Frau Professor Gades-Büttrich, was macht das Thema Resilienz so aktuell?
Wir haben in den vergangenen etwa
40 Jahren einen deutlichen Anstieg bei Krankheitstagen und auch Frühverrentungen wegen psychosozialer Erkrankungen beobachtet. Das liegt mit Sicherheit daran, dass sich unsere Arbeitswelt durch Digitalisierung und Globalisierung verändert hat, alle viel flexibler sein müssen und mehr Stress ausgesetzt sind – was sich in mehr stressbedingten Ausfällen zeigt. Damit rückt die Frage nach den persönlichen Ressourcen in den Vordergrund, aber auch die Frage, wie eine Arbeitswelt gestaltet sein muss, in der man gesund arbeiten kann – was direkt zum Thema Resilienz führt.
Was ist mit Resilienz gemeint?
Dieser Begriff aus der Physik beschreibt die Eigenschaft eines Materials, nach Druck und Belastung in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Dieser Gedanke wurde übertragen, um die Reaktion der menschlichen Psyche bei Krisen zu beschreiben. Resilienz bezeichnet die Widerstandsfähigkeit von Individuen angesichts belastender Ereignisse und Krisen. Resiliente Menschen können auch unter widrigen Umständen bestehen, sich anpassen und sich so entfalten, dass ihr Befinden nach der Krise wie davor oder besser ist.
Inwieweit lässt sich die Resilienz eines Menschen objektiv messen?
Das ist gar nicht so einfach. Zum einen kann man nicht von einer gleichbleibenden Eigenschaft ausgehen, denn Resilienz verändert sich im Laufe eines Lebens. Was einen Menschen mit zwanzig Jahren aus der Bahn wirft, würde ihn mit vierzig nicht gleichermaßen treffen, weil er bis dahin dazugelernt hat. Er hat für sich selbst Handlungsstrategien entwickelt, um mit Krisen umzugehen. Die Reaktion auf eine Krise kann beim Einzelnen auch sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob sie ihm im privaten oder beruflichen Umfeld begegnet. Würde man also mehrere Tests mit einer Person durchführen, wäre das Ergebnis nicht immer das Gleiche. Des Weiteren liegt jedem Test ein Konzept zu Grunde, das man beim Interpretieren des Ergebnisses berücksichtigt muss. Daher wäre ich sehr vorsichtig mit dem, was in Zeitschriften oder anderen Medien dazu geboten wird. Menschen, für die eine Einschätzung der eigenen Resilienz interessant wird, weil sie in einer schwierigen Situation sind, sollten sich lieber an Fachleute wenden.
Wie stark und womit kann ein Mensch seine Resilienz beeinflussen?
Es gibt ein paar Faktoren, die man verallgemeinern kann: Wer sich auf ein ausgeprägtes soziales Netz stützen kann, wird mit einer Krise besser fertig – Frauen beispielsweise haben meist ein größeres soziales Netz als Männer. Eine optimistische Haltung hilft ebenso wie das Gefühl von Selbstwirksamkeit: etwas von sich aus, selbst zu schaffen. An diesen Faktoren kann man selbst arbeiten, um die eigene Widerstandsfähigkeit zu steigern – was nicht heißen soll, dass das schnell geht oder in bestimmten Zeiträumen messbare Erfolge zu erreichen sind.
Welche Erwartungen an ihre Mitarbeiter verbinden Arbeitgeber beim Thema Resilienz?
Natürlich sind Unternehmen auf die Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeiter angewiesen. Das führt manchmal dazu, dass diese bei wachsenden Anforderungen in Weiterbildungen ihre Resilienz steigern sollen – was beim Arbeitgeber das Gefühl hinterlässt, er hätte alles in seiner Macht stehende getan und könne die weitere Verantwortung an den Mitarbeiter delegieren. Das funktioniert so aber nicht. Wenn im System etwas nicht stimmt, schützt individuelle Resilienz nicht vor Problemen.
Was wäre aus Ihrer Sicht ein sinnvoller Umgang mit dem Thema?
Es gibt neben der individuellen Resilienz auch so genannte Team-Resilienz oder sogar die organisationelle Resilienz – dabei geht es darum, wie die Aufgaben im Unternehmen verteilt und strukturiert sind. Ist ein Team so aufgestellt, dass es sogar auf die Herausforderungen einer Unternehmensfusion angemessen reagieren kann? Und ist das gesamte Unternehmen so organisiert, dass es trotz veränderlicher äußerer Bedingungen gut funktioniert – also zum Beispiel selbst dann, wenn sich die Marktposition gravierend verändert? Meiner Ansicht nach sind die beiden übergeordneten Formen der Resilienz ein wichtiges Thema für Unternehmensleitung und Führungskräfte, denn sie müssen menschengerechte Arbeitsbedingungen schaffen, die Mitarbeiter eben nicht krank machen. Die gesetzlich vorgegebene Gefährdungsbeurteilung für psychische Belastungen ist bei Unternehmen nicht beliebt. Sie kann aber zeigen, wo es eventuell Handlungsspielräume gibt, um Dinge zu verbessern.
Was sind die Faktoren, die die Resilienz einer Organisation beeinflussen?
Die Art der Führung spielt eine wichtige Rolle. Es geht um Kommunikation, darum, dass Ressourcen für die anstehenden Aufgaben bereitgestellt werden, dass es für jedes Individuum Handlungsspielräume gibt, Einzelne aber auch bei Entscheidungen unterstützt werden. Transparenz ist wichtig, ebenso die Offenheit für kontinuierliche Verbesserungen. In der Gesamtheit bezeichnet man das als Resilience Engineering. Darüber hinaus geht man heute davon aus, dass ganzheitliche Produktionssysteme Resilienz fördern – in denen also ein Arbeitsprozess zu Ende gebracht wird und jeder Mensch das Produkt, an dem er arbeitet, in der Wertschöpfungskette einordnen kann.
Was zeichnet resiliente Chefs aus?
Ein solcher Chef kümmert sich um seine individuelle Resilienz, verhält sich seinen Mitarbeitern gegenüber kommunikativ und empathisch. Er kennt sie und ihre Fähigkeiten, kann sich in sie hineinversetzen und vermitteln, was gerade das übergeordnete Ziel ist und was der Einzelne dazu beitragen kann. Das umzusetzen, sowohl auf der persönlichen als auch auf der organisatorischen Ebene, ist genauso schwierig, wie es klingt. Aber wir werden nicht darum herumkommen, uns damit auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt deshalb, weil der demografische Wandel dazu zwingt: Wir werden immer älter, wir wollen oder müssen länger arbeiten. Das funktioniert nur unter Bedingungen, unter denen wir gesund bleiben.
Wie verändert sich die Arbeitswelt in den nächsten Jahren?
Es sind so viele Veränderungen im Gang, dass das keiner abschätzen kann. Bei der digitalen Transformation ist kein Ende absehbar und wir wissen noch nicht, wohin uns das führt. Es ist nicht einmal sicher, ob es weiterhin standardisierte Unternehmensmodelle geben wird. Gerade für kleinere Betriebe könnte ein Fortbestehen angesichts der Globalisierung vielleicht nur noch unter dem Dach einer Holding möglich sein. Und einen Aspekt dürfen wir bei der Gestaltung der Arbeitswelt nicht außer Acht lassen: Die junge Generation widmet ihren persönlichen Ressourcen viel mehr Aufmerksamkeit und ist nicht bereit, sich in der Weise verheizen zu lassen, wie das bisher immer wieder vorkam. Es wird eine große Aufgabe für Unternehmen und Führungskräfte, das auszubalancieren.