungsmaßnahmen für die mittelständisch geprägte Medtech-Branche.
Vor allem verschobene Operationen haben Umsatzrückgänge verursacht
Die mit dem Lockdown verschobenen Operationen sind, das zeigt die Umfrage, der wichtigste Faktor für die Umsatzrückgänge. 70 Prozent der befragten Unternehmen sind davon betroffen. 57 Prozent nennen die Einschränkungen der Kundenkontakte für den Außendienst als negativen Faktor. Knapp die Hälfte hat unter ausbleibenden Arztbesuchen und dem damit verbundenen Rückgang von Verordnungen zu leiden.
Aus den gewichteten Umsatzangaben der BVMed-Unternehmen ergibt sich im deutschen Markt ein durchschnittlicher Umsatzrückgang von 2,1 %, wobei Umsatzrückgänge teilweise im zweistelligen Bereich liegen. Der Mehrbedarf an medizinischer Schutzausrüstung und Hygieneprodukten kann diesen Effekt nicht kompensieren.
Kurzarbeit hilft, die Zahl der Arbeitsplätze zu halten
Um Entlassungen zu vermeiden, nutzen 38 % der befragten BVMed-Unternehmen das Instrument der Kurzarbeit. Damit bleibt die Zahl der Arbeitsplätze insgesamt stabil.
Die größten Hemmnisse in der weiteren Entwicklung der Branche sehen die Unternehmen in den stark gestiegenen regulatorischen Anforderungen beispielsweise durch die EU-Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation, MDR) – diese Ansicht äußerten 81 % der Befragten. „Die Unternehmen fordern hier eine vereinfachte Neuzertifizierung für bewährte Bestandsprodukte“, so Möll. Dafür sprachen sich 56 % der Unternehmen aus. Über ein Drittel wünscht sich Förderprogramme für KMU, die beim Umsetzen der MDR unterstützen.
Innovationsklima lässt weiter zu wünschen übrig
Mit einem Durchschnittswert von 4,2 auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten die Unternehmen das Innovationsklima für Medizintechnik in Deutschland gleich niedrig wie im Vorjahr. Der BVMed-Innovationsklima-Index bleibt damit auf dem seit Beginn der Erhebungen niedrigsten Stand.
Die Erfahrungen in den Monaten der Pandemie haben laut BVMEd jedoch auch die Bedeutung der Medizintechnik für das Gesundheitswesen deutlich gemacht. Inzwischen gibt es Ideen, wie künftig Lieferengpässe bei Krisensituationen in Deutschland vermieden werden können. Der BVMed schlägt hierfür eine „Digitale Bestandsplattform Versorgungskritischer Medizinprodukte“ vor.
Lieferengpässe mit Bestandsdatenbank künftig vermeiden
Die Medizinprodukte-Industrie stehe für smarte Lösungen bereit, sagt der BVMed-Vorstandsvorsitzende Dr. Meinrad Lugan, Vorstand bei B. Braun. Über eine Bestandsdatenbank mit offenen GS1-Schnittstellen lasse sich die Verteilung versorgungskritischer Medizinprodukte in Krisensituationen besser organisieren. Der BVMed-Vorschlag bezieht sich auf die vom Bundesgesundheitsministerium geplante „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“. „Hier muss unbedingt die logistische Expertise der Medtech-Branche eingebunden werden“, so Lugan.
Auch wenn zu Beginn der Corona-Krise mehrere Faktoren sowie eine Nachfrage-Explosion für einige Medizinprodukte und Pharmazeutika zu Lieferengpässen führten, habe eine Betrachtung im Nachhinein ergeben, dass es für über 80 Prozent aller kritischen Produkte keinen Mangel gegeben habe, sondern ein Verteilungsproblem. „Hier wäre eine digitale Bestandsplattform versorgungskritischer Medizinprodukte eine gute Lösung“, so Lugan. Erste Gespräche dazu mit dem Bundesgesundheitsministerium haben bereits stattgefunden. Derzeit organisiert der BVMed eine Industrieallianz aus den Bereichen Medizintechnik und Pharma.
Auf dem Weg zu einer digitalen Bestandsplattform
Lugan nannte sechs Entwicklungsschritte zur digitalen Bestandsplattform:
- Definition kritischer Arznei- und Medizinprodukte
- Ermittlung von Produkten und Rohmaterialien mit fehlender EU-Produktionskapazität
- Nutzung eines einheitlichen global eingeführten Produktidentifikationsstandards und Klassifikationsstandards
- Festlegung der Teilnehmer an der Bestandsplattform und Zugänglichkeit
- Aufsetzen eines Pilotprojektes
- Strategie zur Vermeidung von außereuropäischen Abhängigkeiten
Lugans Schlussappell: „Mittel- und langfristig benötigen wir einen gesamtgesellschaftlichen Dialog über die Bedeutung des Medtech-Standorts Deutschland und ein Konjunkturprogramm für die überwiegend mittelständisch geprägte Medizinprodukte-Branche – möglichst abgestimmt auf europäischer Ebene.“
Mehr zur Herbstumfrage des BVMed
Kontakt zum Verband:
BVMed – Bundesverband Medizintechnologie e.V.
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