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Der keltische Tiger brüllt wieder

Spitzenreiter: Irland hat europaweit den höchsten Anteil an Beschäftigten in der Medizintechnik
Der keltische Tiger brüllt wieder

Irland kann mehr als Bier und Whiskey – zum Beispiel Medizintechnik. In keinem anderen europäischen Land ist die Branche so präsent wie hier. Nur jedes zweite Medizintechnikunternehmen ist einheimisch. Multinationale Konzerne, vor allem aus den USA, schätzen den attraktiven Produktionsstandort.

Von A wie Abbott bis Z wie Zimmer: Die Liste der Unternehmen, die in Irland produzieren, liest sich wie ein „Who’s Who“ der Branche. 18 der 25 weltweit führenden Hersteller von Medizintechnik haben sich laut dem Branchenverband IMDA, der Irish Medical Device Association, im grünen Inselstaat angesiedelt. Fast 300 Medizintechnikunternehmen zählt das kleine Land, mehr als 27 000 Menschen arbeiten in diesem Wirtschaftszweig. Gemessen an der Einwohnerzahl ist Irland damit laut IDA Ireland, der irischen Wirtschaftsförderungsagentur, europäischer Spitzenreiter.

Jedes Jahr im Oktober trifft sich die Branche auf der Medtec Ireland. Unter den gut 100 Ausstellern war 2015 erstmals auch die Femtos GmbH aus Bochum. „Wir haben einfach recherchiert, wo unsere Kunden sitzen“, sagt Dr. Benjamin Schöps, der Geschäftsführer des jungen Unternehmens, das Anfang 2015 als Spin-off der Ruhr-Universität Bochum gegründet wurde.
Die Medtec Ireland findet in Galway an der Westküste statt. Hier haben sich neben dem Raum Dublin die meisten Medizintechnikunternehmen angesiedelt, Start-ups ebenso wie multinationale Konzerne oder Forschungszentren. „Im Umkreis von einer Stunde Autofahrt findet man da fast jeden Weltkonzern der Medizintechnik wieder“, erklärt Schöps. Zwar sei die Liste der Aussteller klein, aber jeder kenne jeden – ideal für ein junges Unternehmen wie Femtos, das sich als Dienstleister auf die Bearbeitung metallischer und nichtmetallischer Strukturen mit ultrakurzen Laserpulsen in der Medizintechnik spezialisiert hat. „Ich hatte viele und gute Kontakte“, sagt Schöps: „Wir haben auch für dieses Jahr wieder gebucht.“
Irland, der „keltische Tiger“, brüllt wieder. Mitte der 1990er-Jahre hatte das wirtschaftlich unterentwickelte EU-Land zur Aufholjagd angesetzt und trumpfte mit zweistelligen Wachstumsraten auf. Doch der Aufschwung gründete sich auch auf eine Immobilienblase, und als die platzte, rutschte das Land 2008 tief in die Rezession. Als Erster schlüpften die Iren 2010 unter den EU-Rettungsschirm – als Erster verließen sie ihn drei Jahre später wieder.
Heute zählt Irland laut Länder-Ranking des Forbes Magazine zu den „Best Countries for Business“: hinter Dänemark, Neuseeland und Norwegen und klar vor der Schweiz, Deutschland und Österreich. Top-Ergebnisse gab es unter anderem bei Kategorien wie Steuern, Technologie und Marktleistung. Neben der niedrigen Körperschaftssteuer von 12,5 % sprechen unter anderem gut ausgebildete Arbeitskräfte für den Standort.
Selbst in den Krisenjahren brachte der Export von Medizintechnik starke Wachstumsraten. Von 2007 bis 2014 stieg die Ausfuhr medizintechnischer Produkte nach Angaben von Germany Trade & Invest (Gtai) um mehr als 80 % auf 7,1 Mrd. Euro an.
Die Medizintechnik ist in der stark export- orientierten irischen Wirtschaft eine wichtige Größe. Laut IDA Ireland macht die Ausfuhr von Medizingeräten und Diagnoseprodukten 8 % des Warenexports aus. Nach Deutschland ist Irland der zweitgrößte Exporteur von Medizintechnik in der EU. Fast die Hälfte der irischen Branchenausfuhren ging 2014 in die USA (48,4 %), der EU-Anteil lag laut Gtai bei 37,6 %.
Nur jedes zweite Medizintechnikunternehmen ist einheimisch. Viele multinationale Konzerne, vor allem aus den USA, produzieren in Irland. Auch der mit Abstand größte irische Konzern hat US-amerikanische Wurzeln. Nachdem Medtronic Anfang 2015 seinen irischen Rivalen Covidien übernahm, verlegte der führende Hersteller von Herzschrittmachern den Hauptsitz nach Dublin.
Auch für mittelständische Unternehmen aus der EU wie die Phenox GmbH aus Bochum ist Irland ein attraktiver Produktionsstandort. Phenox entwickelt, produziert und vertreibt Produkte zur Behandlung von Aneurysmen und Schlaganfällen. Das vom Statistikunternehmen Statista und dem Magazin Focus unter die „Wachstumschampions 2016“ gewählte Unternehmen will noch in diesem Jahr in Galway mit der Produktion von neurovaskulären Instrumenten beginnen. In den kommenden fünf Jahren sollen dort bis zu 65 Arbeitsplätze entstehen. Parallel dazu wird der Hauptsitz in Bochum mit derzeit 130 Mitarbeitern ausgebaut.
Von Galway aus will Phenox vor allem den US-amerikanischen und chinesischen Markt beliefern. „Der Standort in Galway ist ein entscheidender Schritt in unserer Wachstumsstrategie“, sagte Hermann Monstadt, Gründer und Geschäftsführer von Phenox, im Dezember bei einer Pressekonferenz in Galway, an der auch Irlands Wirtschaftsminister Richard Bruton teilnahm. Der sprach von einem wichtigen Impuls für den Westen: „Wir werden weiter hart daran arbeiten, um weitere Investitionen von Unternehmen wie diesem zu gewinnen.“
Seit 2014 wurden laut Branchenverband IMDA im Bereich der Medizintechnik 2000 neue Arbeitsplätze geschaffen und Investitionen von 960 Mio. Euro angekündigt. Ein Großteil des Geldes fließt in Forschung und Entwicklung sowie Innovationen.
Irland hat die höchste Geburtenrate in der EU. Zwischen 2004 und 2013 ist die Zahl der Einwohner um 14 % angewachsen. Bei knapp 4,6 Millionen Iren bleibt der Markt für Medizintechnik dennoch überschaubar. Von 2016 bis 2021 will die irische Regierung 3,1 Mrd. Euro in das Gesundheitswesen investieren. Größtes Projekt ist der Neubau der nationalen Kinderklinik in Dublin.
Das Analyseinstitut Espicom rechnet damit, dass der irische Markt für Medizintechnik bis 2019 um jährlich 1,8 % auf 909 Mio. US-Dollar (rund 830 Mio. Euro) anwachsen wird. Krisenbedingt ging die Einfuhr zwischen 2007 und 2011 um gut ein Viertel zurück, aber schon 2014 lagen die Importe um 2 % über dem Niveau von 2007. Ein Drittel aller Medizintechnikeinfuhren kommt aus den USA. Auf die EU-Länder verteilen sich 43 % des Importanteils, dabei kommt das Vereinigte Königreich mit 18,6 % vor Deutschland mit 9,9 % an zweiter Stelle. Deutschland liegt vor allem bei Röntgen- und Zahntechnik gut im Rennen.
Für die Stemmer Imaging GmbH aus dem bayrischen Puchheim ist Irland ein zunehmend wichtiger Markt, auch im Bereich Medizintechnik. Europas größter unabhängiger Technologielieferant für die Bildverarbeitung hat vor zwei Jahren in der Grafschaft Clare ein Büro eröffnet. Es bietet Bildverarbeitungs-Know-how und technischen Support auf lokaler Ebene.
„Wir arbeiten mit vielen Medizintechnik-Unternehmen in Irland zusammen und unterstützen sie beim Entwickeln neuer Ideen, um hochwertige Bilder ihrer Produkte aufnehmen zu können, sowohl für die Automatisierung wie auch für die Visualisierung“, sagt Toby O’Mara, Business Development Manager Ireland. Und eine Reihe von Herstellern integrieren Kameras, Beleuchtung und Software von Stemmer Imaging in ihre Geräte, die sie auf der ganzen Welt vermarkten.
Bettina Gonser Freie Journalistin in Stuttgart

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