Die USA sind auch in Sachen Medizintechnik das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Allein bis 2023 sollen die nationalen Gesundheitsausgaben um zwei Drittel ansteigen. Hochtechnologie „Made in Germany“ ist gefragt. Der Markteintritt bleibt vorerst teuer.
Sportlich, schlank und selbstbewusst: Barack Obama verkörpert in vielerlei Hinsicht das Idealbild eines US-Amerikaners. Mit seiner „Yes We Can“-Mentalität hat der smarte Präsident auch eine Gesundheitsreform durchgeboxt, die Millionen seiner Landsleute erstmals den Zugang zu einer Krankenversicherung sichert. Denn nicht alle US-Bürger können jugendlich, fit und gesund sein. Mehr als jeder dritte Erwachsene und jeder sechste Minderjährige sind fettleibig, und eine alternde Bevölkerung stellt auch das US-Gesundheitswesen vor neue Herausforderungen.
Das United States Census Bureau, die Statistikbehörde des Landes, rechnet damit, dass schon 2030 jeder fünfte US-Amerikaner über 65 sein wird. Bei einem prognostizierten Bevölkerungsanstieg von 321 auf 359 Millionen wären dies 73 Millionen Menschen. 2060 sollen dann schon 420 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten leben. Die Zahl der Alten und Kranken wird weiter überdurchschnittlich ansteigen.
Schon heute haben acht von zehn US-Senioren mindestens eine chronische Erkrankung, jeder zweite sogar mindestens zwei. Darauf weist Germany Trade and Invest (gtai), die Bundesgesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing, in ihrem aktuellen Branchenbericht hin. Herzkrankheiten, Krebs, chronische Erkrankungen der unteren Atemwege sowie zerebrovaskuläre Krankheiten wie der Hirninfarkt sind heute die häufigsten Todesursachen.
Land der unbegrenzten Möglichkeiten – das gilt auch für den Markt für Medizintechnik. Mit einem geschätzten Volumen von 124,2 Mrd. US-Dollar (2013) schon heute der größte der Welt, verspricht er noch beträchtliches Wachstumspotenzial. Bereits in den kommenden acht Jahren werden die nationalen Gesundheitsausgaben voraussichtlich von 3,2 auf 5,2 Bio. US-Dollar anwachsen. Und die USA sind nicht nur der größte Hersteller weltweit: Sie sind auch beim Import top. Ausfuhren in Höhe von 41,7 Mrd. US-Dollar standen 2013 Einfuhren von 34,9 Mrd. US-Dollar gegenüber.
„Der US-amerikanische Markt für Medizintechnik weist enorme Zuwachsraten auf und ist für uns auch schlicht aufgrund der enormen Größe sehr interessant“, sagt Stephan Huttenlocher, Produktmanager bei der 2E Mechatronic GmbH & Co. KG in Kirchheim unter Teck. Das mittelständische Unternehmen ist auf innovative Mikrosysteme spezialisiert und entwickelt unter anderem neue Produkte für die Medizintechnik, wie ein LED-Leuchtelement für die Dentaltechnik, einen thermischen Strömungssensor oder eine modulare Mikroliterpumpe mit bis zu zehn Kanälen.
Im Februar beteiligte sich 2E Mechatronic zum zweiten Mal im Rahmen eines Gemeinschaftsstandes des IVAM Fachverband für Mikrotechnik an der MD&M West im kalifornischen Anaheim, der weltweit größten Messe für Design und Fertigung in der Medizintechnik. „Ein Unternehmen sollte hochwertige, innovative Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten können“, sagt Huttenlocher. Allerdings sei es nicht ganz einfach, mit erklärungsbedürftigen Produkten und Technologien Fuß zu fassen. „Wenn ein Unternehmen jedoch von der Leistungsfähigkeit eines Lieferanten überzeugt ist, kann eine vertrauensvolle und langlebige Partnerschaft entstehen.“ Deutsche Technik genieße in den Vereinigten Staaten einen hohen Stellenwert.
Deutschland exportierte 2013 Medizintechnik für 4,4 Mrd. US-Dollar in die USA (plus 2,2 %) und deckte damit 12,7 % des gesamten Importbedarfs ab. Im bilateralen Handel betrug der deutsche Überschuss 1,3 Mrd. US-Dollar. Neben Geräten für die Radiologie im Wert von 1,2 Mrd. US-Dollar wurden insbesondere Produkte für die Bereiche Zahnmedizin und Ophthalmologie geliefert; der Anteil des „Made in Germany“ am Gesamtimport lag hier zwischen 31 und 36 %.
„Besonders gefragt sind im Prinzip alle Anwendungen und Produkte, die neu sind und über einen hohen medizinischen Nutzen verfügen“, sagt Martin Reichelt, Geschäftsführer der Wave Light GmbH, Erlangen. Das Tochterunternehmen von Alcon, dem Unternehmensbereich für Augenheilkunde innerhalb der Novartis-Gruppe, entwickelt und produziert Diagnose- und Operationstechnologien zur Korrektur von Fehlsichtigkeit mit Augenlasern; zum Produktportfolio gehören zudem ein elektronisches Führungssystem zur Positionierung von Intraokularlinsen sowie Eye-Tracking-Systeme für Augenlaser. 2003 erhielt Wave Light – als erster europäischer Hersteller, wie Reichelt betont – die Zulassung der U.S. Food & Drug Administration (FDA) für ein Lasersystem zur Korrektur von Fehlsichtigkeit.
Um eine Zulassung für refraktive Verfahren zu erhalten, seien neben einer umfassenden Zulassungsstudie mehrere Jahre Zeit sowie sehr viel Kapital nötig, erklärt Martin Reichelt. Heute sind die USA der größte Ländermarkt für das fränkische Unternehmen. „Von weltweit etwa 3000 installierten Lasersystemen befinden sich über 20 Prozent allein in den USA“, so Reichelt. Mit einem Marktanteil von 90 % sei Wave Light in den USA zudem Marktführer bei Neuverkäufen von Excimerlasern.
In den Vereinigten Staaten gelten strenge Vorschriften für die Zulassung von Medizinprodukten. Genehmigungsbehörde ist die FDA, bei der alle Vermarktungsanträge eingereicht werden müssen. Schätzungen zufolge sei der Markteintritt in den USA drei bis fünf Mal so teuer wie in Europa, sagt Julien Denis, der beim Medizintechnik-Cluster Medical Valley Europäische Metropolregion Nürnberg (EMN) für den Bereich Clustermarketing & Development zuständig ist. Dies liege vor allem an den Anwaltskosten: In den USA kümmern sich Kanzleien um die Zulassung von Medizinprodukten.
Dass sich die EU eher in Richtung FDA bewegen könnte als umgekehrt, ist daher eine der Befürchtungen, die Branchenunternehmen diesseits des Atlantiks mit dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) verbinden. Statt einer Harmonisierung der Marktzugangsverfahren schlägt die EU-Kommission vor, den Zulassungsprozess zu verschlanken. Grundsätzlich wird TTIP begrüßt, da es Handelshemmnisse abbauen soll.
„Der Messgrad muss immer die Qualität sein“, sagt Denis. Obwohl die FDA-Zulassung viel aufwendiger sei, biete sie keinen höheren Patientenschutz. In anderer Hinsicht könnten aber gerade deutsche Unternehmen noch von den USA lernen. So seien US-Firmen etwa im boomenden Markt der Wearables „um Meilen voraus“ – nicht unbedingt, weil sie die beste Technologie hätten, sondern weil sie besser vermarkten. Der Clustermanager hat vor allem die Unterschiede in der Start-up-Szene studiert. Sein Fazit: „In den USA ist die Kultur des Scheiterns viel mehr präsent als hier.“ Statt an der perfekten Version zu feilen, hole man sich dort viel früher ein Markt-Feedback ein. Von dieser „Why not?“-Mentalität sollten sich Nachwuchsunternehmen etwas abschauen, findet Denis. Hier heiße es noch allzu oft: „Ja, aber …“
Bettina Gonser Freie Journalistin in Stuttgart
Weitere Informationen Zum Technologieunternehmen 2E Mechatronic: www.2e-mechatronic.de Zum Augenlaser-Spezialisten Wave Light: www.wavelight.de Zum Cluster Medical Valley EMN: www.medical-valley-emn.de
„Die FDA-Zulassung bietet keinen höheren Patientenschutz“
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