Mit einem neuen Ansatz im Design von Medizinprodukten schlägt die schwedische Ergonomidesign, Bromma, einen neuen Weg ein. Dabei trägt sie drei Dingen Rechnung: der physischen, der kognitiven und der emotionalen Ergonomie. Bei der Entwicklung sollte der Anwender immer an erster Stelle stehen.
Im Jahre 1994 begann Thomas Nilsson, Direktor des Bereichs Human Factors and Design Research von Ergonomidesign, sich im Bereich Produktdesign auf die physischen und kognitiven Aspekte der Ergonomie zu konzentrieren. Aber das schwedische Unternehmen bekam auch immer wieder Rückmeldungen zu der individuellen Bedeutung der Produkte für den Anwender, zum Aussehen und ihrer Unauffälligkeit – Rückmeldungen, die man damals nicht für wichtig hielt. „Es ging darin um die emotionale Bindung zwischen dem Anwender und dem Gerät“, erklärt Nilsson. „Und es waren Rückmeldungen, die sich auf die emotionale Seite von industriellem Design anwenden ließ.“ Also traf das Unternehmen die Entscheidung, alle drei Aspekte in der Bindung des Anwenders zu einem Gerät oder einer Therapie – physisch, kognitiv und emotional – einzubeziehen. Die ganzheitliche Sicht, die auf Ergonomie basiert, ist das Rückgrat der Unternehmensphilosophie von Ergonomidesign. Während in der physischen Ergonomie ermittelt wird, ob ein Gerät benutzbar, fehlerfrei und funktionstüchtig ist, bezieht sich die kognitive Ergonomie darauf, ob es von allen Anwendern ohne Schwierigkeiten benutzt werden kann. Beim dritten Faktor, der emotionalen Ergonomie, geht es um Gefallen und persönliche Wertungen. Die Anwender von Medizinprodukten können sehr unterschiedlich sein – von Kindern mit physischen und kognitiven Limitierungen bis zu älteren Patienten, von Ärzten und Krankenschwestern bis zu Krankenhausdirektoren – und Ergonomidesign muss jeden davon einbeziehen. „Obwohl das zeitaufwendig und kostenintensiv sein kann, ist es doch sehr wichtig“, sagt Nilsson. Jeder Forschungsschritt, den die Designfirma unternimmt, ist kontextbezogen. „Wir gehen hinaus in die reale Welt, in die Kliniken und zum Anwender“, erklärt Nilsson.
An den fertigen Produkten des Unternehmens wird deutlich, wie viel Forschung und Engagement in ihr Design geflossen ist. „Zum Beispiel ist der Preotact Injektionspen für Frauen mit Osteoporose der erste Injektionspen ohne Daumenauslöser“, so Nilsson. „Wenn eine Patientin an dieser Krankheit leidet, ist eines der ersten betroffenen Gelenke das Daumengelenk. Deshalb kann unser Auslöser mit jedem Finger betätigt werden.“ Ein weiterer Injektionspen ist der Genotropin-Pen, der speziell für Kinder entwickelt wurde, die einen Mangel an Wachstumshormon haben. Er hat eine Nadelabdeckung, damit das Gerät weniger beängstigend wirkt, sowie auswechselbare Gehäuseteile, mit denen die Pens personalisiert werden können. Das Asthmaanalysegerät Niox Mino, mit dem sich der Grad der Entzündung in den Atemwegen des Anwenders messen lässt, wurde von der Größe eines Kühlschranks zu einem tragbaren Ausstattungselement mit einem Volumen von einem Liter überarbeitet und passt bequem auf einen Nachttisch. Für Nilsson liegt der Schlüssel zum Erfolg in einer positiven Einstellung: Ein Gerät dient dazu, jemanden zu heilen. Das sollte sich immer in seinem Design widerspiegeln. „Das Beatmungsgerät Maquet Servo-i ist ein Gerät, mit dem schwerkranke Menschen am Leben gehalten werden können. Es sollte Zuversicht erwecken, kompakt sein und nicht zu modern aussehen“, erklärt Nilsson. Er entwickelte das Maquet Servo-i gemeinsam mit seinen Kollegen David Crafoord und Daniel Höglund.
Mechanische Beatmungsgeräte sind in den heutigen Intensivstationen unentbehrlich, da sie Patienten, die nicht selbstständig atmen können, zur Lebenserhaltung dienen. Das Design des Servo-i ist ausschließlich auf die Bedürfnisse des Anwenders ausgerichtet. Die wichtigste Aufgabe bestand darin, ein Beatmungsgerät zu schaffen, das leicht anwendbar ist. Dabei sollten der Krankenhausarzt und der Patient – nicht die Maschine – im Fokus stehen. Durch das benutzerfreundliche Design hat das Klinikpersonal im Umgang mit dem Beatmungsgerät mehr Selbstsicherheit, was die Anspannung in einer sensiblen Umgebung wie einer Intensivstation reduziert. „Das Paradox ist, dass Patienten, die schwerstkrank sind und ruhig gelagert werden sollten, auf den Gängen zwischen den verschiedenen Krankenhausabteilungen hin- und hergeschoben werden. Deshalb musste das Beatmungsgerät auch auf Fahrten funktionieren. Um herauszufinden, welche weiteren Funktionen notwendig waren, haben wir studiert, wie Beatmungsgeräte in Krankenhäusern in Schweden, Frankreich, Italien, Deutschland und dem Vereinigten Königreich eingesetzt werden“, erzählt Nilsson. Nachdem das Designteam die Arbeitsabläufe ermittelt hatte, folgte eine Phase der Interviews und der gemeinsamen Entwicklung mit Ärzten, Krankenschwestern und Sanitätern, in der es darum ging, wie bestehende Beatmungsgeräte verbessert werden könnten. Ihre Antworten ließen sich in zwei Kategorien einteilen: Welche Anforderungen werden an die Maschine gestellt, damit das Wohl des Patienten erhalten bleibt? Wie sieht ihre Wunschliste nach Verbesserungen aus? Die erste Phase dauerte einige Monate. Es wurde schnell klar, dass die Maschine eine Mitfahrplattform sein muss, der man Funktionen hinzufügen kann, und dass sie für Personal mit unterschiedlichem Ausbildungsniveau geeignet sein muss. Dann kamen konkrete Fragen auf: die Größe der Räder, die Platzierung von Griffen und eine Oberfläche, die als Ablage dient. Sollte die Maschine rund sein? Schmal? Kurz und breit? Es wurden drei unterschiedliche Modelle im Originalmaßstab erstellt und zusammen mit den vorgesehenen Benutzern bewertet. „Das endgültige Design war nicht eines der drei Konzepte, sondern eine Kombination aus ihnen. Eine Säulenform bewährte sich als zweckmäßig, denn man kann in geringer Nähe daran arbeiten. Auch mit dem Verlauf der Kabel haben wir uns viel Mühe gegeben“ so Nilsson. Auf der Rückseite ist ein Kabelaufroller, der alle Zugangskabel und -schläuche versteckt, was auch aus hygienischen Gründen wichtig ist. Servo-i passt sich auch den Bedürfnissen des Arztes an. Es kann in verschiedenen Positionen aufgestellt werden, wie zum Beispiel auf dem Bett, auf einem Wagen oder auf einer Säule. Seine modulare Plattform kann auf die Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten werden und entlastet so die Krankenhäuser, in mehrere Geräte zu investieren. su
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