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Gehroboter für Jedermann

Exoskelette: Was sie in der Orthopädie- und Rehatechnik leisten können
Gehroboter für Jedermann

Gehbehinderte mit Parkinsonscher Erkrankung, Unfallopfer, Patienten mit Multipler Sklerose, Junge wie Alte sollen zuhause ins Exoskelett schlüpfen und sich dann maschinell fortbewegen. Die Visionen der Hersteller relativieren Experten, sehen aber einige Vorteile dieser Technik.

Michaela Schlett schiebt den Joystick nach vorne. Ein Geräusch ertönt, als würde ein Gabelstapler Waren aus einem Hochregal holen. Dann tut die querschnittsgelähmte Frau, die seit vier Jahren im Rollstuhl sitzt, den ersten Schritt. „Ich bin überwältigt, auf Augenhöhe mit all den Menschen zu sein“, sagt sie.

Schlett steckt in einem Exoskelett, einer robotischen Rüstung, die an ihren Hüften, den Knien und Füßen befestigt ist. Der Hersteller, das neuseeländische Unternehmen Rex Bionics, verheißt damit nicht weniger als eine „Revolution in der Medizin“. Und inzwischen drängen immer mehr Hersteller mit Exoskeletten auf den Markt. „Noch zehn bis zwanzig Jahre, und der Rollstuhl wird nicht mehr gebraucht“, prophezeit Amit Goffer, selbst seit 1998 querschnittsgelähmt und Rollstuhlfahrer. Er ist aber auch Chef des israelischen Unternehmens Argo Medical Technologies, das noch in diesem Jahr ein „Exoskelett für zuhause“ namens ReWalk anbieten will. Zurzeit erproben Patienten in Rehakliniken das System. Sein Unternehmen ist damit nicht alleine. Der japanische Hersteller Cyberdine hat in Asien seit 2010 schon 300 Exoskelette im Einsatz. Und US-Konkurrent Ekso Bionics kündigt einen Roboter zum Anziehen ab 2013 an. In 400 solchen Geräten laufen zurzeit bereits Querschnittsgelähmte und Schlaganfallpatienten in Rehazentren. Die Laufroboter würden sich zur „Massenware“ entwickeln, sagte Firmengründer Homayoon Kazerooni in diesem Jahr auf der Orthopädie und Rehatechnik in Leipzig. 20 000 US-Dollar werde das Gerät für Jedermann künftig kosten. „Mit dem Laufroboter kann man einkaufen gehen, in die Kneipe oder zur Arbeit“, verspricht Helen Robinson, Geschäftsführerin von Rex Bionics. Es geht um eine neue Form der Mobilität und um Freiheit jenseits von rollstuhlgerechten Wohnungen.
Sogar Gesunde sollen profitieren: Sie könnten dank Exoskelett bei der Arbeit kräftiger und ausdauernder zupacken, stellt Kazerooni in Aussicht. Als Robotikexperte an der University of California in Berkeley entwickelte er vor Jahren die ersten Exoskelette im Auftrag des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Mit dem Laufroboter können US-Soldaten 100 kg für unbegrenzte Zeit auf dem Rücken tragen.
Die Exoskelette haben Motoren an Hüfte und Knien und bewegen die Glieder passiv, wenn der Träger das Zeichen dazu gibt. Der israelische Roboter erkennt beispielsweise die Absicht zu gehen am Vorbeugen des Rumpfes. Bei dem neuseeländischen System bewegt der Patient die robotische Rüstung über einen Joystick. Das japanische Modell kann mit der Kraft der Gedanken betätigt werden. Elektroden am Kopf lesen die Hirnströme aus.
Doch der Schweizer Rehabilitationsexperte Robert Riener von ETH der Zürich ist skeptisch: „Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass das nicht gut funktioniert. Man benötigt eine Kappe auf dem Kopf mit 64 Elektroden, darunter ein Gel, damit die elektrischen Signale gut übertragen werden. Damit wird man nie eine hohe Akzeptanz erreichen.“
Riener glaubt, dass vor allem Rehazentren die Laufroboter nutzen, weil diese „eklatante Therapieeffekte“ ermöglichen. „Wenn noch gesunde Muskeln und Nerven vorhanden sind, können viele Patienten damit wieder einigermaßen normal laufen lernen.“ Das Gehtraining baut die Muskulatur auf und verbessert die Koordination. Rehakliniken verwenden dafür derzeit vornehmlich den stationären Laufroboter „Lokomat“ des Schweizer Unternehmens Hocoma. Bisherigen Studien zufolge sind solche Rehageräte allerdings dem Therapeuten nicht überlegen. Die Exoskeletthersteller werben zwar mit positiven Wirkungen: „Weniger Harnwegsinfekte und ein besseres Selbstwertgefühl“, verspricht Goffer. Aber es gibt keine klinischen Studien, die das beweisen.
Die Vorzüge werden erst zu Tage treten, wenn man die Maschinen weiter entwickelt, meint Riener: „Mit dem Roboter können Patienten effizienter und länger trainieren als mit einem Therapeuten, der oft nur eine halbe Stunde Zeit hat.“ Sie sehen außerdem, welche Strecke sie zurück gelegt haben – ein psychologischer Effekt, der motiviert.
Für den Privatgebrauch taugen die Exoskelette aber noch nicht, findet Riener. Die Patienten können diese nicht selbstständig an- und ausziehen. Die Batterien reichen oft nur zwei bis drei Stunden. Für Querschnittsgelähmte mit instabilem Oberkörper kommen sie gar nicht in Frage, weil sie sich nicht aufrecht halten können. „Den Rollstuhl ersetzen sie auf absehbare Zeit kaum“, stellt Robotikspezialist Dan Ferris von der University of Michigan klar. Hinzu kommt der Preis von 40 000 bis 100 000 US-Dollar – „für die breite Masse viel zu teuer“, urteilt er. Er vergleicht den Stand der Entwicklung mit den Computern in den siebziger Jahren und deutet damit ein enormes Potenzial an. Tatsächlich zweifeln Forscher nicht daran, dass Laufroboter in einem Jahrzehnt vereinzelt zum Stadtbild gehören.
Susanne Donner Fachjournalistin in Berlin

Exoskelett – auf der Messe Compamed
Würden Sie sich selbst gern einen eigenen Eindruck davon verschaffen, was Exoskelette möglich machen? Auf der Messe Compamed haben Sie am Stand von medizin&technik Gelegenheit dazu. Dort ist in diesem Jahr Raphael Jobes zu Gast. Der 36-jährige Aachener nutzt ein Exoskelett des US-amerikanischen Anbieters Ekso Bionics, um sich trotz seiner durch einen Arbeitsunfall verursachten teilweisen Querschnittslähmung selbstständig bewegen zu können. Welche Vorteile das für ihn bringt und wo die Grenzen der Freiheit liegen, erläutert er auf der Messe. Fragen zur Technik, die in einem solchen Medizinprodukt steckt, beantwortet in Düsseldorf Manuel Landeira, der bei Ekso Bionics als Sales Manager für die Region Deutschland, Österreich und die Schweiz tätig ist.
Die Faszination des Exoskeletts erschließt sich, wenn sich ein Mensch der Technik anvertraut und Schritt für Schritt eine Strecke zurücklegt. Ein Gesunder hätte damit Schwierigkeiten: Sein funktionierendes Nerven- und Muskelsystem würde sich die Dominanz der Roboter-Antriebe und Steuerungen nicht einfach gefallen lassen und impulsartig gegensteuern. „Ein Patient, der mit dem Hilfsmittel vertraut ist, kann daher am besten zeigen, was möglich ist“, sagt Landeira. Deshalb hat der Hersteller in verschiedenen Ländern so genannte „Botschafter“ wie eben Jobes gesucht, der regelmäßig mit dem Ekso trainiert und die Öffentlichkeit über die Technik informiert.
Jedes Exoskelett wird bisher an den Träger individuell angepasst, und er macht die ersten Übungen mit Unterstützung eines Physiotherapeuten. „Natürlich muss immer zunächst ein Arzt klären, ob unser Produkt für den jeweiligen Patienten geeignet ist, ob zum Beispiel die Muskelkräfte im Oberkörper ausreichen, um sich im Ekso zu halten“, erläutert Landeira. Ein bisschen Geduld wird dann noch gebraucht: Reinschlüpfen und ein paar Schritte gehen können Patienten schon beim ersten Versuch. Der Rest braucht Übung – aber dann zeigen sich die Nutzer von den Robotern, einer Ergänzung zum Rollstuhl, sehr angetan.
Verschaffen Sie sich am Stand von medizin&technik selbst einen Eindruck von dem, was ein Exoskelett möglich macht: Besuchen Sie uns, wir erwarten Sie wieder in der Halle 8a am Stand J41.
Über den Ekso hat medizin&technik ausführlich im April berichtet (Ausgabe 2/2012, ab Seite 50). Im Online-Magazin haben wir darüber hinaus eine Seite mit weiteren Artikeln vorbereitet, in denen die pneumatische Exo-Hand von Festo vorgestellt wird oder auch Rex, das Exoskelett des neuseeländischen Anbieters Rex Bionics.

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