Die Lage ist ernst für eine verlässliche Patientenversorgung mit innovativen und hochwertigen Hilfsmitteln in Deutschland. Die negative Einschätzung des Innovationsklimas nimmt zu. Die Bedeutung des deutschen Marktes droht zu sinken.“ So das Fazit von Oda Hagemeier, Geschäftsführerin der European Manufacturers Federation for Compression Therapy and Orthopaedic Devices (Eurocom) zu den Ergebnissen einer im Mai durchgeführten Mitgliederbefragung. 92 % der Mitglieder geben darin ihre Einschätzung zur Lage des Hilfsmittelmarktes und seiner Rahmenbedingungen in Deutschland ab.
Wichtigster Hilfsmittel-Markt kämpft mit schlechtem Innovationsklima
Besorgniserregend vor allem: 63 % der Befragten bewerten das hiesige Innovationsklima als unterdurchschnittlich. Und auch, wenn Deutschland für 86 % zurzeit nach wie vor der wichtigste Markt ist, sehen ihn ein Viertel der Befragten bereits in fünf Jahren nur noch auf Platz 2. Ursachen sind zum einen Standortrisiken, wie bürokratische Hürden (91 %), der Fachkräftemangel im eigenen Unternehmen (59 %) und im Fachhandel/in den Handwerksbetrieben (47 %).
Hilfsmittel-Verzeichnis bremst Innovationen aus
Zum anderen bereiten vor allem die großen Hemmnisse für innovative Qualitätsprodukte im deutschen Markt Sorgen: Sämtliche Befragungsteilnehmer sind von langanhaltenden enormen Kostensteigerungen durch Inflation, Energiekrise und Regulatorik betroffen. Erschwerend hinzu kommt die Last uneinheitlicher Mehrwertsteuer-Sätze mit wettbewerbsverzerrender Auswirkung (87 %). Darüber hinaus erweist sich auch im dritten Jahr seit Einführung des Eurocom-Branchenbarometers das Hilfsmittel-Verzeichnis für 68 % der Befragten als Innovationsbremse.
Anhaltende Kostenexplosion gefährdet Versorgungssicherheit
Vor allem wirft die Mitgliederbefragung 2023 ein Licht auf die schwerwiegenden Folgen der nun schon zwei Jahre anhaltenden extremen Kostensteigerungen für die Hilfsmittel-Branche: 100 % der Befragungsteilnehmer sind davon betroffen. Ebenfalls 100 % können Kostensteigerungen nach wie vor gar nicht oder nur teilweise an den Markt weitergeben.
Weniger Produkte, Abbau von Arbeitsplätzen
Hauptgrund dafür ist, dass Erstattungspreise in den Versorgungsverträgen langfristig festgelegt sind (73 %). Für 100 % der Unternehmen heißt das: Bereits jetzt ist die Hilfsmittelherstellung unwirtschaftlicher. Dieser Negativtrend, der sich im Vergleich zum Vorjahr (89 %) stärker ausprägt, hat gravierende Folgen, sollte dieser Zustand noch länger anhalten: 73 % der Befragten befürchten eine Einschränkung ihres Portfolios, 70 % den Abbau von Arbeitsplätzen im eigenen Unternehmen. Rund ein Viertel sieht darin eine Existenzbedrohung, jedes fünfte Unternehmen befürchtet einen Versorgungsengpass. Die logische Konsequenz für 67 % der Mitglieder: Eine Kostenabfederung ist dringend notwendig. Als geeignete Maßnahmen identifizieren 87 % die Anpassung der Vertragspreise und 93 % die Anpassung der Festbeträge, jeweils um die Inflationsrate.
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Preissteigerungen nicht nur zu Lasten von Hersteller und Leistungserbringer
„Eine verlässliche Patientenversorgung zu gewährleisten, stellt für die Branche eine Herausforderung dar, mit der sie nicht alleine gelassen werden darf. Damit langfristig verlässlich produziert und versorgt werden kann, dürfen Preissteigerungen nicht einseitig zu Lasten der Hersteller und Leistungserbringer gehen“, so Eurocom-Geschäftsführerin Hagemeier. Ihre Forderungen: Festbeträge als sinnvolles Instrument zur Ausgabenregulierung beibehalten und jährlich – wie auch die Vertragspreise – um die Inflationsrate anpassen und die Mehrwertsteuer-Sätze für Hilfsmittel einheitlich senken.
Innovationen schneller zugänglich machen
Der ausgeprägte Innovationswille der Hilfsmittelindustrie zeigt sich auch in 2023. Sämtliche Teilnehmenden investieren in Digitalisierung, 97 % in Forschung und Entwicklung – und zwar bis zu 10 % des Unternehmensumsatzes, 81 % in neuartige Hilfsmittel. Dies steht in starkem Kontrast zur Bremswirkung, die das unsichere Aufnahmeverfahren neuartiger Produkte in das Hilfsmittel-Verzeichnis (HMV) für eine Mehrheit der Unternehmen nach wie vor erzeugt: Darin sehen – wie schon in den Vorjahren – über 60 % der Befragungsteilnehmer Risikopotenzial und bewerten dieses als größtes Innovationshemmnis. Aufnahmeanträge neuartiger Hilfsmittel wurden in den vergangenen zehn Jahren bei 57 % der Befragten abgelehnt, bei 82 % von ihnen betraf dies mindestens zwei Neuentwicklungen. Ablehnungen erstrecken sich bei 43 % der Befragungsteilnehmer sogar auf bereits bekannte Hilfsmittel.
Verbesserungen beim Hilfsmittel-Verzeichnis notwendig
Oda Hagemeier erklärt: „Damit Patienten ungehinderten Zugriff auf innovative Hilfsmittel haben, muss deren Aufnahme beschleunigt werden. Denn das Hilfsmittel-Verzeichnis hat eine marktsteuernde Wirkung, auch wenn es sich nicht um eine Positivliste handelt. Nach wie vor brauchen wir ein standardisiertes Verfahren, insbesondere zur Anerkennung des medizinischen Nutzennachweises. Der Nachweis muss realistisch und planbar sein. Deshalb fordert die Eurocom ein obligatorisches Beratungsgespräch, das die Vereinbarungen zwischen Antragsteller und GKV-Spitzenverband klar regelt – für eine innovationsoffene und zukunftsfeste Hilfsmittelversorgung in Deutschland.“