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Wer eine Nierenerkrankung erleidet, macht sich meistens auf den Weg zu Fachexperten aus der Nephrologie. Die Symptome können allerdings auch auf andere Ursachen zurückzuführen sein. Während die Medizin häufig nur ein Organ betrachtet, weitet die Systemmedizin ihren Blick auf das ganze System Mensch. Sie verknüpft dabei methodische Ansätze der Genom- und Postgenomforschung (die sogenannten „Omics“-Daten) mit digitalen Analysen. Dafür werden Daten aus Genen, Eiweißbausteinen, Stoffwechselprodukten, Lebensweise und Umwelt erfasst und in virtuell angelegten Computermodellen in Zusammenhang gesetzt. Möglich macht das unter anderem der Einsatz von modernen Technologien wie bildgebenden Verfahren, Sensoren und Computeralgorithmen.
Fünf Analyse-Module im Forschungsprojekt e:Med
Erste Konzepte, um die Systemmedizin in Deutschland zu etablieren, gibt es schon. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert schon seit 2013 mit dem Forschungsprogramm e:Med und einem Budget von 200 Mio. Euro dieses Vorhaben. In vielen Projekten arbeiten Mathematiker und Informationswissenschaftler mit Medizinern und Biologen aus Universitäten, Großforschungseinrichtungen, Kliniken und Industrieunternehmen bundesweit zusammen. In fünf verschiedenen Modulen analysieren sie Erbgut, Proteine oder Stoffwechselprodukte von Bioproben wie Blut, Urin oder Gewebe. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse dienen mit mathematischen Modellen zu Vorhersagen über Wirkungsweisen von Medikamenten und Therapien.
Systemmedizinische Ansätze für eine individuellere Therapie
„Wir können heute viele Erkrankungen sehr viel genauer diagnostizieren, klassifizieren und somit gezielter behandeln. Besonders für Krebserkrankungen wurden durch systemmedizinische Ansätze neue diagnostische und therapeutische Biomarker auf unterschiedlichen Ebenen – wie DNA- oder Proteinebene – entdeckt, die eine individuelle Therapie ermöglichen. Bei vielen Erkrankungen wurden die genetischen Hintergründe entdeckt, aktuell werden aber bereits alle Omics-Ebenen mit einbezogen, die ebenfalls einen Einfluss haben“, sagt Silke Argo aus der Geschäftsstelle des e:Med-Projekts. Das Projekt „Digimed Bayern – für die Medizin der Zukunft“ ist ein bedeutender Schritt in Richtung Digitalisierung für eine verbesserte Gesundheitsversorgung im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ziel ist es, Herzerkrankungen wie Atherosklerose durch eine individualisierte Prävention, Diagnose und Therapie zu bekämpfen. Dazu werden umfangreiche Gesundheitsdaten von Patienten mit Atherosklerose gesammelt und analysiert. Zudem wurden wichtige Aktivitäten zur Prävention von Herzinfarkt und Schlaganfall in Gang gesetzt.
Künstliche Intelligenz hilft bei Datenerhebung
Die Datenerhebung durch Sensorik, Bildgebung oder Laborbefunde ist der Beitrag der Medizintechnik zur Systemmedizin: Dass automatisierte Erfassung und Auswertung – künftig sicher unter Zuhilfenahme von Methoden der Künstlichen Intelligenz – funktioniert, zeigt ein Fraunhofer-Projekt. Forschende am Fraunhofer IPA realisierten in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Mannheim und der medizinischen Fakultät ein System für die Anamnese und Vitaldatenerfassung für die Aufnahme in die Klinik, bei der die unmittelbare Anwesenheit von medizinischem Personal nicht mehr erforderlich sein wird.
Im Zentrum des neuen Systems steht eine Sensorik mit einem Avatar für die Befragung des Patienten. Integrierte Infrarotkameras messen die Körpertemperatur, Sensoren bestimmen Herz- und Atemfrequenz, Mikrofone zeichnen Atemgeräusche oder die Stimme auf. „Im Idealfall bekommt der Patient oder die Patientin davon gar nicht viel mit, weil er oder sie gleichzeitig die Fragen eines virtuellen Arztes zu seiner Krankengeschichte und seinen Symptomen beantwortet“, erklärt Fraunhofer-Forscher Jens Langejürgen. „Die Durchgängigkeit der Daten und die gleichbleibend hohe Qualität helfen weiterhin, den Verlauf von Erkrankungen frühzeitig erkennen und darauf reagieren zu können. Diese Daten bilden auch die Grundlage für das Training von Algorithmen, die das Potenzial haben, die medizinische Versorgung des Patienten essenziell zu verbessern.“
Systemmedizin ist Thema auf der Medtec Live with T4M
Im Prinzip macht die Systemmedizin also nichts anderes als ein guter Hausarzt: Er nimmt seinen Patienten ganzheitlich in den Blick, berücksichtigt bei der Diagnostik Historie und Lebenswandel, stellt Zusammenhänge her, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Die Diagnose basiert dann auf Erfahrungswerten und dem Wissen des Mediziners. „Diesen ganzheitlichen Ansatz hebt die Systemmedizin auf ein völlig neues Niveau, weil sie mehr Daten präzise analysieren und in einen Zusammenhang bringen kann als der Mensch. Das ist eines der großen Zukunftsthemen der medizinischen Versorgung in Deutschland. Die Technologien für die Datenerhebung – von der Sensorik bis Bildgebung sind Themen der Medtec Live with T4M im Mai in Nürnberg“, sagt Christopher Boss, Geschäftsführer der Medizintechnik-Fachmesse bei der Nürnberg Messe.
Zur Messe: www.medteclive.com
Zum Forschungsprogramm e:Med: www.sys-med.de
Zum Projekt Digimed: www.digimed-bayern.de